Semesterthema SoSe 2018: "Das schöpferische Hirn"

„Als die Ampel grün wurde und ich auf die Straße trat“, erzählt Leó Szilárd, „wurde mir plötzlich klar, dass wir ein Element finden könnten, mit dem sich eine Kettenreaktion in Gang setzen lässt.“ Und so machte der Spaziergang eines ungarischen Physikers durch London an jenem 12. September 1933  Weltgeschichte. Noch bevor Szilárd die andere Straßenseite erreichte, war ihm der wesentliche Gedanke für den Bau der Atombombe gekommen.

Weniges am menschlichen Geist ist so erstaunlich wie die Tatsache, dass Ideen aus ihm sprudeln. Und um kaum eine unserer Fähigkeiten ranken sich so viele Mythen. Die Denker der Antike führten Inspirationen auf die Wirkung übernatürlicher, sogar göttlicher Kräfte zurück. Die Dichter des Sturm und Drang priesen das Originalgenie als Idealbild eines schöpferischen Menschen, der kraft seiner einmaligen Geistesgaben Außergewöhnliches aus dem Nichts hervorbringen kann. Im 20. Jahrhundert vertrat vor allem die amerikanische Psychologie das entgegengesetzte Extrem: Sie stellte Kreativität als erlernbare Fähigkeit dar, die sich jeder in beliebigem Maße aneignen könne.

Mit unserem aktuellen Semesterthema wollen wir solche Verklärungen überwinden. Wir werden untersuchen, wie wir tatsächlich zu unseren Einfällen gelangen. Denn auch die Vorstellung, dass unsere schöpferischen Gaben unerforschlich seien, ist ein Mythos. Die Erkenntnisse kommen allerdings aus einer unvermuteten Richtung: Die Neurowissenschaften, vor allem aber die Fortschritte der künstlichen Intelligenz haben in den letzten Jahren erstaunliche Erkenntnisse darüber geliefert, wie der menschliche Verstand Neues hervorbringen kann. Wir werden hinterfragen, was genau in schöpferischen Prozessen geschieht. Wir werden theoretisch und in der eigenen künstlerischen Praxis ausloten, wie aus der Kombination von Bekanntem Unerwartetes entsteht, welche Regeln wir uns selbst auf diesem Weg geben und welche Regeln wir brechen, wie unsere Emotionen und Motivationen die Tätigkeit des Verstandes bestimmen. Und wir werden den bewusst provokativen Titel unseres Programms hinterfragen. Ist es wirklich nur „das“ schöpferische Hirn des Menschen, dem wir Neues verdanken, kommt Kreativität nicht vielmehr durch das Zusammenspiel vieler Gehirne zustande? Was trägt unser Körper bei? Und können nicht auch Maschinen schöpferisch sein?

Zum ersten Mal begleiten Diskussionen mit internationalen Gästen – die Gesprächsreihe „fundamente“ – das Semesterprogramm des Studium Generale. Mehr Informationen zu den Sonderveranstaltungen finden Sie unter an dieser Stelle.