Das Hammerklavier

Gerade ist in der Bundesallee, in der Fakultät Musik, ein neues Instrument angekommen. Lucas Blondeel stellt es uns vor.

Was ist ein Hammerklavier?
Die Idee ist sehr simpel: ein Tasteninstrument, auf dem man unterschiedliche Dynamiken spielen kann. Bartolomeo Cristofori, Hofinstrumentenbauer der Medici in Florenz und Erfinder des Hammerflügels, nennt sein neues Instrument „gravicembalo con piano e forte“, also ein Cembalo, dass leise und laut spielen kann. Daher kommt auch der Name Pianoforte, später Piano, wie Klaviere und Flügel heute noch genannt werden. Beim Cembalo wird die Saite von Federkielen gezupft. Dank der Manuale und Register kann man zwar laut und leise spielen, feinere Abstufungen sind aber nicht möglich, und man kann auch kein Crescendo oder Diminuendo spielen. Die Erfindung von Cristofori ist, dass die Saite mit einem kleinen, von Leder überzogenen Hammer (daher der Name) angeschlagen wird, der sofort wieder herunterfällt. So kann man durch die Bewegung der Finger auf den Tasten die Lautstärke und die Zartheit des Klangs variieren und kontrollieren. Das war um 1700. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sich der Hammerflügel dann gegen das Cembalo durchgesetzt.

Es ist also ein Vorläufer des heutigen Konzertflügels. Ist es – was die Technik betrifft – einfacher, auf einem Hammerklavier zu spielen als auf einem Steinway, zum Beispiel?
Die meisten modernen Tastenspieler – Pianisten, Cembalisten, Organisten – haben auf einem ganz normalen Klavier angefangen. Die Umstellung ist am Anfang schwierig, weil das Gewicht der Tasten auf dem Hammerflügel viel geringer ist und die Bewegung viel kleiner. Die Tasten sind auch viel kürzer. Ich habe in Konzerten auf beiden gespielt – eine Hälfte auf einem Hammerflügel, eine auf einem modernen Flügel – diese Flexibilität genieße ich enorm. Man kriegt plötzlich ein ganz neues Gefühl für Tastentiefgang. Denn wenn die eine Taste nur ein paar Millimeter heruntergeht und die andere anderthalb Zentimeter, dann empfindet man das im Finger noch einmal ganz anders. Man kann es ganz grob vergleichen mit dem Fahren von unterschiedlichen Autos: In den ersten Minuten muss man sich an das neue Gaspedal gewöhnen.

Das neue Instrument sieht sehr schön aus …
Es ist von Christoph Kern, einem der weltbesten Bauer von Hammerflügeln. Seine Werkstatt ist in Staufen, in der Nähe von Freiburg. Es handelt sich um einen Nachbau. Das Original ist von Anton Walter, Wien 1795. Es ist das perfekte Instrument für Mozart und Beethoven. Auch Schubert-Lieder klingen darauf wunderbar.

Was für Literatur spielt man denn auf dem Hammerklavier?
Es ist sicher sinnvoll, Stücke auf den Instrumenten zu spielen, mit denen die Komponisten vertraut waren. Wir wissen zum Beispiel, dass Mozart auch ein Instrument von Anton Walter hatte. Wie flexibel kann man aber sein? Brahms hatte zum Beispiel einen Flügel mit einer für seine Zeit veralteten Wiener Mechanik, aber seine Musik wurde gleichzeitig auch auf viel „moderneren“ Instrumenten gespielt. Natürlich muss der Umfang reichen: Der moderne Flügel hat mehr als sieben Oktaven – also 88 Tasten, unser Hammerklavier aber nur fünf – also 61 Tasten. Rachmaninow, Ravel oder Ligeti kann ich also hierauf nicht spielen. Da fehlen oben und unten ganz viele Tasten. Die Instrumente erzählen uns, was passt und was nicht. Sie erzählen uns sehr viel. Beim Spielen lernt man vom Instrument. Wie kann ich expressiv sein? Wie viel Agogik, wie viel Freiheit braucht eine Linie, damit es schön klingt. Wie gestalte ich die Balancen, wie prägnant sind die Bässe ... das lernt man, das Modellieren. Deswegen ist es so wichtig, mit diesen alten Instrumenten oder ihren Kopien in Berührung zu kommen, auch wenn man die Stücke danach auf einem Steinway oder Bechstein spielt.

Wofür hat dann Bach „Das Wohltemperierte Klavier“ geschrieben?
Bei Bach geht es vor allem um intellektuelle Arbeit. Er wollte eine Synthese vom Musikwissen seiner Zeit zeigen und gleichzeitig einen Katalog seines musikalischen Könnens. Auf einem Steinway kann man fantastisch Bach spielen. Ein Saxophon-Quartett kann aber auch fantastisch Bach spielen. Ich bin da kein Purist. Das „richtige“ Instrument wäre ein Cembalo oder Clavichord. Aber Bach hat wahrscheinlich auch auf Hammerflügeln gespielt. Am sächsischen Hof gab es schon in den 1730er Jahren eine Hammerflügelsammlung. Bachs Sohn, Carl Philipp Emanuel, der in Berlin bei Friedrich dem Großen Hofkomponist war, hat auf jeden Fall Hammerflügel gespielt. Er ist der wichtigste Vertreter des „Empfindsamen Stils“. Seine Musik ist schlichter, weniger komplex und polyphon als die seines Vaters. Sie ist viel mehr auf Affekte gerichtet, Gefühle spielen eine große Rolle. Es war eine neue Zeit, eine neue Epoche. Und dafür gab es dann auch ein neues Instrument, worauf man, durch die Abstufung von Klängen, wirklich singen und seufzen konnte.

Aus dem Hammerklavier wurde schließlich der moderne Konzertflügel. War das technisches Interesse am Instrument oder gab es auch kompositorische und musikalische Gründe?
Es hat auch soziologische Gründe. Das Bürgertum ist im Laufe des 19. Jahrhunderts enorm gewachsen, und das Konzertleben hat sich teils von zu Hause auf die Konzertbühne verlagert. Es gab also einen Bedarf an neuen Instrumenten mit mehr Klangvolumen. Überhaupt war es eine Zeit mit einem unglaublichen Erfindungsgeist. Die Entwicklungen im Klavierbau zwischen etwa 1770 und 1870 waren rasant und die Unterschiede zwischen den Städten (Wien, Paris, London) enorm. Allein in Wien gab es um 1800 weit über hundert Klavierbauer. Auch die Komponisten haben eine ganz große Rolle gespielt. Das sieht man zum Beispiel am Umfang vom Klavier. Haydn, Mozart und anfangs auch Beethoven haben innerhalb der fünf Oktaven komponiert. Man kann die Entwicklung der Tastatur anhand von Beethoven-Sonaten sehr gut verfolgen: Nach 1803 kommen zwei Töne dazu, dann 1804 noch mal fünf. Er hat, auch wegen seiner angehenden Taubheit, die Klavierbauer animiert, größere und kraftvollere Instrumente zu bauen. Wenn ich eine Beethoven-Sonate spiele, habe ich das Gefühl, dass da jemand nach der Grenze seines Instruments sucht. Genau wie Prokofiew oder Messiaen, die an die Grenzen des modernen Flügels gehen und wirklich alle Töne benutzen. Durch die Standardisierung im Laufe des 20. Jahrhunderts, wo man fast nur noch auf Steinways gespielt hat und alle Klavierbauer im Grunde Steinway-Kopien gebaut haben, ist ein sehr einheitlicher Klang entstanden. Die Unterschiede zwischen einem Bechstein, einem Steinway oder einem Yamaha sind im Vergleich zu der alten Vielfalt gering. Aber der moderne Flügel ist ein fantastisch ausgearbeitetes, technisch ausgereiftes Instrument mit einem wunderschönen Klang – ein exzellentes Chamäleon, worauf man sehr unterschiedliche Musik erzeugen kann.

Der Hammerflügel ist ein sehr elegantes Instrument, mit edlen Materialien, Elfenbein, Ebenholz, Nussbaum, Schellack. Ein Kunstwerk für sich. Er war damals auch innovativ in der Benutzung der Materialien und der Technik.
In diesem Instrument ist, bis auf die Saiten, Scharniere und Schrauben, nichts aus Metall. Das ganze Möbel ist aus Holz. Ein moderner Steinway zum Beispiel hat einen gusseisernen Rahmen. Da gibt es ein Vielfaches an Spannung auf den Saiten, die viel dicker sind und damit lauter und länger klingen, aber viel weniger Obertöne haben als die des Hammerflügels. Die Saiten des Hammerflügels sind alle parallel gespannt, auf dem modernen Flügel sind sie gekreuzt. Die Konsequenz ist, dass die Basstöne viel klarer sind. Chris Maene, ein hervorragender Instrumentenbauer in Belgien, hat für Daniel Barenboim eine Art Steinway-Kopie gebaut. Die Saiten des Instruments sind allerdings parallel, und die Holzkonstruktion ist etwas abgewandelt. Also hat er einen neuen modernen Flügel entwickelt mit Features, inspiriert von historischen Instrumenten. Maene hat selbst eine gigantische Sammlung alter Instrumente. Ich finde es ganz spannend, dass man nach etwa 150 Jahren Standardisierung nun vermehrt wieder anfängt, zu suchen, zu experimentieren. Das ist auch ein Wieder-Holen einer Idee.

Wie ist der Klangunterschied?
Beim Hammerflügel sorgen das Holz und die dünneren Saiten dafür, dass der Klang einerseits sehr obertonreich, aber anderseits auch weicher ist, weniger Kraft hat und nicht so lange klingt. Das wird kompensiert durch die viel kleineren Hammerköpfe, die die Saiten anschlagen. Diese sind mit zwei dünnen Schichten Leder bezogen und sorgen für einen sehr sprechenden, klaren Ton. Beim modernen Flügel sind die Hammerköpfe viel dicker und aus Filz. Filz wurde erstmals um 1825 in Frankreich für den Flügel benutzt, das hat den Klang enorm verändert. Spiele ich eine frühe Beethoven-Sonate, dann benutze ich auf einem modernen Flügel nicht nur zwei Drittel der Tasten, sondern auch nur zwei Drittel des Volumens. Denn wenn ich so laut spielen würde, wie es auf dem Steinway möglich ist, ist es stilistisch nicht mehr angemessen. Es fehlen Artikulation und Leichtigkeit. Die Lautstärke geht dann in Richtung eines Prokofiew. Also muss ich vorsichtig sein. Dieses Problem gibt es beim Hammerflügel nicht: Ich kann so extrem spielen, wie ich will, leicht und artikuliert oder laut und wild. Melodien lassen sich sehr gesanglich und wenn nötig sentimental gestalten. Der Rahmen wird von dem Instrument diktiert. Für Studenten ist das ganz spannend. Sie bekommen eine Idee davon, wie anders die Instrumente waren, auf denen Haydn, Mozart, Beethoven und ihre Zeitgenossen komponiert haben.

Was also hören wir, wenn wir Musik hören? Hören wir das, was der Komponist gehört hat, was damals aufgeführt wurde, was heute aufgeführt wird oder was wir mit unseren Hörerfahrungen erwarten?
Hören ist immer eine Reaktion. Wir sind ja andere Menschen, wir können unsere Ohren ja nicht ent-tun von allem, was wir in unserem Leben schon an auditiven Wahrnehmungen gespeichert haben. In diesem Sinne können wir niemals wie ein Mensch aus dem 18. Jahrhundert hören. Wir haben zum Beispiel keine Ahnung, was deren Tempogefühl war. Verlässliche Metronome gab es erst nach 1815. Es gibt einen Dirigenten, der meint, das Leben war viel langsamer damals. Man war zum Beispiel ewig mit der Kutsche unterwegs ... deswegen nimmt er alle Tempi wahnsinnig langsam. Das ist natürlich viel zu pauschal gedacht. Aus Tagebüchern von Adligen weiß man, dass man im Barock sehr viel getanzt hat, etwa ein Drittel der Zeit sogar. Deswegen hatten die Menschen wahrscheinlich eine viel größere Körperlichkeit. Haben sie deshalb vielleicht viel tänzerischer gespielt, als wir es heute wagen? Wer weiß? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist das Spannende. Historisch informierte Aufführungen sind oft erst einmal überraschend, weil sie anders klingen als das, was man lange für die Tradition gehalten hat. In diesem Sinne sind sie etwas sehr Modernes, weil sie die Hörgewohnheiten durcheinanderbringen. Es gibt die Ansicht in der Alte-Musik-Szene, dass Stücke nur auf dem „richtigen“ Instrument zu spielen sind. Diese Meinung teile ich nicht. Man soll Musik spielen, worauf man will. Authentizität ist sowieso eine Illusion, weil wir nie wissen werden, wie Mozart gespielt hat oder wie es für die Leute damals geklungen hat. Man kann das richtige Instrument spielen, alle möglichen Traktate gelesen haben, lernen, wie die Technik damals war, in welchen Sälen gespielt wurde … es wird höchstens eine Annäherung bleiben. Aber das Suchen nach dieser Illusion und die Auseinandersetzung mit diesen Quellen bringt wiederum neue und sehr interessante Ideen für die Interpretation hervor, und das macht die Alte Musik, die Historische Aufführungspraxis, zur Gegenwartskunst. Das ist das eigentlich Spannende an der Sache.

 

Lucas Blondeel ist Professor für Klavier. Am 21. Oktober wird das neue Hammerklavier beim Salonabend „Salon der Rebellen“ im Rahmen des Alten Musik Festes Friedenau der Öffentlichkeit präsentiert (siehe Seite 16). Das Gespräch führten Marina Dafova und Claudia Assmann.