Artist Talk with Enzo Camacho (+ Amy Lien)

Samstag, 7.7.2018
14.45 Uhr

In englischer Sprache
Moderation: Elsa Guily

Manananggal ist ein von den Philippinen stammendes mythologisches Wesen. Sie hat die Form einer in der Mitte zerteilten Frau. Du kannst sie nicht gleich sehen, obwohl sie ganz nahe bei dir lebt. Du traust dieser Nachbarin nicht, obwohl du ihr oft begegnest. Es liegt etwas Seltsames in ihrer Art, sich mitzuteilen, angespannt und lückenhaft, und in ihrer morbide attraktiven Erscheinung. Ihr Verlangen wächst wie ein sich ausbrei­tendes Geschwulst unter ihren entstellten Worten und ihrer verstümmelten Haut. Man erahnt das hässliche Gewächs darunter. Nachts schleicht sie sich in den Wald. Sie beobachtet ihre Umge­bung, um sicherzustellen, dass sie allein ist. Ihr Körper reißt an der Taille auseinander, als würde eine Kraft sie von innen zerfet­zen. Ihre Beine stehen fest auf dem Boden, während ihr Rumpf darüber schwebt. Diesem wachsen Flügel und eine lange, röhrenförmige Saugzunge, die einen aufspießen und aus­saugen kann. Der Torso fliegt zurück zum Dorf – zur Beute. Manananggal saugt die Eingeweide aus den schlafenden Dorfbewohner_innen, während ihre eigenen Organe aus einer offenen Wunde baumeln. Und sie saugt ungeborene Föten aus schwangeren Frauen, während ihre eigene Gebärmutter in Fetzen hängt. Was im Körperinneren ist, wird durchbohrt, aufgelöst, aufgeschlitzt, nach außen befördert, durch einen umgekehrten, sinnlosen Stoffwechselvorgang. Ihr gespaltener Körper ist ein Riss in unserer Gemeinschaft. 

 

Amy Lien (geb. 1987, Dallas, USA) und Enzo Camacho (geb. 1985, Manila, Philippinen) arbeiten seit 2009 v. a. in Manila, New York und Berlin. Sie erwarben ihren B.A. an der Harvard University und MFA an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Einzelausstellungen im Hessel Museum am Bard College (Annadale-on-Hudson, USA), 47 Canal (New York, USA), Mathew Gallery (Berlin, Deutschland) und Green Papaya Art Projects (Quezon City, Philippinen). Sie nahmen an Gruppenausstellungen in der Kestnergesellschaft (Hannover), dem Jim Thompson Art Center (Bangkok, Thailand) und dem Ullens Center for Contemporary Art (Peking, China) teil. Sie waren Artists-in-Residence bei den Sa Sa Sa Art Projects (Phnom Penh, Kambodscha), am Artspace (Shanghai, China), dem NTU Centre for Contemporary Art (Singapur) und Gluck50 (Mailand, Italien). Ihre Texte wurden u. a. in Flash Art und Texte zur Kunst veröffentlicht.