Künstlerische Ausbildung lebt von der Präsenz

Prof. Hübner ist Fagottist und Dirigent, Professor und als Prodekan bereits seit vielen Jahren an der Universität in der Hochschulpolitik aktiv - seit September 2020 vertritt er nun als Dekan die Fakultät Musik der UdK Berlin. 

Prof. Eckart Hübner, was haben Sie sich für die Fakultät zum Wintersemester vorgenommen?

Mit Antritt eines solchen Amtes fragt man sich natürlich, was man verbessern könnte. Wie viel dann tatsächlich zu bewegen ist, das ist dann die zweite Frage. Was Stellenbesetzungen angeht, habe ich mir zum Beispiel vorgenommen, einiges in der Lehramtsausbildung zu bewegen. Das ist ein großes Thema in der Fakultät und allgemein in der Gesellschaft. Wir sind immerhin eine der größten Ausbildungsstätten für Musik in Deutschland – und das Lehramtsstudium ist ein wichtiges Feld für die Entwicklung der Fakultät Musik.

Was die Stellen in der Fakultät Musik angeht, möchte ich auch andere Schwerpunkte setzen, also bestimmte Positionen besetzen, aber andere dafür nicht. Ein Stellenplan ist nichts Statisches und es sind in der Tat zu viele Stellen lang unbesetzt geblieben, was auch an den langen Besetzungsverfahren und damit teilweise nicht in der Macht der Fakultät liegt. Hier kann und muss die Fakultät mitgestalten: Das ist ein Prozess, den man mit der gesamten Fakultät und in den einzelnen Studiengängen gemeinsam führen muss.

Bei der Lehrerbildung sind uns neue Stellen zugesagt worden, die noch nicht besetzt sind. Das soll jetzt geschehen. Wichtig ist dabei aber auch, dass die Lehrkräftebildung, so wichtig sie ist, keinesfalls den künstlerischen Bereich zu ihren Gunsten schwächen darf. Der allerwichtigste Teil in einer Musikhochschule ist die künstlerische Ausbildung – die muss immer im Zentrum allen Wirkens stehen.

Und dann liegt mir ziemlich am Herzen, dass eine der größten Musikhochschulen Deutschlands in der Stadt noch nicht so wahrgenommen wird, wie ihr gebührt. Natürlich wird die UdK allgemein im Stadtleben wahrgenommen, aber es ist glaub ich nicht allen klar, was für eine große und bedeutende Musikhochschule sie ist. Diese Außenwirkung müssen wir verstärken und so finde ich es nach wie vor keinen so schlechten Plan, der Fakultät einen eigenen Namen zu geben. Das sind zwar Äußerlichkeiten, sie machen aber deutlich, was und wer wir sind.

Hinter uns liegt ein sogenanntes Corona-Semester. Was bedeutet das für die musikalische Ausbildung? Mach Corona erfinderisch?

Natürlich macht Corona erfinderisch, an jeder Stelle innerhalb der UdK muss man einen Großteil der Arbeit neu erfinden. Ich bin davon überzeugt, dass wir unseren Studierenden wieder die Möglichkeit bieten müssen, auf der Bühne zu stehen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe von uns allen, dass man innerhalb der bestehenden Corona-Regelungen alles macht, was möglich ist.

Die Situation des Auftretens gehört zur Ausbildung und das bedeutet für mich eben auch, dass wir ab dem Wintersemester die Öffentlichkeit wieder in die Hochschule bekommen müssen und zwar nicht nur für einzelne Leuchtturmprojekte der Universität. Wichtig sind auch die Vortragsabende – das ist zentrales Element des Studiums.  Studierende müssen auf der Bühne stehen können und zwar vor Publikum. Selbst wenn da nur vier Leute sitzen, hat es den Effekt, den es haben muss.

Der Unterrichtsbetrieb in den Häusern klappt inzwischen wieder ganz gut – aber nicht in allen Fächern. Die musikwissenschaftlichen und theoretischen Fächer finden immer noch nicht in Präsenz statt.

Seit Beginn der Krise sind die Rektoren der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin eng vernetzt und stimmen sich mit dem Senat ab. Und sie haben viel erreicht. Wir sind aber noch nicht in dem Zustand, dass man sagen kann, dass hier alles gut läuft.

Derzeit geht die Politik davon aus, dass das kommende Semester ein sogenanntes hybrides Semester wird. Das ist ein Wort, das man für alles benutzen kann – es ist nicht wirklich aussagekräftig. Zumal es in den künstlerischen Fächern so wahnsinnig wenig vernünftigen digitalen Unterrichten geben kann. In einem ingenieurwissenschaftlichen oder rechtswissenschaftlichen Studium mag das anders aussehen. Die Maßgaben werden jedoch für alle Universitäten in Berlin herausgegeben, da kann die UdK sich keinen eigenen Plan stricken. Der Berliner Senat hat beschlossen, dass die Universitäten im Wintersemester mit Ausnahmen weiter geschlossen bleiben. 

Daher müssen wir als Kunsthochschule die Erlaubnis bekommen, innerhalb des Regelwerks alles zu tun, was möglich ist.  Bei uns muss es Ausnahmen geben und zwar größere als in manchen wissenschaftlichen Fächern, wo eben mehr online unterrichtet werden kann. Also ist jeder Schritt, den wir als Hochschule gehen, noch komplizierter als für manche Kulturschaffenden außerhalb der Universität.  Wir können uns kein weiteres Corona-Semester leisten, was natürlich hinsichtlich Registrierungen, Kontrollen und Hygienekonzepten herausfordernd ist. Aber das müssen wir leisten. Wir können nicht eine ganze Generation von Studierenden auf nächstes Jahr vertrösten.

Wie kommen ihre Studierenden mit der Situation zurecht?

Meine Studierenden kommen klar, aber doch sehr unterschiedlich. Manche kommen gut zurecht und hatten sogar Probespiele (Anm: Vorspiel bei einem Orchester oder einem Musikensemble). Dadurch kommt das Leben wieder in die Klasse zurück. Wenn wir an der Hochschule wieder mehr Leben haben, sprich Vorspiele und Kammermusik, bin ich guter Hoffnung, dass dann auch die Stimmung in der Klasse wieder besser wird.

Die Zeit des Lockdows wurde sehr unterschiedlich erlebt. Eine meiner Studentinnen hat den digitalen Unterricht komplett abgelehnt. Aber sie hat für sich Stücke einstudiert, die sie schon lange einmal ausprobieren wollte. Und sie kam fantastisch aus der Pause zurück und hat gleich das 1. Probespiel gewonnen. Andere haben auch für sich geübt, kamen nicht gut mit der vielen Freizeit zurecht.

Ich habe eigentlich Kontakt mit allen gehalten, auch wenn einige keinen Online-Unterricht erhalten wollten. Manche haben den digitalen Instrumentalunterricht zwar ausprobiert, aber die Übertragungstechnik war so katastrophal, dass ich diejenigen verstehen kann, die das nicht möchten. Man kann zwar etwas besprechen, auch mal etwas spielen, aber an wesentlichen Dingen, wie Atmosphäre und Klang – allem, warum man Musik macht, daran kann man online nicht arbeiten.

Zum Glück konnten wir an der Hochschule das Üben vor Ort wieder recht schnell ermöglichen.

Erwähnen möchte ich auch das Nothilfe Programm, das die Fakultät für Studierende eingerichtet hat. Angehende Musiker*innen haben vielfach seit März keine Auftrittsmöglichkeiten und somit auch keine Einnahmequellen.

Es ist toll, dass eine Stiftung wie die Ernst von Siemens Musikstiftung sofort für die Musikhochschulen da war und dieses Problem gesehen hat. Auch hat der Freundeskreis der UdK, die Karl Hofer Gesellschaft, viele Spenden eingesammelt. Das ist eine großartige Unterstützung.

Wir haben dann im Fakultätsrat sofort ein Gremium unter meiner Leitung eingesetzt, um das Geld zu verteilen. Das fand ich ganz toll, wie schnell und selbstlos ein Verfahren entwickelt wurde. Ich danke besonders dem Engagement des Gremiums. Vor allem hat sich auch die studentische Vertreterin, die ja auch andere Sorgen hat, enorm reingehängt, um möglichst schnell, unbürokratisch und möglichst gerecht die Gelder zu verteilen. Im Wintersemester wird die Nothilfe erneut ausgeschrieben.

Gibt es aufgrund der aktuellen Situation Studierende, die das rein künstlerischen Studium abbrechen und stattdessen den vielleicht etwas pragmatischeren, aber sichereren Weg in das Lehramtsstudium wählen?

An den Bewerber*innenzahlen merken wir die Auswirkungen von Corona bislang nicht. Jemand der Musiker*in werden will, der hat das sowieso im Kopf und weiß, dass das eine verrückte Sache ist. Ein künstlerisches Studium birgt ein enormes Risiko. In Deutschland ist auch noch nicht abzusehen, welche Folgen für die Orchesterlandschaft und den freien Markt entstehen. Ganz pessimistische Leute sagen, Corona wird ein Orchestersterben nach sich ziehen. Das glaub ich eigentlich nicht. In anderen Ländern weiß man das nicht. Eine meiner ehemaligen Studentinnen, die in Australien in einem Orchester engagiert ist, startete gerade einen Protestaufruf, da das Orchester auf die Hälfte gekürzt werden soll. Ich bin, was Deutschland angeht, relativ optimistisch. Wir hatten schon ein großes Orchestersterben nach der Wiedervereinigung. Da ist schon eine gewisse Konsolidierung passiert und ich glaube nicht, dass das durch diese Krise wesentlich schlimmer wird.

Es gibt neuerdings an der UdK ein tolles Angebot für Leute, die nach dem künstlerischen Studium eine Ader für die Schulmusik feststellen. Wenn man also zum Beispiel ein rein künstlerisches Fach studiert hat, dann kann man den sogenannten Quereinsteiger-Master (Q-Master) anschließen, um damit in die Schulmusik zu gehen.

Ich finde die Lehrerbildung ungeheuer wichtig und wir müssen da an der UdK stärker werden, das fordert auch die Politik. Aber dies darf niemals das zentrale Fach an einer Universität sein. Das zentrale Fach muss die künstlerische Ausbildung sein. Das vergisst man manchmal, weil wir so viel über die Lehrerbildung reden müssen.

 

Eine letzte Frage noch. Wie sind Sie eigentlich zum Fagott gekommen?

Das mit dem Fagott ist eher so zufällig passiert bei mir. Angefangen habe ich wie viele mit der Blockflöte, wie man das so macht als Kind. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie. Dann habe ich das relativ schnell ein bisschen besser gemacht, als die anderen um mich herum - und mir hat es auch mehr Spaß gemacht als den anderen. Das hat auch eine schlaue Lehrerin gemerkt und mich so ein bisschen mehr gefördert mit der Blockflöte, die auch lang mein Hauptinstrument geblieben ist. Ich habe dann später auch beides studiert: Blockflöte und Fagott. Das Fagott war die Entscheidung als ich merkte, dass ich Musiker werden möchte. Als Blockflötist musste man nämlich immer etwas machen, um spielen zu dürfen, heute ist es noch viel mehr so. Und als Fagottist war man damals schon ziemlich gesucht. Und ich hatte eben beides gespielt und dass ich mit dem Fagott angefangen hab, das lag an meinem Musiklehrer in der Schule, der schlicht und ergreifend für sein Schulorchester ein Fagott brauchte. Der sagte mir, „Du kannst doch so schön Blockflöte spielen, dann probier‘ das doch mal.“ Dann habe ich Unterricht bekommen und das klappte auch wieder ganz gut. Wobei mein Herz immer noch bei der Blockflöte ist. Aber mit dem Fagott konnte man schneller und leichter in Ensembles mitspielen und das war mir wichtig. Und dann hat sich das so entwickelt, ich war aber noch mein ganzes Studium über unsicher, wohin die Reise geht.

 

Das Gespräch mit Prof. Hübner wurde bereits am 23. September 2020 geführt. Ab dem 2. November 2020 gelten strengere Maßnahmen für das Wintersemester im Pandemiebetrieb, die der Website der UdK zu entnehmen sind.

 

Eckart Hübner studierte bei Prof. K. Thunemann in Hannover Fagott und später bei Prof. Rohde an der Musikhochschule Leipzig Dirigieren. Nach Engagements als Solofagottist im Philharmonischen Orchester Dortmund und in der Badischen Staatskapelle wechselte er 1990 ans Solofagottpult im Sinfonieorchester des SWR. 1987 erhielt Hübner den Förderpreis des Deutschen Musikwettbewerbes und wurde in die Bundesauswahl "Podium junger Solisten" aufgenommen. Eckart Hübner ist Mitglied des Albert Schweitzer Quintetts, welches – neben vielen anderen Auszeichnungen – Preisträger des ARD-Wettbewerbes (1985) ist. Die zahlreichen Schallplattenaufnahmen dieses Ensembles werden in der internationalen Presse hoch gelobt. Die Gesamtaufnahme der Bläserquintette Anton Reichas (bei cpo) erhielt den Jahres-Preis der deutschen Schallplattenkritik. Neben diesen Tätigkeiten arbeitet Eckart Hübner mit vielen anderen Kammerensembles und als Solist. Heute zählt er zu den "renommiertesten Fagott-Solisten in Europa" (Musik und Theater, Zürich). Bei cpo erschienen u. a. Aufnahmen mit dem Nomos Quartett, den Fagottquartetten von Franz Krommer und Deviennes Fagottkonzerte mit dem Slowakischen Kammerorchester, die Erstaufnahme des Fagottkonzertes von Charles Koechlin mit dem SWR-Sinfonieorchester sowie die Fagottkonzerte Antonio Rosettis, die Hübner neben dem Solopart auch dirigierte (Deutsche Kammerakademie Neuss). Seit einigen Jahren erweitert sich seine musikalische Arbeit zunehmend auf das Dirigieren. So leitete er u. a. Projekte beim Kammerorchester des Europäischen Jugendorchesters, bei Orchestern wie der Staatskapelle Schwerin, den Bochumer Sinfonikern, der Jenaer Philharmonie, der Kammerphilharmonie Darmstadt, der deutschen Kammerakademie Neuss und dem Kurpfälzischen Kammerorchester, Mannheim. Hier entstand auch seine 2012 erschienene Aufnahme mit Mozarts Fagottkonzert und weiteren Rosetti Konzerten. Im Ausland ist er regelmäßiger Gast bei verschiedenen rumänischen Orchestern (u. a. dem Radiorchester Bukarest), bei der Riga Sinfonietta und dirigierte 2010 zum ersten Mal das Rotterdam Philharmonische Orchester. 1997 wurde er von der Universität der Künste Berlin zum Professor für Fagott und Ensemblearbeit berufen. Seine Studierenden nehmen inzwischen Positionen in führenden deutschen und europäischen Orchestern ein.

Zunächst als Prodekan, seit August 2020 als Dekan vertritt Prof. Hübner die Fakultät Musik der UdK Berlin.