Ästhetische Begegnungen IV: Intertextuelle Spannungen. Beziehungen zwischen musikalischer Struktur und psychischer Strukturierung

Dr. Gisela Linnen
Ästhetische Begegnungen IV: Intertextuelle Spannungen. 
Beziehungen zwischen musikalischer Struktur und psychischer Strukturierung (mit freier musikalischer Gruppenimprovisation)

Blockseminar, Deutsch/Englisch, 1-2 SWS, 1-2 ECTS (je nach Leistung), 6 Plätze
Freitags/Samstags, 24.10., 17:30 – 20:30 Uhr / 25.10., 9:30 – 14:30 Uhr, sowie 31.10., 17:30 – 20:30 Uhr / 1.11., 9:30 – 14:30 Uhr,
Mierendorffplatz in der 2. Etage (Musiktherapie-Studiengang)

Anmeldung per Mail an g.linnen_ @udk-berlin.de

Musikalische Struktur entsteht im Vollzug des Hörens, wird im Notentext kodiert und als Organisationsplan durch klangliche Realisierung erfahrbar. Sie ist ein differenziertes Gefüge, das aus Wechselbeziehungen von Haupt- und Nebenstrukturen besteht, und vermittelt sich durch klangliche Objekte, die in zeitlicher Orientierung früher oder später und in räumlicher Orientierung höher oder tiefer, näher oder ferner erscheinen. Psychische Struktur entsteht, zeigt und verändert sich in Prozessen des Erlebens und Verhaltens, emotional und kognitiv. In der Beziehung mit anderen werden äußere Eindrücke affektiv und kognitiv in sogenannten Primär- und Sekundärprozessen verarbeitet und darin ein Entwicklungsprozess psychischer Strukturbildung in Gang gesetzt. Kreative Prozesse des Musik-Herstellens, -Machens oder -Hörens oszillieren zwischen beiden Prozessarten; erlebbar durch unterschiedliche Arten auf der Ebene des Denkens und Fühlens. Durch ein dialogisches Prinzip zwischen musikalischer Struktur und psychischer Strukturierung entstehen dabei Spannungsverhältnisse zwischen Musik und Psyche. Diese werden beim musikalischen Hören und Agieren erkennbar durch den Eindruck einer Bewegungstendenz, -Intensität und -Intention der klanglichen Objekte; inner- oder interpsychisch durch Assoziationen, die mithilfe metaphorischer Denkvorgänge nicht-musikalische Zusammenhänge auf Musik übertragen. Das Spannungsfeld von musikalischer Struktur und psychischer Strukturierung öffnet sich also da, wo klangliche Objekte mit individualisierenden Zuschreibungen verbunden werden, dadurch näher an subjektivierte Wahrnehmungsmuster heranrücken, und wo Korrespondenzen zwischen dem, was wir hören, und dem, was wir erleben, hergestellt werden. 

Das Seminars lädt dazu ein, intertextuelle Effekte zwischen musikalischer Strukturbildung und psychischer Strukturierung anhand von musikalischen Improvisationen in der Gruppe zu entdecken und genauer kennenzulernen. Wir wollen sie in kollaborativen Werkprozessen zwanglos und ergebnisoffen in Gang setzen, intra- und interpsychisch abtasten und erforschen; außerdem sollen sie mit Beispielen aus Musik und wissenschaftlicher Literatur musik- und kunsttheoretisch reflektiert werden. Dabei soll das Zusammenspiel von musikalischer Strukturbildung und psychischen Strukturierungsprozessen genau beleuchtet und der Fokus darauf gelegt werden, wie und wodurch bei einzelnen und in der Gruppe intertextuelle Effekte entstehen. Ergänzend dazu wird das Entdecken und Anwenden von expressiven Vokabularien mit Hilfe musiktheoretischer Reflexion individuell und kollaborativ in der Gruppe ermöglicht und vertieft. Mit der Ausrichtung des Formats wird sich am ästhetischen Spielraum der Musiktherapie orientiert, in dem der Klang, das Tönen als narrativer Ausdrucksträger genutzt wird, um inneres Erleben – ins (Kunst-)Werk gesetzt – zu kommunizieren und zu bearbeiten. Dieser ästhetische Spielraum bietet Platz für Paradoxes, Unscharfes und Eigenartiges und im verbalen Austausch diverse Möglichkeiten zur Reflexion sowie zur musiktheoretisch unterstützten Weiterentwicklung des individuellen musikalischen Verständnisses. 

Die Anzahl der Teilnehmenden ist auf 12 Personen begrenzt. Es sind keine musikalischen Vorkenntnisse nötig. Es wird vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung gestellt.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Leistungsschein:
Für 1 ECTS:
Aktive und regelmäßige Teilnahme an allen Sitzungen. Zum Ende des Seminars soll eine formlose schriftlich angefertigte Reflexion der persönlichen Erfahrungen zum Seminarthema eingereicht werden (ca. 3 Seiten). Zur Anregung und Unterstützung wird ein pdf-Reader zur Verfügung gestellt.
Für 2 ECTS: Aktive und regelmäßige Teilnahme an allen Sitzungen. Zum Ende des Seminars soll eine Reflexion der persönlichen Erfahrungen zum Seminarthema in Form eines Essays (ca. 5 Seiten) eingereicht werden. Umfangreiche Lektüre des Readers wird vorausgesetzt. 

Gisela Linnen, Studium der Fächer Musiktheorie, Musiktherapie und Klavier an der Universität der Künste Berlin, Promotion im Fach Musiktherapie (Dr. phil.) an der Uni Münster. Aktuell tätig als Lehrbeauftragte für Musiktheorie und Gehörbildung, von 2024 bis 2025 als Gastprofessorin für Musiktheorie an der UdK Berlin, außerdem als Gastdozentin für Forschung im Master of Arts Therapies an der Codarts hoogeschool voor de kunsten in Rotterdam sowie als klinische Musiktherapeutin in der ambulanten psychiatrischen und palliativen Versorgung in Berlin und Nürnberg. Besonderes Forschungsinteresse an musikalischer Stilbildung und psychohistorischen Effekten.