Das Theater als Werkstatt: Oliver Brendel

Das UdK-Theater ist eng mit der Gründung der HdK verbunden. Sie
haben Ende der 1970er Jahre dort studiert und lehren heute im Studiengang
Bühnenbild, kennen das Haus also wie kaum ein zweiter.


Als Mitte der 1970er Jahren die HdK Berlin gegründet wurde, ein Zusammenschluss
der Kunst- und Musikhochschulen, die es in Westberlin
als Solitäre gab, wurden auch alle künstlerischen Theaterausbildungen
unter einem Dach zusammengefasst, damals in einem Fachbereich
Darstellende Kunst: Bühnenbild, Kostümbild, Schauspiel und
Oper. Im Laufe der Jahre kamen dann Theaterpädagogik, Musical
und Szenisches Schreiben als Studiengänge hinzu. Was von Anfang an
fehlte, war Regie, das gab es in Westberlin nicht als Ausbildung. Die
Idee eines Theaterfachbereichs war im deutschsprachigen Raum damals
revolutionär, und für diese neue Form der Ausbildung sollte ein
Theater gebaut werden. Genau an der Stelle, an der vor dem Krieg
als Flügelbau in der Fasanenstraße der Theatersaal der Hochschule
für Musik stand. Es ist heute nicht mehr ganz klar, wofür die Musikhochschule
den Raum genutzt hat. Nachdem der Konzertsaal in der
Hardenbergstraße 1953 vom Architekten Paul Baumgarten als einer
der ersten Kulturneubauten im zerstörten Berlin entworfen worden
war, hat man zwanzig Jahre später denselben Architekten noch einmal
beauftragt.

Es gibt aber ein architektonisches Zitat in der Dachkonstruktion. Der
Konzertsaal hat ein leichtes Kreissegment als Decke, und wenn man
von oben auf das Gebäude schaut, sieht man: Der Bühnenturm, der
bei anderen Theatern meist ein Quader ist, ist hier geschwungen, ein
Kreissegment als Viertelausschnitt. Was leider in der Praxis bedeutet,
dass die hinteren Bühnenzüge höher fahren als die vorderen. Die Anforderungen
an die Bühne waren nicht ganz scharf zu fassen. Zum
einen musste das Haus für Oper funktionieren. Als klassische Guckkastenbühne
mit der Möglichkeit eines Orchestergrabens. Zeitgleich
war in anderen Theaterbereichen, besonders im Schauspiel, sehr viel
in Bewegung in den späten 1960er und Anfang der 1970er Jahre.
Unter anderem wurden Alternativen zur traditionellen Guckkastenbühne
diskutiert. Die Schaubühne, die als offene Raumbühne am Halleschen
Ufer ihre Spielstätte hatte, stieg in dieser Zeit zu einem innovativen
Vorbild in ganz Europa auf. Man ist zum Spielen aus den
Theaterhäusern herausgegangen, in Fabriketagen, Filmstudios, Messehallen,
in Nicht-Theaterräume. Diese Zeitströmung aufzugreifen
und gleichzeitig den Ausbildungsanforderungen der unterschiedlichen
Sparten Rechnung zu tragen, das hat Baumgarten mit diesem
Bau versucht.

Und wie sieht das aus?

Man kann aus dem Raum ein klassisches Guckkastentheater
machen, mit Orchestergraben und Portalrahmen. Oder
aber ihn komplett verwandeln, indem man zum Beispiel den Mittelteil
herausnimmt. Wenn man die Orchesterpodien herunterfährt, entsteht
eine Arenabühne, bei der die Zuschauer außen herum platziert
werden können. Oder, und das ist eine Besonderheit, man kann den
Saal in eine große Halle verwandeln. Dafür wird der vordere Zuschauerbereich
überbaut, die Portale werden eingeklappt, und das ergibt
eine riesige Fläche. Diese Verwandlungsmöglichkeiten waren damals
sensationell als Vorschlag für Theater und sind ein großes Experimentierfeld
für eine Ausbildungsstätte.

Der damalige Name des Hauses, erst Studiobühne und später Theater-
und Probensaal, TPS, weist auf den Prozess hin, darauf, dass in
und mit dem Raum die Inszenierung geschaffen wird, er also Teil des
Entwicklungsprozesses ist. Wie macht sich das im Prozess bemerkbar?

Das UNI.T, wie das Haus heute heißt, ist ein Arbeitsort, eine Werkstatt.
Das sieht man schon, wenn man ins Foyer kommt: Die Wände sind
nicht verputzt, der Schalbeton ist bewusst ausgestellt, mit einer von
Baumgarten entworfenen Lasur, um das Rohmaterial zu zeigen, aus
dem dieser Bau besteht. Im Zuschauerraum setzt sich das fort. All die
Dinge, die bei einer repräsentativen Theateridee versteckt werden,
liegen hier ganz bewusst offen. Die Arbeitsgalerien sind sichtbar.
Aber man soll sich nicht täuschen: Dieser Werkstattcharakter ist in
Farbe und Form sehr konsequent komponiert. Und das ist für Bühnenbildner*
innen oft eine schwierige Auseinandersetzung, wenn man
den Raum in den Entwurf einbezieht. Bei einer Guckkastenbühne ist
es einfacher. Da lautet die Verabredung: Im Rahmen kann stattfinden,
was will, egal, wie das Haus drum herum aussieht. Wenn man aber im
Raum arbeitet, muss man sich mit der Architektur auseinandersetzen,
weil sie sehr stark ist. Da muss man schon eine prägnante Setzung vorschlagen,
um sich gegen diese Formen zu stellen. Das heißt, man hat
als Bühnenbildner oder Regisseurin zwei Möglichkeiten: entweder
gegen die Architektur angehen oder mit ihr spielen. Sie weiterzuführen,
in einer gewissen Weise. Oder etwas dagegensetzen, etwas ganz
Fremdes, sodass sich die Dinge reiben und dadurch eine Art Kommunikation
oder Interaktion entsteht. In herkömmlichen Theaterbauten,
in denen man einen klar definierten Zuschauerraum und eine
als Spielfläche definierte Bühne hat, ist das schwierig oder gar nicht
möglich. Das UNI.T als räumliches Experimentierfeld ist im Laufe der
Jahre etwas stecken geblieben, was vor Allem zeitliche und logistische
Gründe hat. Die Umbauten sind sehr aufwendig. Und wenn jemand
nur eine kurze Probenzeit auf der Bühne hat und davon allein
drei Tage braucht, um einen räumlichen Grundzustand herzustellen,
und wieder drei, um ihn abzubauen, dann ist das nicht praktikabel.

Noch einmal zurück zum Raum. Baumgarten hatte mit dem Bau von
Theaterräumen nicht viel Erfahrung.

Da gibt es etwas, das ich noch in keinem Theater bisher gesehen habe, das ist wirklich
eine große Besonderheit: Die Wände des Zuschauerraums links und
rechts bestehen aus Glas. Das heißt, die Grenzen zur Realität, in unserem
Fall zur Fasanenstraße oder zum Bildhauerhof, können zwar
nicht aufgelöst, aber zumindest durchlässig gemacht werden. Das ist
auch manchmal genutzt worden, mit inszenierten Autounfällen oder
Schneeballschlachten. Wir hatten auch schon Ärger mit der Polizei,
wegen Blendeffekten im Straßenverkehr. Und es gibt Elemente, die
zeigen, dass Baumgarten nur begrenzt an eine wirkliche Theaterspielrealität
gedacht hat. Das Foyer und der gesamte Zuschauerraum waren
ursprünglich mit einem hellen Sisalteppich ausgelegt. Da hat man
sich zwar gleich wohlgefühlt, und es ergab mit dem Schalbeton und
den Stahlkonstruktionen eine anheimelnde Loft-Atmosphäre. In der
Praxis war das grauenhaft. Sisal ist extrem empfindlich, vor allem aber
wegen der Helligkeit. Theaterunüblich war auch der Bühnenboden:
abgeschliffene Dielen. Das helle Holz in Kombination mit dem Sisal,
das hellgraue Bühnenportal und die hellgraue Rückseite der Bühne:
Man hat den Raum nicht dunkel bekommen. Im Laufe der Zeit wurde
das Stück für Stück an die Praxis angepasst. Als ich 1979 anfing zu studieren,
vier Jahre nach Eröffnung des Hauses, war die Bühne schon
schwarz gestrichen. Auch der Sisalteppich ist mittlerweile durch einen
dunklen Bodenbelag ersetzt worden.

Das ist interessant, die Wohnlichkeit. Wenn wir noch einmal zurückkommen
auf den TPS-Gedanken: Wenn es in dem Raum um den Prozess
geht, darum, Dinge gemeinsam zu entwickeln, dann kommt dieser
architektonische Ansatz vielleicht nicht aus zu wenig Erfahrung
mit Bühnenräumen, sondern weil der Anspruch ein anderer war: die
bestmögliche Atmosphäre zu kreieren in einem Raum, in dem gemeinsam
etwas entwickelt wird. Das Ergebnis war eher zweitrangig.

Das ist ein schöner Gedanke. Wenn man nur in Beton- und Stahlkonstruktionen
gesessen hätte, wäre es möglicherweise für die endlosen
Gespräche und Diskussionen in den 1980er Jahren nicht so kontemplativ
gewesen. In diesem Umfeld hat man aber tatsächlich gern Gespräche
geführt und sich aufgehalten.

Wie unterscheidet sich der Probenprozess im UNI.T von dem an einem
Stadttheater?

Im normalen Theaterbetrieb kommt man erst relativ
spät, zum Ende der Probenzeit, auf die Bühne, davor wird das Stück
auf einer Probebühne entwickelt und geprobt und das Bühnenbild unabhängig
davon in den Theaterwerkstätten hergestellt. Im UNI.T werden
die Produktionen, mangels einer adäquaten Probebühne, in der
Regel auf der Bühne entwickelt, meist über einen Zeitraum von sechs
Wochen. Für die Darsteller*innen ist das toll, aber für die Realisation
eines Bühnenbilds oft extrem schwierig. Das Bühnenbild entsteht bei
uns im Laufe der Probenzeit Stück für Stück auf der Bühne und muss
auch dort, mangels entsprechender Werkstatträume wie z. B. eines
Malsaals, weiterbearbeitet werden. Natürlich kollidiert das mit den
Probenzeiten und ist auch sonst logistisch und technisch schwierig. Ein
Repertoire-Spielbetrieb, wie an den meisten Stadttheatern üblich, ist
im UNI.T aufgrund der personellen und räumlichen Ausstattung nicht
möglich. Die anfänglich geplante Nutzung des Theaters ging wahrscheinlich
davon aus, dass der multivariable Raum durch wenige neutrale
Versatzstücke wie Bühnenpodeste oder ein Bodentuch nach Bedarf
ergänzt wird und zusammen mit der vorhandenen Architektur
schon ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die Realisation
von komplexeren Bühnenbildern war in diesem Konzept nicht vorgesehen.
Das kann man schon daran erkennen, dass ursprünglich keinerlei
Werkstätten eingeplant waren. Sozusagen Restriktion als Möglichkeitsraum.
Dass man bestimmte Dinge nicht machen kann und
deshalb gezwungen ist, in andere Formen zu gehen, während man
auf der Ebene der räumlichen Verwandlungsmöglichkeiten viel mehr
Freiraum hatte. Seltsamerweise ist das UNI.T nach meinem Gefühl immer
noch ein moderner Theaterbau mit vielen Möglichkeiten, obwohl
er doch schon bald 50 Jahre alt und in vielen Bereichen in die Jahre
gekommen ist und immer nachgerüstet werden muss. Der Raum lädt
zu einer sehr offenen Form der Zusammenarbeit zwischen Regie und
Bühnenbild ein.

In den Anfangszeiten, als noch mehr Platz und Zeit für Experimente
war, gab es das. Achim Freyer hat das gemacht, lange Auseinandersetzungen
mit dem Raum. Die „Raumtrilogie“ Mitte der 1980er Jahre hat
sich explizit mit dem UNI.T auseinandergesetzt. Die drei autonomen
Teile dieses Projekts hatten die Titel „Räume aus Nichts“, „Farbproben"
und „Raumzeiten“. Zu diesen Themen entwickelten die Bühnenbildstudierenden
drei exemplarische Aufführungen, die auch eine Auslotung der Möglichkeiten des UNI.T waren.

Noch einmal zum Prozess zurück. Wie arbeitet ihr im Studiengang,
wie erobert ihr den Raum?

Im ersten Semester beginne ich mit einer
Modellbauübung. Da lasse ich die Studierenden das UNI.T in kleinem
Maßstab bauen, damit sie das Haus verstehen. Und wenn sie später
ein Projekt auf der Bühne machen, haben sie schon das Modell dafür.
Zum Ende des Semesters bitte ich sie, ohne Rücksicht auf Budget,
Sicherheitsbestimmungen, Schwerkraft oder physikalische Gesetze
den Raum aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dabei entstehen
meist Entwürfe, die in der Realität so nie möglich wären, aber eine
große Kraft haben und ermutigen sollen, immer Grenzen auszuloten.
Im Frühjahr arbeiten wir für zwei Wochen gemeinsam mit dem ersten
Jahrgang Regie der HfS Ernst Busch im Theater. Diese Projekte
sind experimentell, sehr schnell und hart und konzentriert, die Bühnenbildstudierenden
spielen und improvisieren selbst im Raum. Dann
kommen sie meist erst wieder später im Studium auf die UNI.T-Bühne,
wenn die großen Projekte wie die jährliche Operninszenierung oder
das Ensemble-Projekt Schauspiel stattfinden. Da sind sie dann in der
Rolle des Bühnenbildners/der Bühnenbildnerin, wie im Theater, mit
einem Team und einem Stück als Vorgabe. Was fehlt, ist ein Zwischenraum
als Übung. Eine Blackbox, in der sie ungestört experimentieren
können, in der sie selbst einen Zug herunterfahren oder einen Scheinwerfer
einrichten können, ohne dass der ganze Theaterapparat in Betrieb
genommen werden muss. Das wäre ein Übungsfeld, mit dem
die Studierenden ganz anders vorbereitet auf eine große Bühne gehen
könnten.

In den Produktionen führen entweder die Lehrenden Regie, oder aber
es werden Gäste engagiert. Gibt es einen Unterschied in der Arbeitsweise?

Das kann man nicht pauschal sagen. Gastregisseur*innen sind
oft überrascht, manchmal erschrocken, von der Größe des Theaters.
Da gibt es offenbar eine bestimmte Vorstellung, wie Universitäts-Theater
aussehen. Auf manche wirkt das eher bremsend und einschränkend,
während andere sich mit großer Lust auf die Möglichkeiten
einlassen.

Oliver Brendel studierte Bühnenbild an der HdK Berlin bei Achim Freyer.
Seit 1995 ist er Dozent im Studiengang Bühnenbild und hat seitdem
über 120 Theater-, Opern- und interdisziplinäre Projekte vom Entwurf
bis zur Aufführung betreut. Am 9. November ist Brendel Gast beim
Podiumsgespräch „Theatergeschichte(n)“, s. S. 36.
Das Gespräch führte Claudia Assmann.