Kurt Weill

Quelle: Bundesarchiv

Das Jahr 2025 soll nicht zu Ende gehen, ohne dass einer der berühmtesten Alumnen der Universität der Künste, Kurt Weill, anlässlich seines 125. Geburts- und seines 75. Todestages in der geschichtlichen Kolumne des Newsletters berücksichtigt wird. Weill studierte 1918/19 bei Engelbert Humperdinck an der Hochschule für Musik und gehörte von 1921 bis 1923 zu Ferruccio Busonis Meisterklasse. Weills Weg vom treuen Humperdinck- und vom bewundernden Busoni-Schüler zum Partner Brechts und zur Dreigroschenoper ist atemberaubend, aber im Kontext der Zwanziger Jahre doch auch konsequent.

 

Aufgewachsen in Dessau als Sohn des Kantors an der dortigen Synagoge, brach Kurt Weill mit Achtzehn nach Berlin auf. Die nicht allzu weit entfernte Reichshauptstadt suchte er auf, um sich an der Hochschule für Musik einzuschreiben; mitten im Weltkrieg träumte er davon, „ohne Einberufungssorgen“ komponieren zu können. Tatsächlich blieb er vom Kriegsdienst verschont: Vom April 1918 bis zum Juli 1919, also drei Semester lang, studierte Weill in der Fasanenstraße.

Mitten in diese Zeit fällt die Revolution vom 9. November 1918. Der Kaiser dankte ab und in monatelangen Wirren und Unruhen entstand die Weimarer Republik. Der ‚große Krieg‘ war für das Deutsche Reich verloren. Inmitten eines Umbruchs, wie er sich damals ereignete, liegen alt und neu oft nahe beieinander. Während in Berlins Mitte im Kampf um die politische Ordnung Schüsse fielen – Kurt Weill sympathisierte mit den Arbeiter- und Soldatenräten –, befand sich die ehemals Königliche Hochschule in Charlottenburg zunächst noch im Windschatten der sich überstürzenden Ereignisse. Das Attribut „Königlich“ wurde auf den Briefbögen, die das Sekretariat benutzte, sauber durchgestrichen; ansonsten lief vieles zunächst wie gewohnt weiter.

Mit Engelbert Humperdinck hatte nur wenige Jahre zuvor die neudeutsche Richtung in ihrer rheinisch-leichten Spielart an der Hochschule Fuß gefasst. Weill gehörte zu den nicht zahlreichen Studierenden, die der damals bereits kränkliche „Vorsteher“ der Abteilung für Komposition persönlich unterrichtete. „Durch einen Zufall bin ich zu Humperdinck gekommen“, berichtete Weill seinem Bruder. „Man hatte mich nämlich mit einem anderen verwechselt.“ Aber bereits in seinem zweiten Semester, vom September 1918 an, assistierte Weill seinem Lehrer bei der Orchestrierung der Oper Gaudeamus, einer komischen Studentenoper – das Sujet war damals bereits wie aus der Zeit gefallen. Und Weill selbst nahm Rilkes Cornet, einen Lieblingstext der zurückliegenden Jahre, nicht der „neuen Zeit“, als Vorlage für ein – heute verschollenes – „symphonisches Poem“.

Neben Humperdinck waren Friedrich Ernst Koch, ein Komponist der Berliner akademischen Schule, und Rudolf Krasselt, damals erster Kapellmeister an der Deutschen Oper in Charlottenburg, Weills Lehrer. Sie seien „gewiss nicht modern“, schrieb Weill wenige Wochen nach Aufnahme des Studiums. Doch verdankte er ihnen große technische Fortschritte, was er ohne Abstriche anerkannte. Nach einem Semester lautete sein Resümee, dass er erst jetzt „vom Komponieren überhaupt eine Ahnung gekriegt“ habe.

Im Archiv der Universität der Künste fand ich ein Dokument, in dem sich die damalige Übergangszeit spiegelt. Kurt Weill gehörte dem Schülerrat, einer neu geschaffenen Vertretung der Studierenden, an. Im Juli 1919 – rund ein halbes Jahr nach dem revolutionären Umsturz – muss es an der Hochschule hoch her gegangen sein. Ein Student hatte das hohe Alter vieler Lehrkräfte kritisch angesprochen. Regelmäßige Pensionierungen mit Vollendung des 65. Lebensjahres gab es in der Kaiserzeit noch nicht; sie wurden gerade erst eingeführt.

Es ist interessant zu sehen, wie Kurt Weill sich in dieser Konfrontation der Generationen verhielt. Er unterschrieb ein beschwichtigendes Schreiben, das um Nachsicht für den Übeltäter bittet; ja, er könnte bei der Abfassung des Briefs, der an das Direktorium der Hochschule für Musik gerichtet ist, sogar eine treibende Kraft gewesen sein. „Schmerzlich berührt hat die Schülerschaft der unharmonische und unwürdige Verlauf der Versammlung am vorigen Freitag“, heißt es dort. „Eine scheinbar unüberbrückbare Kluft hat sich zwischen Lehrenden und Lernenden aufgetan. Unser heißes Bemühen ist es nun, ein gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen.“ An der Hochschule, das zeigen diese wohlgesetzten Worte, war die Autorität des Alters noch nicht ganz gebrochen.

Zum Ende des Sommersemesters 1919 unterbrach Weill sein Studium; in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit musste er zum Unterhalt der elterlichen Familie beitragen und Geld verdienen. Er nahm eine Stelle als Korrepetitor am Theater in Dessau und danach als Kapellmeister in Lüdenscheid an. Der nächste Schritt auf seiner Laufbahn führte ihn dann aber nach Berlin zurück, und zwar nach Schöneberg, in die großzügige Wohnung Ferruccio Busonis am Viktoria-Louise-Platz. Der Lehrer durfte seine an der Preußischen Akademie der Künste eingeschriebenen Meisterschüler hier zum Unterricht empfangen.

Schon 1918/19 kursierte an der Hochschule das Gerücht, Busoni werde demnächst zum Direktor bestellt. Weill begrüßte diese Aussicht, doch wurde sie nicht zur Realität. Als er Ende 1920 sein Studium wieder aufnehmen wollte, hörte er, dass Busoni aus Zürich zurückkehren und – getrennt von der Hochschule – eine Meisterklasse übernehmen werde. Vermittelt durch den Musikschriftsteller Oskar Bie, konnte sich Weill im November 1920 bei Busoni persönlich vorstellen und einige Kompositionen zur Prüfung abgeben.

Es hätten sich „viele Kapazitäten“ gemeldet, teilte Busoni mit; da sei es fraglich, ob „für so junge Burschen“ wie Weill „noch ein Platz übrigbleibt“. So schrieb Weill von seiner ersten Berührung mit Busoni. Trotzdem wurde er angenommen. So kam es, dass Weill in die Atmosphäre von Busonis ästhetischer Utopie eintauchte; „er ließ uns sein Wesen atmen“, so drückte sich Weill später einmal aus. Die Unterweisung der kleinen Gruppe von nur fünf Studierenden begann im Januar 1921.

Busoni lernte den jungen Kurt Weill schätzen. Dieser benutzte – umgekehrt – in seinen Briefen voller Bewunderung die ehrerbietige Anrede „Sehr verehrter, lieber Meister“. Bald erhielt Weill den Auftrag, von Busonis Divertimento für Flöte und Orchester op. 52 eine Fassung mit Klavier herzustellen. Daran anknüpfend, komponierte Weill selbst ein Divertimento. Dessen letzter Satz wurde in einem Konzert mit Werken der Studierenden in der Sing-Akademie, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater, im Dezember 1922 aufgeführt

Gleichzeitig nahm Weill auf Empfehlung Busonis Stunden bei Philipp Jarnach, und er unterrichtete selbst erste Schüler, darunter den griechischen Komponisten Nikos Skalkottas und den Chilenen Claudio Arrau. Weills Ruf als angehender Komponist festigte sich. So wurde sein Streichquartett op. 8 in Frankfurt am Main uraufgeführt; danach stand es in Berlin in einem Konzert der Novembergruppe auf dem Programm, der sich Weill angeschlossen hatte.

Im Dezember 1923 wurde ihm ein Diplom der Akademie der Künste ausgehändigt, das Studium war nun förmlich beendet. Busoni erwies seinem Schüler die Ehre, ein von diesem komponiertes Werk für Klavier zu setzen. Es handelte sich um ein Lied aus dem Zyklus Frauentanz. Sieben Gedichte des Mittelalters für Sopran und fünf Instrumente op. 10. Busoni starb bereits ein halbes Jahr später, im Juli 1924, er wurde nur 58 Jahre alt. Zwar löste sich Weill schnell aus dessen persönlichem Umkreis – zu einem bloßen Adepten eignete er sich nicht. An der hohen Wertschätzung seines charismatischen Lehrers hielt er aber fest – so rasch er sich selbst wandelte.

Die Zugehörigkeit zur Busoni-Klasse ebnete ihm den Weg in eine neue Lebensphase. Beim Besuch einer Aufführung von Busonis Einakter Arlecchino an der Dresdner Semperoper wies Fritz Busch, der Dirigent, auf den Dramatiker Georg Kaiser hin. Dieser sollte als Librettist für eine ins Auge gefasste Ballettkomposition Weills gewonnen werden. Kurz darauf begegnete Weill ihm in seinem Haus in Grünheide bei Erkner; es bahnte sich eine intensive Zusammenarbeit an.

In Weills kurzem, ereignisreichen Leben, das später, in der Emigration, bis an den Broadway in New York führen sollte, begann eine neue Etappe.

 

Verfasser: Dr. Dietmar Schenk (ehem. Leiter des Universitätsarchivs)