Richard Strauss

Quelle: Max Liebermann: Bildnis von Richard Strauss; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Gudrun Stenzel

Das Symphonieorchester der UdK Berlin spielt in seinem Philharmonie-Konzert am 20. November Werke von Richard Strauss. Aus diesem Anlass schaut die geschichtliche Kolumne des Newsletter zurück auf die Berührungen des Komponisten mit der Berliner Hochschule für Musik, der heutigen Musik-Fakultät der UdK. In den letzten beiden Jahrzehnten des Kaiserreiches war Strauss in Berlin ‚vor Ort‘: Er wirkte an der Linden-Oper – und wäre gern Hochschuldirektor geworden.

 

Richard Strauss wuchs bekanntlich in München auf, und wichtige Uraufführungen wie Salome (1905), Elektra (1909) und Der Rosenkavalier (1911) fanden an der Semper-Oper in Dresden statt. Jedoch führte ihn seine Karriere – was heute wohl weniger präsent ist – auch nach Berlin: 1898 sagte er ein Angebot aus New York ab und ging in die preußisch-deutsche Hauptstadt. Dort blieb er bis in die Tage der Revolution, freilich mit abnehmenden Zeitanteilen. Er bekleidete das Amt eines Hofkapellmeisters und Generalmusikdirektors am Opernhaus Unter den Linden.

Von dort aus gesehen, war die – seit 1902 in Charlottenburg angesiedelte – Hochschule für Musik nicht weit entfernt. Das trifft für den Standort, aber auch die organisatorische Stellung zu. Zwar gehörte die Ausbildungsstätte zum Ressort des preußischen Kultusministers, während für die Hofoper die General-Intendantur der Königlichen Schauspiele zuständig war. Doch über allem stand – durchaus nicht nur formell – Kaiser Wilhelm II.

Auch gab es zwischen Oper und Hochschule personelle Verflechtungen, in die Richard Strauss involviert war. Das belegen zum Beispiel die Memoiren des Cellisten Heinrich Grünfeld (In Dur und Moll, 1923). In ihnen erzählt der Verfasser humorige Anekdoten aus seiner Freundschaft mit Strauss. Ihn hatte er bei Carl Halir, dem langjährigen Konzertmeister der Berliner Hofkapelle kennengelernt. Halir war zugleich Professor für Violine an der Hochschule und zweiter Geiger im Joachim-Quartett.

Richard Strauss gehört – mangels einer entsprechenden Funktion – nicht zu den Persönlichkeiten, die auf die Entwicklung der Hochschule Einfluss nahmen. Nur für kurze Zeit, von 1917 bis 1920, stand er einer Meisterschule für musikalische Komposition vor, einer jener Meisterklassen, die – wie die Hochschule, aber getrennt von ihr – der Akademie der Künste angegliedert waren. Doch hätte Strauss die Hochschulleitung wohl gern übernommen.

Knapp ein Jahrzehnt nach Strauss‘ Ankunft in Berlin, 1907, starb Joseph Joachim, der langjährige Direktor und Gründer der Hochschule für Musik. Für ihn musste also eine Nachfolge bestimmt werden. Im Ministerium war Friedrich Schmidt-Ott mit der Angelegenheit betraut. Der spätere letzte Kultusminister der Monarchie hatte damals das Kunst-Referat inne; seine bedeutende Stellung in der Kulturpolitik des Kaiserreiches gründete auf dem Vertrauen des Kaisers. Mit Geschick lavierte Schmidt-Ott zwischen den konservativen Einstellungen des Monarchen und den Forderungen der liberalen Musiköffentlichkeit, die man nicht gänzlich verprellen wollte.

In den Augen des Ministeriums hatte Joachims Tod eine große Lücke gerissen; er galt als unersetzlich. Unzählige Namen wurden in Betracht gezogen. Erst 1909 und lediglich „kommissarisch“ übertrug man Hermann Kretzschmar, dem Ordinarius für Musikwissenschaft an der Berliner Universität, in Personalunion auch das Amt des Hochschuldirektors. Richard Strauss gehörte nicht zu den ernsthaft erwogenen Kandidaten.

Er komme nicht in Frage, urteilte damals Max Friedlaender in einem ausführlichen Gutachten. Friedlaender – wie Kretzschmar Professor an der Universität – hatte 1906 das Kaiserliederbuch herausgegeben, ein Volksliederbuch für Männerchor, das im Auftrag des Kaisers entstanden war. Strauss zähle, so Friedlaender, zur „äußersten Linken“. Der Berater des Ministeriums spielte mit dieser Aussage auf die Modernität von Strauss‘ kompositorischem Oeuvre an, denn in politischer Hinsicht stand der Komponist mitnichten weit links.

Fast ein Jahrzehnt später, 1916, kam Friedlaender auf die Entscheidung zur Joachim-Nachfolge noch einmal zurück. Brieflich berichtete er Schmidt-Ott über einen „Temperamenterguß Richard Straussens“. „Ich hatte ihm neulich ganz harmlos wegen des Datums eines Goethe-Liedes geschrieben,“ teilte Friedlaender mit. In seiner Antwort habe Strauss dann aber „ganz andere Dinge“ ins Spiel gebracht. „Wie es scheint, ist er enttäuscht darüber, dass er seiner Zeit nicht als Nachfolger Joachims Direktor der Hochschule geworden ist.“ Eine Abschrift von Strauss‘ Schreiben fügte Friedlaender bei.

In ihm geht Strauss auf die graphische Gestaltung eines von Friedlaender übersandten Buches ein. „Man traut ja seinen Augen nicht, wenn man eine Edition des hochoffiziellen Berlins mit den Namen Slevogt, Kalckreuth geschmückt sieht“, schrieb er. „Sollte es in Berlin wenigstens für die bildende Kunst einmal tagen? Dann braucht Einer, der jetzt 20 Jahre an Ort und Stelle zusieht, ob sich in Berliner musicalibus einmal was ändert, noch immer nicht die Hoffnung sinken lassen, dass auch von Akademie und Hochschule die ‚Macht der Finsternis‘ weichen würde. Bis dahin werde ich wohl tot sein und nachträglich wird sich vielleicht mancher wundern, wie lange ich incognito (wenigstens von ganz oben gesehen) in dem schönen Berlin gelebt habe, und wie so manches Gute ich vielleicht hätte stiften können, wenn man hoher und höchster Seite von meiner Anwesenheit daselbst gewusst hätte.“

Friedlaender nahm Strauss‘ Äußerung so wichtig, dass er das Ministerium darüber informierte. Die Auffassung, dass dieser für die Joachim-Nachfolge nicht in Frage kam, rechtfertigte er von neuem. „Seine Wahl  würde, wie ich glaube, allgemeines Kopfschütteln erregt haben, denn ein Künstler von extrem secessionistischer Richtung gehört wohl nicht an die Spitze eines staatlichen Unterrichtsinstituts. Liebermann und Corinth als Direktoren der nachbarlichen Hochschule hätten ähnlich befremdlich gewirkt.“ Gemeint ist hier die Königliche akademische Hochschule für die bildenden Künste, die der große Widersacher der Berliner Secession und aller auf sie folgenden modernen Strömungen, Anton von Werner, bis zu seinem Tod 1915 leitete.

Freilich gab es gerade eine Vakanz an den Meisterschulen. Friedlaender schlug nun vor, Strauss an dieser Stelle zu berücksichtigen: „Hier wäre Strauss der erste Mann, und gegenüber diesem größten unter den lebenden Komponisten schrumpfen alle anderen Kandidaten zu Pygmäen zusammen“. Namentlich erwähnt sind Arnold Mendelssohn, Hans Pfitzner, Max von Schillings, Eusebius Mandyczewski und Julius Röntgen.

Das Kultusministerium folgte Friedlaenders Rat, so dass Strauss doch noch eine Chance erhielt, an einer der Berliner Ausbildungsstätten Gutes zu bewirken. Seine Tätigkeit blieb freilich eine Episode; durch den Weltkrieg beeinträchtigt, endete sie nach kurzer Zeit mit dem Untergang des Kaiserreiches. 1919 wechselte Strauss nach Wien.

Noch ganz zuletzt zeigte er sich selbstbewusst und provokant. Dem „verehrlichen Sekretariat“ der Berliner Akademie teilte er im Juni 1920 mit, dass er sich während des Sommers in seiner Villa in Garmisch aufhalten werde; er sei aber bereit, die Studierenden „daselbst zu empfangen und zu unterrichten“. Nun ist Garmisch-Partenkirchen von Berlin aus nicht so nah wie Charlottenburg – inzwischen hieß der Präsident der Akademie der Künste Max Liebermann; er notierte am Rand des Schreibens: „Das nennt man Unterricht. Es ist ein Skandal“.  

  

Verfasser: Dr. Dietmar Schenk (ehem. Leiter des Universitätsarchivs)