Dr. Maximilian Haas

Forschungsprojekt

Die neuen barocken Welten des Wissens
Über die Aktualität vormoderner Kosmologien in Kunst und Theorie der Gegenwart

Die philosophischen Weltmodelle des Barock erfahren eine Renaissance in den gegenwärtigen Versuchen, die (post-)modernen Bedingungen des theoretischen Denkens und künstlerischen Handelns zu überwinden: Selbstreferentialität, Anthropo- und Logozentrismus sowie die binär-hierarchischen Oppositionen von Natur und Technik, Körper und Geist, Materie und Bedeutung. Es geht hier also um nichts weniger als die Reorganisation des Kosmos als Gegenstand des Wissens und die Neubestimmung der menschlichen Position darin. Im Zuge des Neuen Materialismus (und Realismus) beziehen sich Theorie und Kunst dabei vor allem auf zwei Denksysteme, die jenseits der kartesianischen Stammlinie der Barockphilosophie stehen, nämlich auf Leibniz’ „Monadologie“ (1714) und Spinozas „Ethik“ (1677). Daneben erfahren barocke Formate der Präsentation (und Produktion) von Kunst und Wissen eine Wiederaufnahme, etwa die Kunst- oder Wunderkammer und die Enzyklopädie. Das vorliegende Projekt entfaltet sich zwischen vier Gegenstandsbereichen: 1. kosmologische Theorien des Barock, 2. barocke Ausstellungspraxis, 3. Theorien des Neuen Materialismus und ihre konzeptuellen und systematischen Bezüge auf barocke Kosmologien sowie 4. Beispiele einer zeitgenössischen Ausstellungs- und Aufführungspraxis, die sich an barocken Formaten orientiert. Diese vier Bereiche werden in verschiedenen Konstellationen zueinander in Beziehung gesetzt, um die ästhetischen, theoretischen und politischen Einsätze und Konsequenzen der gegenwärtigen Rückbezüge auf das Barock kritisch zu erwägen. Dabei werden Vor- und Nachmoderne heuristisch als Spiegelfiguren konstruiert, wobei der analytische Fokus auf den Inkongruenzen liegt. Ein zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung ist die von Christov-Bakargiev 2012 kuratierte dOCUMENTA (13).

Vita

Dr. Maximilian Haas ist Theater-/Medienwissenschaftler sowie Dramaturg und lebt in Berlin. Er vertrat die Juniorprofessur für Literaturwissenschaft, Wissens- und Mediengeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Haas studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und wurde mit einer medienwissenschaftlichen Dissertation zum Thema „Tiere auf der Bühne: Eine ästhetische Ökologie der Performance“ an der Kunsthochschule für Medien Köln promoviert. Die Promotion entstand im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Lebensformen+Lebenswissen“ (Potsdam, Frankfurt/Oder) und beruht in einem künstlerischen Forschungsprojekt, der Performance-Serie „Balthazar“ (mit David Weber-Krebs). Haas unterrichtete an Universitäten und Kunsthochschulen in Gießen, Köln, Berlin, Bochum, Dresden und Wien. Wissenschaftliche Vorträge und Artikel der vergangenen Jahre widmeten sich vor allem der Ästhetik der zeitgenössischen (performativen) Kunst und Themen der Science und Animal Studies sowie der Philosophie des Poststrukturalismus, Neuen Materialismus und Pragmatismus. Haas war an der Volksbühne Berlin engagiert und kollaborierte als Dramaturg mit Künstler_innen wie David Weber- Krebs, Hannah Hurtzig (Mobile Academy Berlin), Martin Nachbar und Jeremy Wade. Zudem organisierte er Konferenzen und Workshops, zuletzt die Konferenz „Portraying Animals“ in der Nationalgalerie Prag (Juni 2015 mit Hannah Hurtzig) und den Workshop „Animal Dances“ in den Sophiensaelen Berlin (Mai 2016 mit Martin Nachbar). 

Publikationen

Tiere auf der Bühne. Eine ästhetische Ökologie der Performance, Berlin: Kadmos, 2018.

„Die abstrakte und die konkrete Maschine als Protagonist. Über Performances von Kris Verdonck und Xavier Le Roy“, in: Maschinen des Lebens – Leben der Maschinen. Zur historischen Epistemologie und Metaphorologie von Maschine und Leben, Berlin: Kadmos, 2018.

"Cosmology of Forces, Performative Fields“ in: Energetic Forces as Aesthetic Interventions. Politics of bodily scenarios, hg. von Sabine Huschka und Barbara Gronau, Bielefeld: transcript, im Erscheinen.

„Does the donkey act? Balthazar as Protagonist“, in: Performance and Posthumanism: Staging Prototypes of Composite Bodies, London: Palgrave Macmillan, im Erscheinen.

„Theoretische Bemerkungen zu einer Dramaturgie der nichtmenschlichen Anderen (nach Haraway)", in: Postdramaturgien, hg. von Sandra Umathum und Jan Deck, Berlin: Neofelis, erscheint 2019.

„Ästhetische Ökologie: Jakob von Uexkülls Musiktheorie des Lebens", in: Tierstudien 13: Ökologie, hg. von Jessica Ullrich, Berlin: Neofelis, 2018.

„Kuratorische Symbolisierung. Über eine politische Geste der Documenta14", in: Learning from. Texte zur Documenta 14, Onlinejournal wissenderkuenste.de

„The Abyss of a Standstill", mit David Weber-Krebs, in Scores #6: no/things, hg. von Tanzquartier Wien, 2017.

„Bühnen des Nicht-Menschlichen“, in: Episteme des Theaters, hg. von Milena Cairo, Moritz Hannemann, Ulrike Haß und Judith Schäfer, Bielefeld: Transcript, 2016.

„Versuch einer Kosmologie des Performativen in der Kunst. Über Alfred North Whitehead und Pierre Huyghe", in: Kosmos & Kontingenz, hg. von Philipp Weber, Tim Sparenberg und Reto Rössler, München: Wilhelm Fink Verlag, 2016

„Balthazar“, in: Antennae–The Journal of Nature in Visual Culture: Multispecies Intra-Action, Nr. 31, Spring 2015.

„Interspecies Performance zwischen Literatur und Theater, Ethik und Ästhetik“, in: Tierstudien 8: Wild, Berlin: Neofelis, 2015.

„Zwei Arten von Zombies“, in: Suspensionen. Über das Untote, Paderborn: Fink, 2015.

„Balthazar. Ein Tier auf der Bühne“, in: Theater der Zeit, Heft Nr. 9, September 2014.

„Report über ein Tier auf der Bühne: der Esel Balthazar“, in: Tierstudien 1: Animalität und Ästhetik, Berlin: Neofelis, 2012.

„Künstlerische Mittel ohne Zweck“, in: Performing Politics: Politisch Kunst machen nach dem 20. Jahrhundert, Berlin: Theater der Zeit Verlag, 2012.

„Von Auschwitz schweigen: Sprachlosigkeit und Shoah“, Zeitschrift der Gesellschaft für Theaterwissenschaft (Thewis), Ausgabe 10/10, Juni 2010, mit Elise von Bernstorff.