Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht – ein kulturgeschichtlicher Blick auf Lügner und Lügen (Seminar)

Dr. Susann Neuenfeldt
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht – ein kulturgeschichtlicher Blick auf Lügner und Lügen

Seminar, 2 SWS, 2 LP
Mittwochs, 10-12 Uhr, wöchentlich ab 25.10.2017, Hardenbergstr. 33, Raum 151

Im so genannten Zeitalter des „Postfaktischen“, der „Fake News“ oder „Lügenpresse“ wird die Frage nach der Lüge und ihren unterschiedlichen Ausprägungen wie z.B. Verleugnen, Schwindeln, ‚übers Ohr hauen’ oder Notlügen aber auch das Verhältnis von Lüge und Wahrheit bedeutsam. Das Seminar fokussiert aus kulturwissenschaftlicher Perspektive das Phänomen des Lügens und fragt nach seinen kulturgeschichtlichen Dimensionen und Formationen in Kunst und Gesellschaft von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart mit speziellem Blick auf den deutsch-deutschen Kontext.

Ausgehend von der These, dass mit dem Ende des zweiten Weltkrieges das Verleugnen von Nationalsozialismus und Holocaust ein wesentlicher Bestandteil im Gründungsmythos beider deutscher Staaten war, untersucht das Seminar Figurationen von Lügnern und Lügen in diversen kulturellen Formaten (Literatur, Fernsehen, Kino, Theater, Debatten) der deutsch-deutschen Kulturgeschichte. Dabei stehen zumeist männliche Lügner ebenso im Fokus der Untersuchungen wie die jeweiligen Kontexte und Situationen, in denen das Lügen zu einer künstlerischen, politischen, sozialen oder pathologischen Strategie wird. Das Seminar wird versuchen, eine ganz eigene Geschichte von Lügnern und Lügen für den Kontext der BRD und der DDR zu entwerfen.

Des Weiteren werden verschiedene Themenbereiche wie etwa Lüge und Antisemitismus, Lüge und Männlichkeit, Lüge und Komik, Lüge und Körperlichkeit, Lüge und „Lügenpresse“ näher beleuchtet werden. Mit einführenden theoretischen Texten zur Lüge als einer kulturellen Praxis werden die Studierenden zu Beginn des Seminars befähigt, detaillierte Einzelanalysen, etwa zu Romanen, Dokumentationen, Inszenierungen oder auch zeitgenössischen Debatten (z.B. die „Lügenpresse“ und „Fake-News“-Diskussion) vorzunehmen. Darüber hinaus werden diese Analysen an aktuelle Diskurse zum Postfaktischen und Postdokumentarischen gebunden und diese kritisch reflektiert.

Literaturauswahl:
Becker, Jurek: Jakob der Lügner, Aufbau Verlag 1969 (DEFA Verfilmung 1974).
Benthien, Claudia: „Zwiespältige Zungen. Der Kampf um Lust und Macht im oralen Raum“. In: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Hg. Benthien/Wulf. Rowohlt 2001.
Dietz, Simone: Die Kunst des Lügens. Eine sprachliche Fähigkeit und ihr moralischer Wert. Rowohlt 2003.
Dietzsch, Steffen. Kleine Kulturgeschichte der Lüge. Reclam 1998.
Dobbert Steffen: „Die Ost-West-Lüge“, in: Zeit-Online, November 2014.
von Braun, Christina: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht. Psychosozial Verlag 2016.

Filmauswahl:
„Der Sittenstrolch“, Folge 11 aus: Ein Herz und eine Seele. Regie:  Joachim Preen. BRD 1974.
Das Leben der Anderen. Regie. Florian Henckel von Donnersmarck. Deutschland 2006.
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Inszenierung von Heiner Müller nach Bertolt Brecht (1941), Berliner Ensemble 1995.
Der Lügner. Regie: Ladislao Vajda. BRD 1961 (mit Heinz Rühmann).
Die Lüge und der Tod. Realisation: Stephan Hermlin. DEFA 1988.
Er ist wieder da. Regie: David Wnendt. Deutschland 2015.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein regelmäßige Anwesenheit und die Übernahme eines wissenschaftlichen Impulsreferats.

Susann Neuenfeldt, geboren 1974 in Schwedt/Oder, ist Kulturwissenschaftlerin und Theaterregisseurin. Sie studierte Amerikanistik und Germanistik an der HU Berlin und promovierte zum Zusammenhang von Gender, visuellen Regimen und weiblichen Betrachterfiguren. Ihr Buch „Schauspiele des Sehens: Die Figur der Flaneurin, Voyeurin und Stalkerin“ ist im Winter Verlag erschienen. Derzeit forscht sie künstlerisch an Ihrem Postdoc-Projekt „Auf den Zahn fühlen: Dentale Politiken im Kulturellen Imaginären des Kalten Kriegs“. Seit 2004 ist sie als Lehrbeauftragte in der Amerikanistik, den Gender Studies, der Germanistik und der HUWISU der HU tätig. Außerdem arbeitet sie als Regisseurin des Berliner Theaterkollektivs Panzerkreuzer.Rotkäppchen. Ihre diversen Stücke wie etwa: „Inglourious Lolitas“ (2012), „NaKKt unter Wölfen“ (2013), „Bartleby, der Schreiber“ (2014), „Hänsel | Gretel | Phase III“ (2014) behandeln postsozialistische Themen in märchenhaften Zwischenbildern aus abseitigen Perspektiven. Zusammen mit dem Berliner Künstler und Amerikanisten Dr. Simon Strick unterhält sie die Kolumne „Hallo Karthago/Hallo Rom“ in der Politikzeitschrift POLAR.