Körper-Klang: Interview mit Jens-Peter Maintz, Professor für Cello an der UdK Berlin

Wir treffen Jens Peter Maintz an einem frühen Morgen im Oktober. Der Musiker genießt einen hervorragenden Ruf als vielseitiger Solist,gefragter Kammermusiker und als engagierter und erfolgreicher Cello- Professor. Über Fragilität zu sprechen, ist jetzt sehr passend: Gerade wurde der Gips von seinem kleinen Finger abgenommen, sagt er:

So ein Bruch braucht wohl sechs Wochen. Ich sollte eigentlich Physiotherapie machen, aber wenn ich jetzt langsam mit Cellospielen anfange, ist das schon eine gute Physio. Dieser Bruch ist eine interessante Erfahrung, weil er auch ein Licht wirft auf das Tätigkeitsprofil. Es besteht ja aus Spielen und Unterrichten, und das ist nicht unbedingt das Gleiche. Es gibt ganz große Lehrer, die keine große Karriere als Spieler gehabt haben, auch nicht im Unterricht vorgespielt haben. Das aber ist nicht meine Tradition, weil mein Professor David Geringas selbst ein ganz toller Cellist war und immer noch ist. Ich bin aufgewachsen mit diesem Cello spielenden Lehrer. Und das bin ich eigentlich auch. In den letzten sechs Wochen war ich es nicht, aber ich habe doch fleißig unterrichtet. Das Gute war, mir wurde klar, dass, wenn ich selbst nicht spielen kann, es nicht heißt, mit allem aufhören zu müssen. Künstlerisch habe ich mit meinen Studenten trotzdem gut gearbeitet, aber das Instrument habe ich schon vermisst.

Sie sind also ein spielender Lehrer.

Normalerweise schon. Darüber kann man auch streiten, wie sinnvoll es ist. Es gibt eine schöne Anekdote vom großen russischen Cellisten Gregor Piatigorsky, der auch ein toller Geschichtenerzähler war. In seinem Buch „Mein Cello und ich und unsere Begegnungen“ erzählt er von einem sehr frustrierten Studenten. Er kommt nur langsam dahinter, warum: Es liegt daran, dass Piatigorsky im Unterricht so toll vorspielt. Vorsichtig beginnt er, immer ein bisschen schlechter zu spielen, was gar nicht so leicht ist. Der Student wird dann immer besser. Später soll er über ihn gesagt haben: „Naja, der Piatigorsky, er ist ein fantastischer Lehrer, aber ein mieser Cellist.“ Das ist wirklich so eine Sache mit dem Vorspielen: Es muss entweder so schlecht sein, dass sich der Student besser fühlt, oder so gut, dass es ein Vorbild sein kann. Ich selbst bin schon gern ein spielender Lehrer.

Warum spielen Sie Cello? Was hat Sie an diesem Instrument gereizt?

Mein Vater war Arzt und Hobby-Cellist. Für mich war es vollkommen klar, dass es unbedingt Cello sein musste. Einfach, weil er zu Hause gespielt hat. Ich war davon fasziniert.

Das Cello ist ein sehr körperliches Instrument. Angefangen mit der Art, wie man es in den Arm nimmt, die eigene Haltung, das Spielen selbst, der Druck des Bogens … Wie vermitteln Sie das?

Das Cello ist wirklich etwas sehr Schönes, es spricht an aus ganz verschiedenen Gründen – wegen des Klangs, aber auch wegen seiner Ästhetik als Instrument. Die körperliche Form: Das Cello ist sehr menschlich im Format und in der Herangehensweise – man umarmt es ja. Bei einer Geige muss man den Arm drehen, das finde ich problematisch. Die Cellohaltung ist entspannt, einfach. Diese Körperlichkeit zu vermitteln ist ein großes Thema auf allen (Entwicklungs)stufen. Auch für mich selbst. Das Spielen muss eben ein entspannter Fluss sein. Das ist nicht selbstverständlich, daran muss man arbeiten und das richtige Verhältnis von Spannung und Entspannung finden. Hält man den Bogen, ist schon eine gewisse Spannung da. Aber es soll keine Über-Spannung werden und Verspannungen auslösen, man muss dosieren. Auch den Druck. Oft wird mit viel zu viel Druck gespielt und deswegen gibt es dann Probleme. Gerade mit dem sehr fragilen Finger wird es jetzt interessant wieder zu lernen, mit dem Druck umzugehen und ihn möglicherweise zu reduzieren.

Es gibt einen Unterschied beim Ton, je nachdem, wie stark der Druck oder die Spannung ist?

Durchaus. Ist der Druck zu stark, ist der Spieler verkrampft und dann klingt es auch anders. Man kann es wirklich hören. Ein entspannter Spieler produziert einen obertonreicheren Klang.

Das Spielen hat etwas sehr Tänzerisches.

Ja, ein sehr, sehr berühmter Barock-Cellist, Christophe Coin, hat das auch gesagt. Barockmusik ist ja oft vom Tanz inspiriert. Er beschreibt das so: Die Saiten sind der Tanzboden und der Bogen ist der Tänzer, der sich auf den Saiten und somit auch in verschiedenen Dimensionen bewegt. Aber es ist auch eine physische Sache, weil der Bogen nicht die ganze Zeit auf der Saite bleibt, sondern er geht auch hoch und runter. Bewegt sich mehrdimensional.

Noch einmal zurück zum Instrument. Nicht nur ist jedes einzelne ein Schmuckstück, es sind feine handwerkliche Meisterwerke.

Das passt fantastisch ins Thema. Ein Streichinstrument ist ja eigentlich eine Kiste, ein Hohlkörper aus teilweise sehr dünnem Holz. Das ist an sich schon sehr fragil, auch je nachdem, wie alt es ist. Das fasziniert mich immer wieder. Zum Beispiel haben beide Celli, die ich spiele, ein sogenanntes Prozessionsloch hinten. Was bedeutet, sie sind vor 1700 gebaut. Das Loch ist inzwischen verschlossen, aber man kann die Stelle noch sehen. Dort war ein Gurt eingehakt, der um den Hals ging. Und so wurde es bei kirchlichen Prozessionen getragen, d. h., der Cellist selbst hat sich bewegt.

Das, was Sie in Ihren Armen auf der Bühne oder im Studio halten, ist viel mehr als ein Instrument. Es ist eine ganze Geschichte, ein Krimi, eine Kulturgeschichte. Interessant ist, dass fast jedes Streichinstrument aus jener Zeit einen Namen hat. Was für ein Cello spielen Sie?

Mein Cello ist eine Leihgabe. Es hat eine genau dokumentierte Geschichte: Gebaut wurde es als Kirchenbass etwa 1697 von Giovanni Grancino, der ein speziell für seine Celli gerühmter Instrumentenbauer in Mailand war. Im 19. Jahrhundert hat es einem sehr berühmten belgischen Cellisten gehört, François Servais. Übrigens dem Cellisten, der den Cellostachel erfunden hat. Dokumente belegen, dass seine Witwe es an den Geigenbauer W. E. Hill & Sons in London verkauft hat. Und so kann man die Geschichte bis heute verfolgen. Das ist wirklich toll. Und klar – natürlich auch wertsteigernd. Mit dem Klang hat das erst mal gar nichts zu tun, aber das Instrument ist sehr interessant und schön.

Perfekte Designs mit perfektem Klang, die seinerzeit in Italien entstanden sind und so lange überlebt haben …

Genau. Aber sie sind eben auch fragil. Sie haben im Laufe der Jahrhunderte teilweise abenteuerliche Brüche hinter sich gebracht, sind repariert worden und noch schöner als vorher. Da gibt es die Geschichte des berühmten Mara-Cellos von Stradivari, das 1963 sogar ein Schiffsunglück im Rio de la Plata in Argentinien überlebt hat. In Einzelteilen – auf den Fotos sah es aus wie ein Ravensburger Puzzle. Unglaublich, dass sie das wieder zusammengebaut haben. Wie ist das möglich? Es ist ganz, klingt fantastisch und ist Millionen wert. Aber warum? Weil es eben auch Kunstwerke sind, deren Qualität nicht nur ihr Klang, sondern auch ihre Seltenheit und Schönheit ist. Wie ein Picasso, nicht ganz so teuer, aber auf dem besten Wege dahin. Das lässt solche Instrumente natürlich für den normalsterblichen Musiker zunehmend unerschwinglich werden. Aber die jungen Geigenbauer und Geigenbauerinnen sind schon sehr gut. Welches Instrument besser ist? Es gibt wissenschaftlich austarierte Tests, sie wurden mit verbundenen Augen gemacht. Die modernen haben dabei sogar besser abgeschlossen. Viel ist einfach Einbildung …

Die Aura des Instruments!

Ja, natürlich, wenn man sich dadurch irgendwie inspiriert fühlt – okay. Aber muss man wirklich Millionen dafür ausgeben?

Beim Musizieren, bei der Aufführung sieht man, wie die Spieler in die Musik versinken. Und das transportiert sich auch auf das Publikum. Kostet es Überwindung, sich fallen zu lassen? Lernt man das? Wird das irgendwann selbstverständlich?

Das ist eine sehr gute Frage. Wie weit spielt der optische Eindruck eine Rolle? Der ist ohne Zweifel ein ganz wichtiger Faktor. Darüber spreche ich sehr oft. Dass irgendwie das Auge mitisst. Ich glaube, es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen, die sagen, dass der visuelle Eindruck selbst bei Fachleuten fast überwiegt – und das ist ein Problem. Das führt dann zu weiter reichenden Fragen: Was ist Erfolg? Wie gerieren sich Leute, die erfolgreich sind auf der Bühne, oder warum sind manche erfolgreich, obwohl sie vielleicht gar nicht so toll spielen? Schmerzverzerrte Gesichter machen? Ist es wirklich so? Das ist heikel. Ich denke, dass die gezeigte Emotion im Verhältnis zum Charakter der Musik stehen muss. Wenn das ein natürliches Verhältnis ist, ist es okay. Aber was passiert, wenn man die Augen zumacht und nur das beurteilt, was man hört? Es muss im Einklang sein. Aber zum Beispiel für einen Cellisten, der vollkommen still sitzt, ist die Tonproduktion eine andere, als wenn er – auch nur minimal – mit dem Bogen etwas mitgeht. Das hat vielleicht etwas Wiegendes und es klingt auch anders. Und das ist gut. Aber die Grenze ist fließend.

Wenn Sie auf der Bühne sind, schalten Sie ab? Gibt es Momente, wo Sie sich von außen sehen?

Schwer zu sagen. Vieles ist unterbewusst, das ist ja klar. Aber über Posen oder darüber, wie ich wirke, denke ich nicht nach. Es gibt Konzerte, wo man sich völlig vergisst. Das ist relativ selten, aber gut, wenn es passiert. Ob es das Publikum aber genauso empfindet, ist unklar. Möglicherweise hat man selbst eine ganz andere Wahrnehmung. Auch ein interessantes Thema. Wie fragil ist man – oder auch wie angreifbar –, wenn man selbstkritisch ist? Ein Künstler, der sich völlig unfragil fühlt, ist kein Künstler. So stabil kann keiner sein. Man muss sich selbst immer hinterfragen, Selbstkritik ist sehr wichtig. Das darf natürlich ein gewisses Maß nicht übersteigen, sonst kommt man zu nichts. Aber – ist der Geist nicht fragil, ist er uninteressant.

Jens Peter Maintz ist Professor für Cello an der UdK Berlin und an der Escuela Superior de Musica Reina Sofía in Madrid. Das Gespräch führten Claudia Assmann und Marina Dafova (Bearbeitung).