Dr. Daniela Fugellie

Promotionsprojekt

Die Rezeption der Wiener Schule in Lateinamerika. Zentren, musikalische Praxis und kreative Aneignung


Die Schule, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts um den Komponisten Arnold Schönberg und seine Schüler in Wien bildete, spielte eine wesentliche Rolle in der internationalen Weiterentwicklung der Neuen Musik. Insbesondere steht die sogenannte „Wiener Schule“ für die Etablierung der Zwölftontechnik, welche – in der Vermeidung tonaler Zentren – mit einem neuen Musikverständnis verbunden war. Das Dissertationsprojekt erforscht die Rezeption der Wiener Schule in Lateinamerika zwischen ca. 1935 und 1960. Diese Rezeption wird als Prozess verstanden, in dem nicht nur ein bestimmtes Repertoire und Kompositionstechniken vermittelt wurden, sondern auch ästhetische Ideen und aufführungspraktisches Wissen. Im Kontext der Auswanderung europäischer Intellektueller und Künstler nach Lateinamerika in den 1930er und 1940er Jahren war die Zusammenarbeit zwischen lateinamerikanischen und europäischen Musikern (insbesondere deutscher und österreichischer Herkunft) ein besonderes Merkmal dieses Prozesses, da diese sich gemeinsam an Lehre und Interpretation beteiligten. Aus dem Kulturtransfer sind Musikwerke und Ensembles entstanden, die sich auf das Repertoire der lateinamerikanischen und internationalen Neuen Musik spezialisierten. Sie fanden jedoch keinen Eingang in die offiziellen Musikinstitutionen ihrer Länder. Die Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung der drei wichtigsten Zentren der Rezeption der Wiener Schule. Diese gruppierten sich um die Ensembles Música Viva (Brasilien), Agrupación Nueva Música (Argentinien) und Tonus (Chile). Durch die Aufarbeitung von Archivmaterial aus Europa und Südamerika sollen die wichtigsten Akteure dieses Rezeptionsprozesses identifiziert werden. Gefragt wird nach den soziokulturellen Gründen, die zur Vermittlung, Assimilation und Neudeutung von bestimmten Artefakten aus der Wiener Schule in der lateinamerikanischen Musikkultur führten. Die Betrachtung von in Lateinamerika komponierten Werken wird darauf hinweisen, inwieweit die kreative Aneignung dieser Ideen zu einer Vermischung fremder und lokaler Musiktraditionen führte.



Vita

Geboren in Chile. Studium der Musikwissenschaft (Hauptfach), Kulturmanagement und Kunstgeschichte an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Von 2010 bis März 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena. Seit 2016 ist sie Assistant Professor an der Universidad Alberto Hurtadoin Santiago de Chile. Sie promovierte 2016 an der Universität der Künste Berlin ("Musiker unserer Zeit". Internationale Avantgarde, Migration und Wiener Schule in Südamerika, München: text+kritik 2018). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die lateinamerikanische Kunstmusik des20. und 21. Jahrhunderts und die kulturellen Transfers zwischen Lateinamerika und Europa.

Publikationen

„León Schidlowsky. Un compositor transcultural“, in: Schidlowsky, David (Hg.): León Schidlowsky. Gráfica musical, Santiago de Chile: RiL Editores, 2012, S. 47–53.

„La ,música gráfica’ de León Schidlowsky. Deutschland, ein Wintermärchen (1979) como partitura multimedial“, in: Revista musical chilena, Nr. 218, 2012, S. 7–37.

„Reale und imaginäre Reisen in Neue Welten. Musikalische Zeitausflüge und Kartografien in der lateinamerikanischen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts“, in: Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e.V. (Hg.): Die Humboldt-Brüder. Eine unerschöpfliche Quelle, Roßdorf: TZ-Verlag, 2013, S. 121–140.

„Luigi Nono: Al gran sol de la revolución. Algunos de sus encuentros con América Latina entre evolución y revolución de la nueva música (1948–1972)”, in: Boletín Música, Nr. 35, 2013, S. 3–29.

„Zur Rezeption der Wiener Schule in Lateinamerika (1935–1950)“, in: Storch, Christian (Hg.): Reflexion – Improvisation – Multimedialität. Kompositionsstrategien in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 2015 (=Freie Referate. 15. Internationaler Kongress der Gesellschaft für Musikforschung, Bd. 2), S. 29–48.


Dr. Daniela Fugellie publiziert ihre Doktorarbeit „Musiker unserer Zeit. Internationale Avantgarde, Migration und Wiener Schule in Südamerika“ bei edition text+kritik des Richard Boorberg Verlag, 2018.