Der Moment ist das Bild: Lichtexplosionen des Unsichtbaren
Licht ist mein Material, mein Werkzeug, mein Gegenüber. Es berührt
das Fotopapier nicht durch ein Objekt, sondern direkt, roh und unvermittelt.
Es verbrennt, belichtet, hinterlässt eine Spur. Was bleibt,
ist nicht ein Abbild, es ist ein Imprint. Eine Reaktion. Eine Übersetzung.
In diesem Imprint liegt ein Gedanke, der sich wie ein roter Faden
durch meine Arbeit zieht: dass nichts wirklich allein entsteht.
Dass jede Geste ein Echo ist, jede Berührung eine Wiederholung, jeder
Lichtimpuls ein Zitat vergangenen Bewegungen, entschwundener
Körper und Formen. Meine künstlerische Praxis ist die des Wiedererkennens,
des transformierenden Lernens.
Ich begreife mein Arbeiten als ein kontinuierliches Umkreisen von Impulsen
– aus der Natur, aus der Geschichte der Fotografie, aus physischen
Reaktionen und vor allem aus meiner künstlerischen Recherche.
Es ist eine immerwährende Weiterentwicklung der eigenen Themen
– eine neue Frage kommt oft aus einer vorherigen Werkreihe, auf
der die nächste aufbaut. Meine Projekte beginnen häufig mit dem
Wunsch, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Ob es elektrische Entladung
ist, biolumineszentes Glühen von Algen oder Pilzen oder die
Bewegung meines Körpers im Dunkeln. Dabei geht es nicht um eine
Repräsentation, vielmehr um Beziehungen. Die Algen in „
Glowing Attraction“, die Pilze in „Foxfire“ oder die gefrorenen Relikte in
„Ashes of Ice“ sind keine Motive, sie sind aktive Mitgestalter der Bilder.
Ich setze einen Rahmen, aber was sichtbar wird, entsteht in Kooperation,
in einer geteilten Urheberschaft. Die Bilder entwickeln sich im
Zusammenspiel von Material, Impuls und Prozess, die Formen wiederholen
sich nie. In meinen Arbeiten, die alle Unikate sind, ist alles Prozess
und Spur eines präzise gesetzten konzeptuellen Rahmens. Alles
ist Potenzial, das im Moment der Reaktion zustande kommt. Der Moment
ist das Bild – nicht das Objekt.
Bereits in früheren Werken begann ich, mit direkten Lichtzeichnungen
auf analogem Fotopapier in der Dunkelheit des Fotolabors zu
arbeiten. Mit Bewegungen im Dunkeln, ohne Kamera, ohne Objektiv.
Licht als Flugbahn und Linie. Später experimentierte ich mit gefaltetem
Papier, mit Filtergrammen (ein selbst erdachter Begriff, der meine
erfundene Technik im Fotolabor am besten beschreibt), mit Lochkamera-
Paketen per Post verschickt, von mir an mich. Die Idee war, das
Bild loszulassen, es in die Welt zu schicken – als eine Spur. Gerade in
diesem Bereich und an Bewegung zwischen Automatismus und kontrolliertem
Zufall forsche ich künstlerisch immer weiter. Der Zufall ist
mein Partner. Es ist ein gesteuerter Zufall, dem ich durch Licht, Material,
Bewegung und Zeit Bildräume ermögliche. Oft arbeite ich mit
Materialien oder Quellen, die schwach oder kaum sichtbar sind – Algen,
Sonnenflecken, Energieentladungen –, die aber die intensivsten
Spuren hinterlassen.
Für „Glowing Attraction“ (2019-20) habe ich mit biolumineszierenden
Mikroalgen gearbeitet, Organismen, die selbst Licht erzeugen.
Ihr flüchtiges Leuchten, das sonst nur als Meeresleuchten sichtbar
wird, banne ich auf Papier. Dieses Lichtphänomen wurde seit dem
17. Jahrhundert von Seefahrern beschrieben, in der Literatur kennen
wir es von Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer” (1872), wo
die Matrosen der Nautilus einem „milchigen Meer“ begegnen. In den
1990er Jahren wurde sogar nachgewiesen, dass auch der menschliche
Körper die Fähigkeit zur Biolumineszenz hat, allerdings sind wir
nicht in der Lage zu sehen, dass wir leuchten. Bei meiner analogen,
kameralosen Fotografie wird die Leuchtfähigkeit dieser Mikroalgen
verdeutlicht: Das Schütteln der Reagenzgläser, in denen die Einzeller
kultiviert wurden, gibt ihnen den nötigen Impuls, ihre Leuchtkraft zu
entfalten. Das natürliche Licht wird durch lichtempfindliches Papier in
gelbliche, orangefarbene und rote Spuren invertiert.
In „Foxfire“ (2021-23) geht es um das Leuchten von Pilzen. Diese Lebewesen,
verborgen und vernetzt, leuchten unterirdisch. Das Leuchten
des Pilzes, ebenfalls in Glasträgern kultiviert, wird in einem analogen
fotografischen Prozess eingefangen. Die Biolumineszenz des
sogenannten Wood Wide Web, eines unterirdischen Kommunikationsnetzwerks
aus Pflanzen und Pilzen, entfaltet ihr ästhetisches Potenzial,
indem das grüne Licht der Pilze sich auf der Oberfläche des
lichtempfindlichen Papiers in Explosionen der Komplementärfarbe
Magenta umwandelt.
Die Arbeiten „Fluid Contact“ und „Ashes of Ice“ dagegen sind ein
experimenteller Zugang zur Dokumentation von Wasser, der die anthropozentrische
Perspektive herkömmlicher fotografischer Ansätze
hinterfragt und auflöst. Auch in „Ashes of Ice“ (2023) ist das Licht zugleich
Mittel und Thema: Ich brannte mit Sonnenlicht durch eine Lupe
Spuren von schmelzenden Eisplatten eines Gletschersees ins Papier.
Der Prozess war physisch, fast brutal – und zugleich still. Kälte und
Hitze, Druck und Zeit: All das verdichtet sich zu einer visuellen Linie,
die sich nicht festhalten lässt. Es sind Arbeiten über das Verschwinden,
die zugleich Spuren des Dagewesenen aufbewahren. „Fluid Contact“
(seit 2023) experimentiert mit Wasser als Partner. Tropfen aus
der Seine, auf Planfilm getrocknet, führten zu bizarren Formverläufen.
Jede chemische Reaktion erzeugte eine andere Bildstruktur – ein
Dialog mit Resten, mit Umgebung, mit Zeit.
Ich sehe meine Arbeit auch als Antwort auf das Übermaß an Bildern,
die uns täglich begegnen. Digitale Reize, Filter, Optimierung – ich
wähle den entgegengesetzten Weg: Langsamkeit, Prozess, Materialität.
Ich glaube daran, dass der Körper ein Sensor ist – für Licht, für
Bewegung, für Spuren. Und dass das Bild nicht im Auge, sondern im
Körper entsteht. Für mich ist jedes Bild ein Archiv – nicht einer Realität,
sondern eines Geschehens. Etwas war da. Etwas hat/wurde berührt.
Etwas hat eine Spur hinterlassen. Sprache versagt oft an diesen
Stellen. Wie beschreibt man ein Leuchten, das nicht bleibt, eine
Farbe, die nur durch Abwesenheit sichtbar wird? Ich versuche es – mit
Bildern, mit Materialien, mit Nähe. Vielleicht ist Kunst genau das: ein
Versuch, das Nicht-Benennbare zu zeigen.
Kopieren – im Sinne von Wiederholen, Nachvollziehen, Re-Inszenieren
– ist für mich keine Technik der Täuschung, es ist eine Form des
Lernens. Ich wiederhole nicht, um zu imitieren. Ich wiederhole, um zu
verstehen. Jede Wiederholung ist ein neues Sehen, ein anderes Spüren.
Somit sehe ich meine großformatigen Arbeiten als Choreografien,
die sich seit nunmehr über zehn Jahren entwickeln. Die Bewegungen
bleiben in der Dunkelkammer verborgen, während das Fotopapier
deren Spuren wie Zeichnungen sichtbar macht. Linien, Felder, Bewegungen
entstehen durch Gesten, durch eine Berührung. Es ist eine
Bildsprache, die eher musikalisch als narrativ ist. Wie eine Improvisation
mit Licht. Und eine Art Resonanz. Das Aufgreifen einer Frequenz,
die schon da war. Das Zuhören einer Sprache, die nicht unsere ist, aber
durch uns hindurch spricht. Ich sehe meine Arbeit als Teil eines Kontinuums
– mit natürlichen Prozessen, mit dem Licht selbst.
Marta Djourina, deren Arbeiten vielfach preisgekrönt sind, ist
Gastdozentin am Institut für Kunst, Bildende Kunst an Grundschulen
und Meisterschülerin in der Klasse von Christine Streuli, Professorin
für Malerei/Zeichnen. www.martadjourina.com