Kunstuniversität des 21. Jahrhunderts

Kunstuniversität des 21. Jahrhunderts

(Dieser Text beruht auf einem Vortrag Prof. Dr. Norbert Palz auf dem Sommerfest der BWG am 11. August 2021.)

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Durch die aktuelle Corona-Pandemie stellt sich die aufgeworfene Fragestellung, nämlich was wohl die Qualitäten und Eigenschaften einer Kunstuniversität des 21. Jahrhunderts ausmachen, in einem noch schärfer konturierten Maße, da Vieles was bislang für eine künstlerische Bildungsinstitution wichtig und unverzichtbar schien, in den letzten Monaten pandemiebedingt nur in eingeschränkter Form zu realisieren war und dementsprechend geprüft und überdacht wurde.

Obwohl der Titel in allgemeiner Form den Typus der Kunstuniversität benennt, steht im Zentrum der Betrachtung naturgemäß die Universität der Künste Berlin.  Sie ist mit ihrem Universitätsstatus und in ihrer Qualität als herausragenden Bildungsort von über siebzig Studiengängen, der im europäischen Raum einzigartig ist, besonders geeignet, als Beispiel für andere zu dienen. In ihren vier Fakultäten Bildende Kunst, Gestaltung, Musik, Darstellende Kunst, dem Hochschulzentrum Tanz, dem Jazz- Institut und dem Zentralinstitut für Weiterbildung studieren rund 4000 Studierende, bei ca. 200 festangestellten Professorinnen und Professoren[1] (Vergleich TU Berlin: 400).

Die Universität blickt auf eine 325-jährige Gründungsgeschichte zurück, die alles andere als linear verlief und die die heute zugrundelegende institutionelle Form erst in den 1970er Jahren fand, im Zusammenschluss der Hochschule für Bildende Kunst mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst zur Hochschule der Künste Berlin. Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass dieser politische gewollte Zusammenschluss seinerzeit mit äußert gemischten Gefühlen seitens der neuen Kollegien betrachtet wurde, entsprang er doch eher dem damals favorisierten Bedürfnis nach institutionellen Großstrukturen, als einer künstlerischen Konzeption. Mit dem Jahr 2001 erlangte die Hochschule nun ihren Universitätsstatus, sie besitzt das Promotions- und Habilitationsrecht und firmiert seitdem unter dem Namen „Universität der Künste Berlin“.

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Im Folgenden möchte ich drei Perspektiven aufziehen, die ich für die produktive Weiterentwicklung einer zeitgenössischen künstlerischen Hochschule für wichtig erachte. Diese sind naturgemäß nicht als in sich geschlossenen fachliche oder organisatorische Ausschnitte zu begreifen, sondern stehen in einem komplexen Wechsel- und Überlappungsverhältnis zueinander, welches aber die klare Identifikation von Ursache und Wirkung von strukturellen Zuständen nicht selten erschwert. Insbesondere bei einer so großen und komplexen Institution wie der UdK Berlin. In meinem Vortrag werde ich an der einen oder anderen Stelle auf diese Querverbindungen und Verschränkungen verweisen.

Die Perspektiven entwickle ich anhand der drei Begriffe von institutioneller Geschichte (1), Gegenwart (2) und Zukunft (3) aus denen – meiner Auffassung nach – sich eine echte Korrespondenz von authentischer externer institutioneller Wahrnehmung und innerem Haltungskorridor den Hochschulmitgliedern in jeweils eigener Zeitgenossenschaft entwickeln kann. Eingeschrieben sind hier aber auch Forderungen, die für andere Institutionen ebenso von Relevanz sein können und über den Untersuchungsgegenstand UdK Berlin hinausweisen.  Beginnen möchte ich mit einer Akzentuierung einer historischen institutionellen Perspektive, der ich für die Ausbildung einer gegenwärtigen und zukünftigen Haltung eine große Bedeutung zubemesse.

Die Weiterentwicklung der Universität kann in besonderem Maße von einem aktiven und gelebten Umgang mit ihrer eigenen institutionellen Geschichte profitieren.

Der Blick zurück in der Zeit gewährt Projektionsmöglichkeiten für die Zukunft. In diesem Blick scheinen über die Zeit inhaltliche Symmetrien, neue Begegnungen und prozessorale Verwandtschaften auf, die trotz ihrer Distanz von hoher Aufschlusskraft sein können. Er gleicht nicht einer Betrachtung abgeschlossener und entkoppelter Inhalte aufgereiht an einer Zeitachse, sondern begreift Geschichtsrezeption als lebendiges Material für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft

Schauen wir auf die Aktivitäten der Vorläuferinstitutionen der UdK Berlin zu Zeiten der nationalsozialistischen Machtergreifung, wird deutlich, wie tief sich die politische Ideologie auch in die künstlerische Lehre einschrieb. Was jedoch besonders auffällig war, ist die Geschwindigkeit, in der eine anspruchsvolle Reforminstitution wie die Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst zu einer mehr oder weniger linientreuen Institution mutierte. Ein nur zweijähriger Prozess zwischen 1932 und 1934 war dafür nötig, der im Jahr 1938 mit der Berufung Arno Brekers, Adolf Hitlers favorisiertem Bildhauer, seinen prominenten Ausdruck findet.

Es sind die Künste, in denen der favorisierte ästhetische Stil der Diktatur verhandelt wird, welcher den Expressionismus Emil Noldes mit den formalen Zugriffen der neuen Sachlichkeit und einem mutierten Neoklassizismus kreuzt, um so einen emotionalen Zugriff auf die Betrachtenden zu entwickeln. Diese Wirkungsmacht wurde durch die Vermittlung über ideologische Studieninhalte in der Lehre potenziert und pulsierte über die ausgebildeten Künstler*innen in die Gesellschaft hinein.

Der Blick in diese institutionelle Zeitschicht lehrt uns, wie inhaltlich fragil eine Institution sein kann, wie angreifbar sie für politische Kräfte ist, die auf ihre Vermittlungsmöglichkeiten einwirken wollen. Vorsicht walten zu lassen gegenüber antidemokratischer Unterwanderung universitärer Entscheidungsfindung, institutioneller Autonomie und der in Forschung und Lehre verhandelten künstlerischen Themen ist aktueller denn je.  Der reflektierte Umgang mit der institutionellen Geschichte, auch wenn sie schwarze Flecken aufweist, liefert eine konkrete und glaubwürdige Grundlage, mit der eine klare politische Positionierung für die Zukunft gelingen kann, jenseits von üblichen Unterschriftenlisten und wohlgemeinten Solidaritätsbekundungen. Dieser Umgang bedarf der beständigen Einübung und Praxis und muss den Weg in das Bewusstsein der Hochschulmitglieder finden, besonders der Studierenden, er soll auch den Weg in Lehre finden, das historische und gegenwärtige politischen Gesamtsystem im Blick haben und beständig weitergeschrieben werden.

Es ist offensichtlich, dass hier der Arbeit von Forschenden in der Universität und außerhalb eine besondere Bedeutung zukommt, ebenso wie die Möglichkeit aktiver Nutzung der Universitätsarchive vonnöten ist, um inhaltliche Brücken zwischen den Zeiten zu bauen. Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und mehrdimensionalen Datenspeicherung bieten hierfür offene Zugriffsmöglichkeiten, die in Forschung und Lehre wirksam werden können, jenseits einer physisch und konservatorisch herausfordernden Archivkultur – ein Punkt, auf den ich später noch zu sprechen komme.

Doch zurück zu dem institutionsgeschichtlichen Aspekt.

Aktuell untersucht die Universität der Künste Berlin ihre eigene historische institutionelle Substanz an verschiedenen Stellen, sei es in der Forschung oder in der Lehre, sie tut dies anhand vorliegender künstlerischer Artefakte vom schon genannten Arno Breker z.B. in der Architektur des Olympiageländes und sie tut dies zu bislang unverdächtig erscheinenden Künstlern und Gestaltern wie z.B. Paul Baumgarten, der aufgrund neuer Erkenntnisse zu seinen NSDAP- und SS-Mitgliedschaften gerade einer revidierten Betrachtung unterworfen wurde. Und sie tut dies öffentlich, transparent und nach Möglichkeit unter Beteiligung von Lehrenden und Studierenden. Dem folgend werden wir in den nächsten Jahren mehrere öffentliche Veranstaltungen begleiten und organisieren, die diesem institutskritischen Blick auf die eigene Geschichte verpflichtet sind und die bestehenden Erkenntnisse aktualisieren und erweitern sollen.

Dieser letzte Satz stellt schon die Verbindung zu einer produktiven Betrachtung der Gegenwart her, – dem zweiten Abschnitt meines Vortrags –, einer künstlerischen Gegenwart, die in ihrer Haltung reflektierte traditionsbewusste Fachlichkeit auf höchstem Niveau mit spekulativem künstlerischen Experiment zu den künstlerischen Fragen der Gegenwart auf immer neue Weise zu vermählen vermag.

Trotz all der Diversität der Themen und Fächer, welche an der Universität der Künste vermittelt und beforscht werden, durchzieht ein sich ständig in Vergegenwärtigung begriffener Kunstbegriff die Fachkulturen, der zwar nicht homogen, jedoch einem gemeinsamen Weltzugang verpflichtet ist, welcher sich einer autonomen, kritischen, reflektierenden, immer neu ausdeutenden und produktiven Haltung verpflichtet fühlt. Diese tieferliegende Matrix, welche aus den Künsten selbst gebildet wird, erlaubt es mir heute überhaupt, über so diverse Fachkulturen wie z.B. Schauspiel und Orgelstudium in einem Atemzug zu sprechen. Die Künste sind der Resonanzboden für die einzelnen Fachkulturen, der immer neu und auf eigene Art angeschlagen wird.

Doch was sind die künstlerischen Fragen, die aktuell von den Lehrenden und Studierenden verhandelt werden? Was sind zeitgemäße Formen künstlerischer Praxis, wie definieren sich Autorenschaft und Werk im Kontext zeitgenössischer menschlicher und nichtmenschlicher Akteur*innen? Welchen Bezug stellen die Künste zu den Wissenschaften her und umgekehrt? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen fällt zugegebenermaßen schwer, doch gilt es, diese Fragen – im Sinne der institutionellen Zeitgenossenschaft –  herausfordernd, mutig und beständig zu stellen und über Forschung, Lehre und künstlerische Praxis mögliche Antworten praktisch auszuleuchten.

Die Verhandlung politischer Themen bildet das gegenwärtige Zentrum zeitgenössischer künstlerischer Praxis. Behandelte Themen umfassen prominent beispielsweise die Einflüsse der kolonialen Vergangenheit in der Kunstrezeption, Produktion und Theoriebildung. Thematisiert wird allein oder verschränkt die Rolle der Künste und Gestaltung zu Fragen von Nachhaltigkeit, des Klimawandels und politischen Wandels. Der Einfluss digitaler Medien und neuer algorithmischer Konditionen von Autorenschaft durch Künstliche Intelligenz findet sich ebenso prominent als Sujet wie die Untersuchung diskriminierungssensibler Zugänge in einer Vielzahl künstlerischer Ausdrucksformen und unter kritischer Inspektion des traditionellen Kanons der Künste und der eigenen institutionellen Verfasstheit. Es ist der medial komplexen und drängenden Gegenwart, der permanenten Kommunikation und Information und ihren Krisen geschuldet, dass die hierzu gestellten Fragen mit einer eigenen Radikalität und einem Umbruchwillen gestellt werden, die prägnant sind.

Das Besondere an unserer Institution ist, dass mithilfe des Mediums der Künste bestehende ästhetische Paradigmen, aber auch institutionelle Strukturen und Handlungsformen kritisch hinterfragbar, künstlerisch ausdeutbar und transformierbar werden. Aktivistische und politische Arbeit ist Kunstpraxis (wie wir ja schon bei der Beuys’schen Institutionskritik an der Akademie Düsseldorf feststellen konnten). Sie kann zum Werk selbst führen und folgt anderen Regeln von politischer Aushandlung.  Doch sind sie auch von enormer Wichtigkeit und helfen bei einer kritischen Selbstreflektion der Paradigmen von Lehre, Forschung und Governance. Als zeitgenössische Hochschulleitung sind wir kommunikativ gefordert und nehmen diese herausfordernde Aufgabe an, in Zuversicht auf eine institutionelle und künstlerische Weiterentwicklung.  Es sind oftmals die Studierenden, die hier die ersten und entscheidenden Impulse setzen, welche dann von der Lehre aus in die anderen universitären Strukturen hineinstrahlen. So widmet sich beispielsweise die Universität den Fragen des Klimawandels auf verschiedenen Ebenen, sei es in der Forschung, der Lehre, ihren internationalen Kooperationen, ihren Modalitäten des Studierens, der internen und externen Kommunikation und anderen Abläufen universitären Arbeitens. Vergleichbares auch öffentliches Engagement über alle Statusgruppen hinweg findet sich aktuell auch bei Fragen von Antidiskriminierung und der Entwicklung einer diverseren Hochschule.

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Zu diesem diskursiven künstlerischen Selbstverständnis tritt mit der künstlerischen Forschung eine weitere, methodische und epistemische Ebene hinzu, die sich aus dem aktiven Verhältnis künstlerischer, wissenschaftlicher und auch hybrider Zugänge speist und neue Praktiken in den Künsten hervorbringt. In der jüngsten Publikation des Wissenschaftsrates zur postgradualen Qualifikationsphase an Kunst- und Musikhochschulen wird die künstlerische Forschung oder „artistic research“ wie folgt kurz beschrieben:

„Zumeist wird damit eine in der künstlerischen Praxis verankerte, kritische, von einer konkreten Fragestellung ausgehende Reflexion künstlerischer und gesellschaftlicher Prozesse bezeichnet. Künstlerisch Forschende beanspruchen, methodengeleitet und nachprüfbar neues Wissen zu generieren, das seinerseits der Weiterentwicklung künstlerischer Ausdrucksformen dienen und auch innovativ in andere Wissensgebiete und gesellschaftliche Bereiche wirken soll. Künstlerisch Forschende verstehen sich als Mitglieder einer forschenden Community, die an einem fachlichen Diskurs partizipieren, der prinzipiell alle gängigen künstlerischen Ausdrucksformen annehmen kann und zum Erkenntnisfortschritt beiträgt.“[2]

Als größte Kunstuniversität im europäischen Raum steht es der UdK Berlin gut zu Gesicht, hier wegweisende Impulse in diesen neuen Qualifizierungswegen zu setzen, postgraduale Ausbildung zu fördern, dabei eine qualitätvolle Bearbeitung sicherzustellen, die dann mit einer Promotion abschließen kann – aber nicht muss. Die aktuellen Diskussionen um die Novelle des Berliner Hochschulgesetz zeigen aber auch, dass auch auf der politische Ebene um Verständnis für diese neuen Qualifizierungsformen geworben werden muss. So ist der UdK Berlin bislang nur ein Promotionsrecht zugewiesen, welches sich auf wissenschaftliche Promotionen begrenzt und keine künstlerisch-wissenschaftliche Qualifizierung zulässt.

Die Universität der Künste ist gut beraten, bei der Erarbeitung dieser Formate den aktiven Austausch und die Kooperation mit anderen europäischen und außereuropäischen Hochschulakteuren zu suchen. Aktuelle künstlerische und wissenschaftliche Projekte entlang dieser Haltung finden sich in existierenden Kooperationen mit der University of Oxford, in Forschungsverbünden mit der Technischen Universität Berlin, in einem Austausch mit der Zürcher Hochschule der Künste und anderen, die es weiter auszubauen gilt. Auf schon bestehendem Wissen erfolgreicher Projekte, wie das DFG geförderte Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“, gilt es aufzubauen, aber auch hochschulweite strategisch wirksame Forschungsstrukturen neu zu konzipieren und eine aktive Qualitätssicherung dieser künstlerisch-wissenschaftlichen Entwicklungsvorhaben bereitzustellen.

So entstehen neue künstlerische Interaktionsformate inter- und transdisziplinären Studierens und Forschens mit Erkenntnisgewinnen für alle Beteiligten. Doch ist zu beachten, dass mit der Aufwertung dieser offeneren methodischen Praxis nicht die vertiefende Expertise der jeweiligen Fachkulturen mit einer rückständigen Wertung versehen wird.

Die Universität der Künste in Berlin ist mit ihrer fachlichen Breite in besonderem Maße geeignet, sowohl thematisch durchlässigere Formate über die einzelnen Fachkulturen zu entwickeln, als auch diese tiefere fachliche Spezialisierung anzubieten. Hierzu ist eine interne Kommunikation mit den Hochschulmitgliedern nötig, um das umfassende fachliche Potential der UdK Berlin aufzuzeigen und enge fakultäre Grenzziehungen aufzulockern. Die UdK Berlin ist also weiter auf der Reise von einer administrativ geprägten Organisationsstruktur künstlerischer Ausbildung der 1970er Jahren zu einer modernden inhaltsgetriebenen Universitätsstruktur, welche die reiche Ökologie künstlerischen Arbeitens, Forschens und Reflektierens ermöglicht, die auch ehrlicherweise von uns erwartet wird und die es zu fördern gilt. Diesen Gedanken folgend und auf Bestehendes aufbauend, haben wir beispielsweise das Studium Generale, welches für alle Studiengänge im Bachelor verpflichten zu belegen ist, mit zwei Professuren (eine aus dem künstlerischen und eine aus dem wissenschaftlichen Feld) als kuratorische Leitung verstetigt und noch enger personell mit den vier Fakultäten und den Zentren verzahnt. Im Wintersemester 2021/2022 wird die fakultätsübergreifend kooperative künstlerische und gestalterische Projektarbeit durch eine eigens eingestellte Professur formalisiert, um hier eine semesterlange, vertiefte Beschäftigung der Studierenden über Fakultätsgrenzen hinweg anzubieten und eine neue strukturierte Projektform nach Innen und Außen kommunizieren zu können. 

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Neben den hier beschriebenen methodologischen und thematischen Anpassungen an die künstlerische Lehre und Forschung findet gerade ein medialer Umbruch statt, der sich entlang einer immer zugänglichen, interaktiveren, leistungsfähigeren und ökonomischeren digitalen Infrastruktur entwickelt und der positive Entwicklungsmöglichkeiten für die künstlerische Praxis, aber auch die globale Teilhabe institutioneller und außer-institutioneller Akteure an künstlerischen Diskursen und Projekten bietet. Meine eigenen gestalterischen und wissenschaftlichen Erfahrungen in Forschung, Lehre und Praxis haben mich seinerzeit von der künstlerischen Relevanz digitaler Medien für eine architektonische Entwurfspraxis der Gegenwart überzeugt und nachhaltig geprägt. Es verwundert deshalb nicht, dass ich die pandemiebedingte Mediatisierung künstlerischer Ausbildung an der UdK Berlin mit Zuversicht begleitet und von Anfang an gefördert habe. 

In einer engagierten kreativen Gemeinschaftsarbeit von Studierenden und Lehrenden der Fakultät Gestaltung, hier besonders aus den Bereichen Kunst und Medien, wurde so im Verlauf des letzten 1.5 Jahr eine UdK Berlin-eigene digitale Plattform entwickelt, welche künstlerische Arbeit, Austausch, und Repräsentation ermöglicht. Die Besonderheit dieser Plattform, die unter dem Namen UdK SPACES firmiert, liegt in ihrem datenschutzkonformen und industrieunabhängigen open-source Konzept, welches die inhaltliche und logistische Kontrolle den Universitätsakteuren proprietär überlässt und von einem Nachhaltigkeitsdenken der IT Ressourcen geleitet wird. Mithilfe diese wachsende Schnittstelle werden wir im Verlauf der kommenden drei Jahre digitale Experimente zur künstlerischen Lehre entwickeln, gefördert mit einem Drittmittelbudget von 2.0 Millionen Euro, welches in personelle, technologische und infrastrukturelle Ausstattung fließen und eine Differenzierung künstlerischer Schnittstellen in Abstimmung zu ihren ganz spezifischen fachlichen Anforderungen herausarbeiten wird.  Wir sind überzeugt, dass durch diese Erkenntnisse neue Formen des Studierens erwachsen, die in einem hybriden Raum zwischen analogen sinnlichen Erleben von Material und Raum und einer erweiterten produktiven Vermittlung relevanter digitaler Inhalte entstehen kann, die den Studierenden neue Formen emphatischer Begegnung mit den Künsten liefert.

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Die hier angerissenen Themen sind allesamt in einem Feld zwischen den Künsten und Wissenschaften verortet und bieten der UdK Berlin Anschlussmöglichkeiten bei der institutionellen Verortung im Berliner Wissenschaftsraum. Die wachsende Erkenntnis über die innovativen Potentiale künstlerischen Denkens und Handelns führt bei unseren Partnerinstitutionen in zunehmenden Maße zu Kooperationsfragen an die UdK Berlin, was uns sehr freut.

So arbeiten wir aktuell im Verbund mit der TU Berlin, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der Charité und anderen an einem Antragsentwurf für das Einstein Center Climate Change and Public Policy of Human Settlements, kurz ECCC. Auch können wir auf einen respektablen Exzellenzcluster-Antrag verweisen, der im Verbund mit der Technischen Universität gestellt wurde. So wichtig die Bildung dieser gemeinsamen Forschungsverbünde für die UdK Berlin innerhalb der Wissenschaftslandschaft Berlins auch sind, so gilt es doch immer, ein Augenmerk auf ein paar inhaltliche Aspekte zu legen, die für den nachhaltigen Charakter der UdK Berlin von Bedeutung sind.

Die innovative multi- und interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen universitätsübergreifenden Partnern beruht auf einem authentischen Rollenverständnis der Universität der Künste Berlin, welches durch die Charakteristika der Künste erfordert wird. Die Künste operieren hierbei mit ihren eigenen methodologischen Freiheitsgraden, sie können besondere thematische Referenzen aufbauen, haben andere Beurteilungskriterien und entwickeln Kontraste zur klassischeren wissenschaftlichen Narration. Durch ein künstlerisches Vorgehen werden aber auch neue inhaltliche Ebenen aufgeschlüsselt, welche unabhängiger von paradigmatischen Setzungen der Kerndisziplinen operieren und sie in einem neuen fachlichen Dialog erweitern und in diesen zurückwirken. Unser künstlerisches Selbstverständnis bezieht sich auf die grundlegenden Eigenschaften der Zweckfreiheit künstlerischen Handelns und individueller Ausdeutbarkeit, die es jedoch im Projektverbund mit den Partnern gemeinsam auszuhandeln gilt. Es sind Prozesse, die für uns zukünftig von hohem Interesse sind.

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In dieser spekulativen Neuverhandlung künstlerischer Identität, die wir aktuell innerhalb und außerhalb der Universität durchführen, pflegen wir auch einem fachlich-historischen Diskurs, den es auch zukünftig zu kultivieren gilt. Die inhaltliche Verdichtung in der Disziplin, über die beständige künstlerische Reflektion historischen Materials, welche wir beispielsweise in der klassischen Musik praktizieren, ist innig verwoben mit ihrer Zeit, die einen eigens gestimmten Resonanzboden dafür ausbildet. Sie ist verbunden mit den handelnden Künstler*innen in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten und auch den kultur- und geisteswissenschaftlichen Texturen, die sich über dieses Medium neu aufschlüsseln lassen. Der Blick in die Zukunft dieser Institution schaut deshalb immer auch in die eigene Vergangenheit. Sie ist ein Schatz, in dem sich das Palimpsest künstlerischen Handelns über ihre Menschen, Dinge und Orte zeigt und in die Zukunft projiziert.  Sie ist auch ein nachhaltiges Argument für die*den einzelne*n Studierende*n für ein mögliches Leben in und für die Künste.

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Ich komme nun zu meinem letzten Punkt, der sich mit der universitären Zukunft beschäftigt. Fragen institutioneller Identität, Grenze und Wahrnehmung sollen hier eine Rolle spielen, ebenso eine Sichtweise auf mögliche diskursivere Auslegungen der Hochschulleitungsaufgaben.

Es ist meine feste Überzeugung, dass eine nach vorne gewandte künstlerische Hochschule gut beraten ist, die Frage nach der Position und Gestalt ihrer institutionellen Grenze zu stellen.

Gleicht sie einer Schwelle, die eher ausschließend oder eher einem Transferraum, der einladend gestaltet ist? Ist sie eher dem Kanon der Künste und dem Akademiegedanken verpflichtet oder bildet sie eine neue Ökologie künstlerischen Studierens aus, die in einem dynamischen Zugriff auf Traditionen einerseits, nach vorne gerichteter spekulativer Praxis und einer weiter gefassten Teilhabe andererseits entsteht?

Letzteres ist mein Ziel.

Ich denke, dass die schon erwähnten neu entwickelten digitalen Formate der Kommunikation bei einer institutionellen Öffnung und Perspektivenbildung eine gute Hilfestellung leisten können. Wir sehen hier auch eigene Möglichkeiten temporärer oder dauerhafter Teilhabe von Personen, deren Herkünfte außerhalb des europäischen Raumes liegen, es ist eine Teilhabe auch ohne verpflichtende institutionelle Verortung, die dem inhaltlichen Austausch, aber auch der gemeinsamen künstlerischen Praxis zu Gute kommen kann und unsere zentraleuropäischen Verständnisse künstlerischer Praxis zu verändern vermag. Nicht selten ist der digitale Raum auch eine Möglichkeit, bedrohten Künstler*innen einen Ort für ihre Arbeit und Präsenz zu geben, wie wir es gerade zusammen mit der Akademie der Künste und anderen Institutionen bei der Europäische Allianz der Akademien versuchen.  

Diese Porosität institutioneller Grenzen, die zunehmend digital genährte rhizomartige Morphologie der Hochschule, befördert ein neues Verhältnis zwischen gewachsenen territorialen, materiellen Strukturen und flüchtigeren, global kommunizierenden und verortenden digitalen Räumen, welche tiefe Auswirkungen in der Art und Weise unserer Forschung und Lehre nach sich ziehen werden und die es mit künstlerischer Haltung zu entwickeln gilt. Es ist ein Projekt, welches ich gerne in meiner Amtszeit nach vorne bringen möchte. Es ist auch eine Aufgabe, die von meinem gestalterischen Denken als Architekt geprägt ist und nun in eine Hochschulleitungsaufgabe zu übertragen ist.

Durch meine Verantwortung als Präsident, die mir durch das Berliner Hochschulgesetz und die Grundordnung der UdK Berlin erwächst, fühle ich mich der Transparenz und Kohärenz meines Handelns vor den Hochschulmitgliedern in besonderem Maße verpflichtet. Diese Verantwortung wahrzunehmen und dabei die Geschicke der Schule strategisch weiterzuentwickeln, gelingt in Teamarbeit am besten und erfordert eine kommunikative Offenheit, die Inhalte über Status stellt.

Hierzu müssen aber auch neue Beteiligungsformate erdacht werden, die einer Distanzierung der Hochschulleitung von anderen Statusgruppen, insbesondere den Studierenden, vorbeugt. Ihre Beteiligung an der Entscheidungsfindung mit der Hochschulleitung ist ein aktuelles Projekt, welches wir mit der Einsetzung einer*eines studentischen Vizepräsident*in realisieren möchten. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir durch diesen Hierarchieabbau eine innigere Verzahnung zwischen der Statusgruppe der Studierenden und der Leitungsebene erreichen, die die Kommunikationskanäle erweitert, längerfristig Konflikte abbaut und negative Zuschreibungen verringert. Es ist unser Ziel als Hochschulleitung, durch dieses Teilen von Macht einen Zugewinn an Einsicht zu erlangen und bessere und einvernehmlichere Lösungen für die Universität der Künste zu erreichen.

Dieser Prozess der Begegnung beruht auf einem diskursethischen Bestreben, welches – immer noch – des ‚zwanglosen Zwangs des besseren Arguments‘ bedarf. Dieser Prozess ist idealiter um einen hierarchiefreien Diskurs bemüht, der sich in den Kommunikationsakten selbst zeigt und auf einer Zuversicht beruht, dass trotz aller Meinungsunterschiede eine tragfähige Kommunikation der Akteur*innen erzielbar sein kann.

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Dieser Blick in die Petrischale institutioneller Entwicklung einer ganz besonderen künstlerischen Universität zeigte ein paar der zukünftigen Entwicklungsfelder auf, anhand derer eine zeitgenössische und progressive Identitätsbildung ablesbar wird. Es ist und bleibt ein ungemein spannendes und herausforderndes Projekt.

 

 

 

 

 

[1]  https://www.berlin.de/sen/wissenschaft/service/leistungsberichte/udk_leistungsbericht_2019.pdf

[2]  Empfehlungen zur postgradualen Qualifikationsphase an Kunst- und Musikhochschulen (Drs. 9029-21), April 2021, S. 8. (https://www.wissenschaftsrat.de/download/2021/9029-21.html)