ÜBER DIE ALCHEMIE DER WOLKEN, PERSPEKTIVENWECHSEL ÜBER KUNST UND KLIMAGERECHTIGKEIT, Nina Fischer im Gespräch mit Vanina Saracino

Quelle: Nina Fischer

Nina Fischer im Gespräch mit Vanina Saracino

9:51 Uhr, auf der Zugfahrt von Düsseldorf nach Berlin: Ich sitze mit meinem Laptop im Bordrestaurant und öffne ein Text-Dokument in der Cloud, das ich gleich mit Nina Fischer teilen werde. Sie nimmt den Zug nach mir, dieselbe Strecke, ab Düsseldorf um 10:52 Uhr. Es ist ein interessanter Gedanke, dass wir beide in den nächsten Stunden in aufeinanderfolgenden beweglichen Objekten sitzen, und digital, mit leichter Spacetime-Differenz, über bewegte Bilder sprechen, während wir dieselbe Landschaft an unseren Fenstern vorbeiziehen sehen.  In Düsseldorf wurde im Medienwerk NRW die sechsteilige Videoinstallation „Die Alchemie der Wolken – Art, Activism, and Splitting Communities“ (2022) von Nina Fischer & Maroan el Sani präsentiert. Ich teile das Dokument, Nina Fischers Name erscheint. Wir sind synchronisiert:
Hallo Nina, das erste Mal bin ich auf Deine und Maroan el Sanis Arbeit im Jahr 2019 gestoßen, ich war Jurymitglied bei der Videonale.17. Bei der Eröffnung in Bonn begegneten wir uns.

Ja, bei der Videonale haben wir „Freedom of Movement“ gezeigt, eine 3-Kanal-Videoinstallation, die 2017 für unsere Solo-Ausstellung im Maxxi Museum für zeitgenössiche Kunst in Rom entstanden ist. In der Arbeit geht es um die Komplexität von ideologischen, kolonialen und architektonischen Implikationen des symbolträchtigen Marathon-Olympiasiegs von Abebe Bikila im Jahr 1960 in Rom und um dessen Nachwirkung bis in die Gegenwart. Der Äthiopier Bikila war der erste Schwarzafrikaner, der eine olympische Goldmedaille gewann – ein ikonischer und historischer Moment nicht nur für den Sport. 2016 haben wir in Rom mit einer Gruppe von aus Afrika Geflüchteten zusammengearbeitet und für unseren Film ein Re-Enactment des Laufes von Bikila inszeniert. Wir haben dafür eine neue Route gewählt, nicht durch die Innenstadt von Rom, sondern vom Strand in Ostia über das EUR (Esposizione Univer-sale Roma), dem für die geplante Weltausstellung 1942 errichteten Stadtviertel, bis zum Foro Italico, beide unter Mussolini entstanden. Und beides Orte, in die immer noch das Bildprogramm des Faschismus eingeschrieben ist. In einer Episode schreiten Jugendliche über die gewaltigen Treppen des Colosseo Quadrato auf dem EUR-Gelände. Auf dem Dach singen sie lautstark ein Lied, mit dem sie den gemeißelten Schriftzug auf den vier Seiten des Gebäudes neu deuten: „Wir sind ein Volk der Dichter, der Künstler, der Helden, der Heiligen, der Denker, der Wissenschaftler, der Seeleute, der Migranten“ – wobei sie dieses Zitat aus der Kriegserklärung Mussolinis an Äthiopien im Jahr 1935 transformieren und für sich reklamieren. Die dritte Episode zeigt den Läufer bei Nacht, der uns Projektionen des Archivmaterials in einer performativen Weise präsentiert, das u. a. den Bau des EUR sowie des Foro Italico zeigt. Dazu ist die Stimme eines Geflüchteten zu hören. Er spricht über diesen Marathonlauf und setzt ihn in Beziehung zu „Freedom of Movement“ – die körperliche Bewegungsfreiheit – ein universelles Grundrecht, das zwar in der UN-Charta für Menschenrechte festgeschrieben, aber nur für wenige Menschen tatsächlich Realität ist.

Eure Arbeiten entwickeln sich oft als ein kollektiver Prozess und zielen darauf, starke Bindungen zwischen den Teilnehmenden zu schaffen. Wie zum Beispiel „Die Alchemie der Wolken“, eine Arbeit, die danach fragt, wie sich eine Gemeinschaft für ein gemeinsames Ziel mobilisieren lässt, und wie sie auf ein Problem reagieren kann – in dem Fall ist es das plötzliche Auftauchen einer Wolke über der Stadt, die als Symbol für die Klimakatastrophe interpretiert werden kann. Die Arbeit zeigt die Besonderheiten kollektiven Handelns und auch, wie Gemeinschaften aufgrund interner Spannungen auseinanderbrechen, unfähig, Probleme gemeinsam zu lösen.

In „Die Alchemie der Wolken“ war uns wichtig, den Prozess als Teil der Arbeit sichtbar zu machen. Wir wollten zeigen, wie wir mit den Protagonisten des Films zusammenarbeiten, uns dem Thema nähern, Fragen stellen und uns künstlerisch auseinandersetzen. Wo positionieren wir uns in der Gesellschaft, nicht nur als Künstler*innen, sondern als Individuen, mit eigener Verantwortung für unser Tun? Kann Kunst Einfluss auf die Transformation zu einer klimafreundlichen Gesellschaft nehmen? Wo überschneiden sich Kunst und Aktivismus? Für die Kunst ist es notwendig, die heterogenen Kunstorte zu verlassen und mehr in die Öffentlichkeit zu gehen, um neue Gruppen ansprechen zu können, die Aus-einandersetzung und Reichweite zu vergrößern, auch wenn das heißt, den Safe Space der Kunstwelt zu verlassen. Für den Film haben wir nicht mit Schauspieler*innen gearbeitet, sondern Künstler*innen und Performer*innen als Darsteller*innen engagiert, teilweise Alumni aus dem Studiengang Kunst und Medien, die sich auch in ihrer eigenen künstlerischen Arbeit mit den Themen auseinandersetzen. Zur Vorbereitung auf den Dreh haben wir die Umweltaktivistin Hanna Poddig und die Kunst-Mediatorin Mira Hirtz eingeladen. Sie hat mit den Teilnehmer*innen performativ zu den Theorien Bruno Latours gearbeitet. Die Herausforderung war, die Theorien seines fiktiven Planetariums in Choreografien und Bewegung umzuwandeln.

Quelle: Nina Fischer

Du arbeitest im Duo mit dem Künstler Maroan el Sani. Wie geht Ihr bei der Entdeckung eurer künstlerischen Themen vor? Sucht Ihr nach ihnen, oder finden sie Euch? 

Wir arbeiten immer zu Themen, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Zeit ergeben, in der wir leben. Zu Beginn unserer Zusammenarbeit in den 1990er Jahren ging es viel um Stadt, um Identität, um Teilhabe an der urbanen Transformation Berlins nach dem Mauerfall. Es ging um alternative Nutzungskonzepte in der Stadt, gesellschaftliche Neuorientierung, den Verlust von Freiräumen, Voids, z. B. in Arbeiten wie „Phantom Clubs“ (1997) oder „Klub 2000 – rom, paris, marzahn“ (1998), und um die Bedeutung von kulturellem Erbe und Sichtbarkeit von Geschichte in Städten anhand diverser Architektur. Dazu haben wir von 2001 bis 2020 am Beispiel des verschwindenden „Palast der Republik“ und des kontrovers diskutierten Neubaus des Stadtschlosses zu kultureller Aneignung, Dekolonialisierung und Restitution gearbeitet. In den 2010er Jahren haben wir mehrere Jahre in Japan gelebt und uns u. a. mit den psychologischen Nachwirkungen der Fukushima-Katastrophe auf die Gesellschaft auseinandergesetzt, in „Spirits Closing Their Eyes“ (2012). In vielen unserer Werke spielen Filme und digitale Medien eine große Rolle, die das kollektive Gedächtnis realer Orte mitprägen und teilweise individuelle Erinnerungen überschreiben, z. B. in „Spelling Dystopia“ (2009). Wir entwickeln neue Narrative, um eine Lesbarkeit in der Gegenwart zu ermöglichen, und präsentieren unsere Projekte installativ, um die diversen Dispositive, die den Erzählungen zugrunde liegen, simultan zeigen zu können. Fragmentarisch, wie wir auch die Realität wahrnehmen. In den letzten Jahren haben wir mehr zum Klimanotstand gearbeitet.

Während eurer Künstlerresidenz in der Villa Aurora in Los Angeles Anfang dieses Jahres haben Maroan und Du eine neue Arbeit entwickelt. Die Dreharbeiten entstanden in der „Biosphere 2“, nördlich von Tuc-son, Arizona, einst als Ort eines zukunftweisenden Experiments geschaffen. 

Die neue Arbeit heißt „Revisiting Biosphere 2“ und ist eine inhaltliche Fortsetzung von „Die Alchemie der Wolken“. Sie beschäftigt sich mit der künstlichen Biosphäre: ein gigantisches Glashaus in der Wüste von Arizona, das 1987 bis 1989 mit dem Ziel erbaut wurde, ein sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Savanne, Ozean, tropischer Regenwald, Mangrovensumpf, Wüste … In diesen verschiedenen Lebensräumen wurden mehr als 3.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten angesiedelt. 1991 begann schließlich das Experiment: Acht Vi-sionär*innen – Künstler*innen und Wissenschaftler*innen – wollten beweisen, dass in einem von der Außenwelt abgeschlossenen Habitat ein Leben langfristig möglich ist. Sie verbrachten zwei Jahre im Glasgebäude. Allerdings musste im zweiten Jahr mehrmals Sauerstoff zugeführt werden, was das Experiment in den Medien als gescheitert gelten ließ. Danach geriet die Biosphere 2 lange in Vergessenheit.

Heute forscht dort die Universität von Arizona zum Einfluss des Klima-wandels auf die Natur sowie zu möglichen Lösungsansätzen für den Erhalt und die Regeneration unseres Ökosystems. Neben einem Ocean lab und einem Landscape Observatory gibt es ein großes Rainforest Labo-ratory, in denen verschiedene Klimaveränderungen simuliert werden können. Wir haben den Ort porträtiert und mit den Wissenschaftler*innen der Biosphäre und mit Vertreter*innen der indigenen Gemeinschaften in Arizona gesprochen, die heute einen Dialog zum Klimawandel führen. Es werden dort aber auch von einer anderen Forschungsgruppe Experimente zum extraterrestrischen Überleben durchgeführt, ungeachtet dessen, dass diese Exit-Strategie – wenn überhaupt – nur ganz wenigen Superreichen möglich sein wird. Der Großteil der Menschen wäre von dieser Lösung ausgeschlossen. Das zeigt die Ungerechtigkeit, die hinter dieser Art von Lösungsvorschlägen steht.

Mit unserem experimentellen Filmprojekt wollen wir den Fokus auf eine neue, diversere „Erzählung“ legen, die aufzeigt, dass wir ohne Klimagerechtigkeit nicht ans Ziel kommen. Dass Big Tech und Techno-Fixes keine Lösung sind. Wir fordern die Zusammenarbeit aller Disziplinen, eine Vernetzung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, von menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten, und sehen uns als Künstler*innen auch als Teil des Netzwerks.

Das Gespräch führte Vanina Saracino, Autorin, Kuratorin und Lehrbeauftragte an der UdK Berlin. Nina Fischer ist Künstlerin im Duo mit Maroan el Sani und Professorin am Studiengang Experimenteller FIlm und Medienkunst.
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Die Langfassung des Interviews finden Sie hier.