Labortagung AnWenden - Ein Bericht
AnWenden. Künstlerische Lehre und Vermittlung in der Klimakrise Ein Labortagungsbericht
Laia Ribera Cañénguez
Artensterben, Klimakrise, Verschärfung der Spaltung zwischen Arm und Reich, Krise der politischen Repräsentation, geopolitischer Umbruch und Kriege, psychische, kulturelle und spirituelle Krisen. Diese verschiedenen, globalen Krisenprozesse unserer Zeit haben gemeinsame systemische Wurzeln: Es ist die Krise der westlichen Zivilisation. Das ist der Elefant im Raum, der benannt und anerkannt werden muss.
So eröffnete Fabian Scheidler die Labortagung “AnWenden. Künstlerische Lehre und Vermittlung in der Klimakrise”, die zwischen dem 18. und dem 20. Oktober 2024 vom Studiengang Theaterpädagogik der UdK in Kooperation mit dem FELD Theater für Junges Publikum organisiert wurde. Die Labortagung stand im Zusammenhang mit dem in den letzten Jahren entwickelten Forschungsschwerpunkt Theaterpädagogik in der Klimakrise und war nach der ersten Labortagung zum Thema “Theater - Pädagogik – Ökologie (2021) und dem Forschungstag “Theaterpädagogik in der Klimakrise” (2023) bereits die dritte, von Ute Schlegel-Pinkert kuratierte Veranstaltung zu diesem Thema.
Scheidlers Vortrag mit dem Titel “Die Klimakrise als Zivilisationskrise”[1] beschreibt mit der Metapher der Megamaschine das kapitalistische, moderne Weltsystem, welches - laut Scheidler - auf drei Säulen beruht: die endlose Akkumulation von Kapital, der moderne Staat und die ideologische Macht. Die endlose Akkumulation von Kapital als übergeordnetes System verwandelt permanent die lebende Mitwelt in Waren und Ressourcen, die als zerlegbar, beherrschbar und messbar erklärt werden. Der moderne Staat als Militärinstitution sichert die territoriale und koloniale Expansion des Westens und basiert auf dem Prinzip der Abstraktion der Geldvermehrung und verschleiert dabei die Gewalt und die Genozide, durch den das Geld erwirtschaftet wird. Dabei sind Staat und Kapital nicht voneinander zu trennen, so Scheidler. Durch die ideologische Macht (Mythos des Westens) proklamiert sich der Westen als überlegene Zivilisation mit Narrativen wie den Besitz der Vernunft, den Fortschritt, die Entwicklung oder die westlichen Werte. Dadurch wird die strukturelle Gewalt legitimiert und unsichtbar gemacht und die globalen Verhältnisse verzehrt. Scheidler vertritt die These, dass wir zurzeit das Ende der westlichen Vorherrschaft erleben bzw. den Versuch, diese militärisch zu verteidigen.
Scheidler versteht die Klimakrise als eine zivilisatorische Krise und fordert uns auf, drei Abschiede zu nehmen: Abschied von der kapitalistischen Produktionsweise, von der Idee der Naturbeherrschung und von der Idee, dass der Westen die Welt beherrschen kann oder soll. Er lädt uns ein, Herrschaftsansprüche über die Welt, die Natur und andere Menschen loszulassen und gemeinwohlorientierte, gerechtere Produktionsweisen zu stärken und auf Kooperation mit unserer Mitwelt zu setzen. Das Theater ist, laut Scheidler, ein Ort der Regeneration unserer Weltbeziehungen, ein Ort, an dem sich die Beziehungen zwischen Menschen und der nichtmenschlichen Welt regenerieren können.
Die Analyse von Fabian Scheidler ist nicht neu und knüpft an postkoloniale und dekoloniale Ansätze an. In einem einstündigen, zugänglichen Vortrag schlägt er den Bogen von den globalen Krisen unserer Zeit, über eine Analyse des westlichen globalen Systems, bis zur Rolle der Kultur und des Theaters[2]. Aber diese Analyse an den Beginn dieser Tagung zu setzen, ermöglichte es, fundamental darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie die in der künstlerisch-pädagogischen Praxis häufig verwendeten Begriffe wie Theater, Bildung, Subjekt und Welt neu definiert werden können und diese Neudefinition das Arbeiten im theaterpädagogischen Kontext transformiert. Diese Fokussierung und Vertiefung erfolgte durch den Vortrag von Prof. Dr. Kristin Westphal zum Thema “Anthropozentrismus-kritische Diskurse und Zugänge in Kunst und Bildung”. Zwei Podiumsgespräche und ein Abendprogramm im Marktplatz-Format boten einen Raum, sich weiter zu vernetzen und über das zuvor Gehörte auszutauschen.
Die Podiumsgespräche zielten auf die Besprechung von theoretischen Ansätzen und Praxiserfahrungen im Umgang mit der Klimakrise ab. Jede Gesprächsrunde begann mit einem fünfminütigen Input der drei Teilnehmer*innen, worauf ein moderiertes Gespräch folgte. Die erste Runde wurde von Prof. Dr. Ute Schegel-Pinkert moderiert und fokussierte sich auf den Kontext Schule. Dr. Joachim Penzel referierte über seinen Ansatz einer nachhaltigen (Kunst-)Pädagogik. Dr. Sabine Köstler-Kilian berichtete über ihre Erfahrungen im Kurs “Ästhetische Praxis: PLAN[E]T X” im Studiengang Darstellendes Spiel/Lehramt Theater an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Prof. Dr. Nanna Lüth stellte den Workshop “Müllgefühle“ vor, der als Teil der Kooperation zwischen dem Haus der Kulturen der Welt und der UdK Berlin im Rahmen des Projekts “Schools of Sustainability. Handlungsmacht statt Ohnmacht stattfand.” In der Diskussion trafen ein praxeologisches, an Prozessen von Subjektivierung interessiertes (Köstler-Kilian), eine Perspektive der kritischen Kunstvermittlung (Lüth) und ein an Prinzipien von Ganzheitlichkeit orientierter Bildungsbegriff (Penzel) aufeinander und sorgten für einige Kontroversen. Ein Streitpunkt war dabei auch, ob sich Bildungsereignisse in Bezug zur Klimakrise eher auf die Stärkung des (jugendlichen) Subjektes orientieren sollten oder ob sie vielmehr am Konzept des schwachen Subjektes ansetzen sollten, das den Moment des Angewiesenseins auf ein Gegenüber ins Zentrum stellt. Die Runde endete mit der kritischen Fragestellung, wie wir bei einer Kritik des Anthropozentrismus in Bildung und Kunst vermeiden, wieder eine universalistische Beziehung zur Welt zu behaupten und wie wir stattdessen eine differenzierte, kritische Denkweise integrieren können.
Im zweiten Podiumsgespräch ging es um Vermittlungskonzeptionen und -beispiele des Umgangs mit der Klimakrise im Kontext Bildung und Vermittlung und diese Runde wurde von mir moderiert. Kristine Preuß berichtete über ihre Erfahrungen als Leiterin der Kunstvermittlung im Museum Sinclair-Haus und erläuterte den Begriff der Berührbarkeit; Esther Pilkington stellte das Projekt “Animals of Manchester” vom Fundus Theater/Forschungstheater Hamburg vor und Leicy Valenzuela erzählte über ihre theaterpädagogische Arbeit mit dem Begriff der radikalen Empathie. Für diese Gesprächsrunde war das Thema der Klimagefühle zentral. Sowohl Berührbarkeit wie auch Radikale Empathie wurden als Ansätze beschrieben, die Verletzlichkeit, Brüchigkeit, Eingestehen von Schmerz und das Hinterfragen der eigenen Rolle und der Hierarchien thematisieren, sowohl mit den Mitmenschen, wie auch mit der Mitwelt. Bei den Bildungsansätzen hat Kristine Preuß Gestaltungsräume und -spielräume skizziert, die es erlauben, sich wirksam, mitgestaltend und resonanzfähig in Bezug zur Natur zu erleben. Esther Pilkington entwarf Szenarienrealitäten, in denen andere, bessere Zukunftsvisionen erprobt werden können. Leicy Esperanza formulierte die Hoffnung, dass die Koexistenz und die radikal empathische Begegnung mit anderen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen uns in unserem Handeln und Denken transformieren kann.
Abends traf man sich im Feld-Theater und erlebte einen wieder ganz anderen Raum: In einem moderierten Markt-Format stellten sich neun Projekte aus dem Bereich der künstlerisch-pädagogischen Praxis im Kontext von Naturbeziehung und Nachhaltigkeit vor. Nach den fünfminütigen Impuls-Vorträgen der Projekte gab es 4 Runden, wo weiterführende Fragen und ein direkter Austausch mit den eingeladenen Projekten an den dafür hergerichteten Stationen stattfanden. Bei diesem Format wurden sowohl Projekte im Bereich der darstellenden bzw. performativen Künste vorgestellt, wie „Das Wort für Welt ist Wald” von Thorsten Eibeler/Showcase Beat Le Mot; „Microcosmos - wo kommen wir her?” von Eva Meyer-Keller oder „Es ist… ein Stein!” von Melanie Hinz & Verena Lobert/Frl. Wunder AG; als auch an der UdK angesiedelte Projekte, wie das Forschungsprojekt „Beziehungs-Weise Natur“ von Ute Schlegel-Pinkert in Zusammenarbeit mit Julia Gotzmann und Marie Salcedohorn.
Am Samstag und Sonntag (19. und 20. Oktober) fanden in der UdK parallel drei Workshops statt, in denen drei Künstler:innen ihre künstlerisch-pädagogische Praxis mit Teilnehmenden der Tagung und Studierenden der UdK in reflektierter Weise erprobten: eine auf Resonanzbeziehung setzende Auseinandersetzung mit Landschaft (“Das Wort für Welt ist Wald” mit Thorsten Eibeler), eine kritische Auseinandersetzung mit Interspezies-Beziehungen (“Microcosmos - wo kommen wir her?” mit Eva Meyer-Keller), sowie eine Erprobung von neuen postdigitalen Verbindungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Spezies im Kontext von postdigitalen und posthumanen Ansätzen (“Erprobung postdigitaler Entanglements” mit Sabine Köstler-Kilian).
So versuchte die Labortagung den Bogen zu schlagen von der Einordnung der Klimakrise als eine Zivilisationskrise, über die Besprechung von Subjekt-, Bildungs- und Theaterbegriffen und theoretische Ansätzen, wie Berührbarkeit oder radikale Empathie, bis zu konkreten praktischen theaterpädagogischen Ansätzen, Projekten und Workshops. Dies spiegelt auch das bewährte Vorgehen in der Lehre und Vermittlung in der Klimakrise wieder: Es geht immer wieder darum, auf die nötige gesellschaftliche, politische Dimension zu schauen, Wege der Transformation in Theorie zu verankern und zu kontextualisieren und diese in der Praxis zu erproben.
* Fotos: Pauline Warneboldt
[1] Der Vortrag ist hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=39aOX-Atiew
[2] Dabei bezieht er sich auf seine eigenen Bücher "Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation", "Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen" und "Das geistige Feld. Essentialien des Theaters".