Ivanna Hurina, „Hubs of Hubris. What if the avant-garde of our time is merely a simulation of earlier creative awakenings – a simulacrum born of comfort rather than need?“
Avantgarde Copy Cat
Das 20. Jahrhundert hat intellektuelle und künstlerische Bewegungen
nachhaltig geprägt und Traditionen geschaffen, die bis heute Einfluss
haben. Bewegungen wie Dada, der Surrealismus und Art Brut entstanden
aus dem Chaos ihrer Zeit – Weltkriege, Zensur, industrielle
Umbrüche. Dabei ging es nicht nur um künstlerische Kollektive, sondern
um Reaktionen auf tiefgreifende gesellschaftliche Brüche. Kreativität
wurde zu einer Form des Widerstands, zur Reaktion auf die
Krise. Kunst war dabei Ausdrucksmittel und Überlebensstrategie gleichermaßen
– eine Möglichkeit, Traumata zu verarbeiten, sich mit Autoritarismus
auseinanderzusetzen und in einer zusammenbrechenden
Realität wieder ein Gefühl der Handlungsfähigkeit zu erlangen.
Heute bieten Kulturhauptstädte wie Berlin, Paris oder New York einen
fruchtbaren Boden für intellektuelle und kreative Kreise. Die Dringlichkeit
der Vergangenheit scheint durch etwas ersetzt worden zu
sein, das eher einer Simulation gleicht. Widerstand fühlt sich heute
oft eher symbolisch, sogar performativ an, als dass er aus einer Notwendigkeit
heraus entsteht. Der Avantgarde-Geist des 20. Jahrhunderts,
angetrieben von realer Gefahr und der Notwendigkeit, unterdrückerische
Systeme zu stürzen, ist etwas gewichen, das manchmal
einer Nachstellung gleicht – einem Echo einer Zeit, in der es um existenzielle
Fragen ging und Handlungen reale Konsequenzen hatten.
Ich lebe in Berlin und kann die schleichenden Parallelen zwischen den
ressourcenarmen Epochen der Vergangenheit und unserer Gegenwart
nicht ignorieren. Angesichts der Kürzungen der Kulturfördermittel,
der zunehmenden Prekarität unter Kreativen und der politischen
Polarisierung in Europa kann man spekulieren, dass unsere Realität
sich stärker an die schwierigen Bedingungen anpassen wird, die einst
diese bahnbrechenden Bewegungen inspiriert haben. Der Mythos der
Stabilität bröckelt. Was noch selbstverständlich war – der Luxus, Ideen
zu erforschen, ohne von finanziellen oder politischen Zwängen eingeschränkt
zu sein – könnte bald der Vergangenheit angehören.
Das soll den Wert der gegenwärtigen kreativen Kreise nicht schmälern.
Sie dienen nach wie vor als wichtige Foren für Dialog, Innovation
und Experiment. Aber das Fehlen unmittelbarer äußerer Zwänge
– Zensur, Krieg oder wirtschaftlicher Kollaps – hat ihren Charakter verändert.
Diese Gruppen existieren meist noch in relativer Bequemlichkeit
und mit institutioneller Unterstützung und lassen sich von einer
Vergangenheit inspirieren, die aus Kämpfen entstanden ist. Die Spuren
dieser Kämpfe tauchen heute in subtileren Formen wieder auf:
Gentrifizierung, Überwachung, Klimaangst und der schleichende Einfluss
rechtsextremer Ideologien. Intellektuelle Kreise könnten einen
neuen Avantgarde-Geist entwickeln, wenn die kulturelle Stabilität
weiter erodiert – nicht aus Nostalgie, sondern aus Notwendigkeit.
Wie die Geschichte oft gezeigt hat, entstehen neue Formen von Widerstand
und Sinngebung wie auch neue Ausdrucksmöglichkeiten gerade
in Momenten des Zusammenbruchs.
Ivanna Hurina studiert in der Klasse von David Skopec, Professor für
Informationsdesign. Der Text ist entnommen aus „Hybris“, einem
Magazin, entstanden in der Klasse Kampagnen von Prof. Barbara Kotte,
Konzept und Leitung: Till Schröder, Anja Steinig. Es erscheint im Verlag
der UdK Berlin. www.klasse-kampagnen.de; infoklasse.de
Übersetzung: Marina Dafova