Performance als Mindset
Sabeth Buchmann: Du bist eine Künstlerin, die mit performativen Formaten arbeitet. Bist du auch Pädagogin? Wie kann man Performance lehren?
Mathilde ter Heijne: Lehren heißt für mich, dass ich gezwungen bin, ein Format zu schaffen, in dem die Studierenden etwas Neues entdecken können. Ich habe mit meiner Klasse in Kassel (2011-2018) „die Lehre“ in Bezug zu performativen, künstlerischen Praxen entdeckt. Wir hatten dort viele Gäste und Projekte mit sehr unterschiedlichen performativen Formaten. Meine Lehre hier an der UdK Berlin habe ich mit dem genauen Anschauen der Begrifflichkeiten begonnen. Es war interessant, dass einigen der Studierenden der Unterschied zwischen „Performing Arts“ und „Performance Art“ gar nicht klar war. Wir entwickelten gemeinsam Aktionen und haben Workshops gemacht, um zu lernen, wie man miteinander kommuniziert. Die Frage, ob ich Pädagogin bin, kann ich nicht wirklich beantworten. Es sind zwei verschiedene Dinge: jemanden belehren oder lehren. Belehrt habe ich nie.
Buchmann: Vielleicht geht es nicht ums Belehren, sondern um Interaktion und um die Herstellung eines Ortes, eines Rahmens, in dem eine kollektive Handlung stattfinden kann. Du initiierst mit einem Kollektiv diesen Prozess und damit auch sehr persönlich-psychologische, emotionale Prozesse. Das ist Performance. Oder es ist das Erproben von Performance – da kann jeder einzelne Moment das Verhalten des gesamten Kollektivs verändern und etwas erzeugen, das niemand eine Sekunde vorher gedacht oder vermutet hat. Und im Blick zu haben, was solche performativen Momente bei den Studierenden hervorbringen können.
ter Heijne: Ja, zu verstehen, was diese ephemeren Momente zwischen den Beteiligten einer Performance auslösen können, ist wichtig. Die Komplexität, die geteilten Emotionen, die Dinge, die wir nicht benennen können, die irgendwie passieren. In einer Performance geht es zunächst um eine Handlung, um eine Aktion. Der Kontext ist wichtig. Aber zentral in einem performativen Kunstwerk ist der Prozess. Es geht um „das Werden“ von Kunst und nicht darum, Kunst als etwas Fertiges, als ein Objekt zu begreifen. Auch muss man flexibel mit den konventionellen Mitteln umgehen. Wie bei einer Theaterprobe: Da ist man zunächst frei von einer bestimmten Rolle, auch die Bühne ist noch nicht festgelegt, ist nur implizit da. Man probiert erst einmal miteinander. Da liegt die Kraft der Performance – außerhalb des konventionellen Rahmens. Malerei und Bildhauerei sind Disziplinen in der Bildenden Kunst. Ist Performance auch eine Disziplin? Oder eher ein „Anders-umgehen-mit“, ein Mindset? In der Bildenden Kunst wird aus dem Bild heraus gedacht. Bei der Performance ist das Bild als solches eigentlich weniger von Bedeutung. Man kann eine Performance als Bild sehen, aber in erster Linie ist sie eine Handlung und kein verkäufliches Objekt. Bild zu sein, ist für mich nicht der Sinn der performativen Formate. Historisch gesehen und auch politisch gedacht, ist Performance eine Handlung in der Realität, hier und jetzt, frei von Darstellung, Regeln oder Erzählung, abstrakt und radikal. Heute in unserer globalisierten Welt ist es wichtig, auf das Miteinander zu schauen, welche neuen Momente zwischen Menschen, oder zwischen Menschen, Tieren und Dingen entstehen können, und welche verschiedenen Modelle der Koexistenz es gibt. Die kulturelle Relevanz der Performance besteht auch darin, in diesem Freiraum der Bildenden Kunst mit Solidarität oder Komplizenschaft zu experimentieren. Und vielleicht gemeinsam zu scheitern. Dieses Scheitern, das da immer auch mitgedacht wird, das finde ich toll in der Kunst. In der Lehre ist es auch wichtig. Im Moment des Scheiterns liegt das Handlungspotenzial.
Buchmann: In der Bildenden Kunst zu sagen, ein Werk wäre gescheitert oder ein Werk würde sein eigenes Scheitern mit einbeziehen oder thematisieren, ist schon eine Provokation. Gleichzeitig ist es auch ein Avantgarde-Thema. Scheitern in Relation zu einer Konvention. Dieses Scheitern ist die Avantgarde. Die Virtuosität ist die Kulturindustrie.
ter Heijne: Malerei ist ein konventionelles Medium mit einer langen Tradition, darauf kann man sich ganz automatisch beziehen. Auch da kann etwas Unkonventionelles passieren, etwas schiefgehen. Das ist meistens der Moment, wo das eigene kontrollierende Selbst nicht aufgepasst hat und das beobachtende Selbst sagt: „Eigentlich nicht schlecht, vielleicht kann ich das nutzen.“ Und daraus kann sich etwas Neues entwickeln.
Buchmann: Was ist dein „Handwerkszeug“, dein Material? Den Körper als Material zu nutzen, ihn einem Prozess auszusetzen, ist etwas sehr Riskantes. Arbeitest du mit Körpertechniken?
ter Heijne: Mein Material sehe ich als das „Da-zwischen“. Das, was sich zum Beispiel zwischen den Menschen, Pflanzen, Tieren, Dingen, Orten und Zeiten befindet. Mein „Handwerk“ ist, diese sich in einer sinnvollen neuen Konstellation materialisieren zu lassen. Die konventionellen Körpertechniken aus Tanz, Schauspielerei und Gesang beherrsche ich nicht wirklich, für meine eigenen Performances habe ich mir manchmal einiges angeeignet. Aber es geht mir nicht um die Formbarkeit des Körpers. Es geht mir eher um Ansätze, die in feministischen Theorien formuliert wurden. Um Denken außerhalb dualistischer Kategorien wie Gut und Böse, Mann und Frau, Schwarz und Weiß. Die Grauzonen dazwischen, das Chaotische, die verhandelbaren Beziehungen, das interessiert mich – also die Dekonstruktion und Sprengung der konventionellen Denk-, Macht-, und Einordnungsstrukturen und die neue Zusammenstellung der einzelnen Elemente. Manchmal können diese auch in der direkten Körpererfahrung liegen. Buchmann: Du vermittelst also nicht spezifische Skills wie zum Beispiel die Grundierung einer Leinwand. Die Konzeptkunst, auf die du dich beziehst, ist eher postdisziplinär: Ein Medium, ein Genre, ein Material wird gemäß der Idee ausgewählt. Es geht nicht darum, das Material in seinen Bedingungen zu erforschen, der Prozess ist umgekehrt. Das ist der Grund, warum die Performancekunst in der Bildenden Kunst verortet ist. Nicht, weil sie zum „Bild“ zurück will, sondern weil sie dort ihr Vokabular findet und daraus Praxisformen hervorbringt. Dabei gibt es durchaus auch Schwellen. Performance suggeriert oft: „Ich will neue Zusammenstellung der einzelnen Elemente. Manchmal können diese auch in der direkten Körpererfahrung liegen.
Buchmann: Du vermittelst also nicht spezifische Skills wie zum Beispiel die Grundierung einer Leinwand. Die Konzeptkunst, auf die du dich beziehst, ist eher postdisziplinär: Ein Medium, ein Genre, ein Material wird gemäß der Idee ausgewählt. Es geht nicht darum, das Material in seinen Bedingungen zu erforschen, der Prozess ist umgekehrt. Das ist der Grund, warum die Performancekunst in der Bildenden Kunst verortet ist. Nicht, weil sie zum „Bild“ zurück will, sondern weil sie dort ihr Vokabular findet und daraus Praxisformen hervorbringt. Dabei gibt es durchaus auch Schwellen. Performance suggeriert oft: „Ich will etwas machen, also kann ich das auch.“ Als gäbe es beim Interdisziplinären einen schwellenlosen Raum. Das glaube ich eben nicht. Es geht um Limitierungen und darum, diese Limitierungen, also die Rahmen anzuerkennen. Das gehört in die Praxis und eben auch in die Lehre.
Mathilde ter Heijne ist Professorin für Zeitbezogene Medien und Performance am Institut für Kunst. Sabeth Buchmann ist Professorin für Kunstgeschichte der Moderne und Nachmoderne an der Universität Wien. Dieses Gespräch wurde initiiert und bearbeitet von Claudia Assmann und Marina Dafova.