Synchronie / Diachronie: Fragmente einer Sprache der Architektur

Quelle: mn

Synchronie / Diachronie

Fragmente einer Sprache der Architektur

 

WS 25/26 - Vorlesung

Prof. Dr. Matthias Noell
Freitag, 16:00-17:30
Start: 24.10.2025

Der letzte Teil der Vorlesungs-Trilogie zu methodisch gegenübergestellten Begriffen (Kanon/Referenz im WS 2023/2024 und Substanz/Akzidenz im WS 2024/2025) lotet in diesem Wintersemester Erzählformen der Architekturgeschichtsschreibung aus, und setzt dazu das sprachwissenschaftliche Begriffspaar Synchronie/Diachronie an den Beginn der Überlegungen. Beide Begriffe - als "Synchronie" bezeichnete Ferdinand de Saussure die Methode der Betrachtung eines zeitlichen Zustands einer Sprache, als Diachronie jene der Veränderung der Sprache durch die Zeiten hindurch - sind nicht problemlos und konfliktfrei auf die Architektur übertragbar. Sie sollen daher lediglich als Anregung für eine kritische Hinterfragung unserer historischen Konstruktions- und alltäglichen Wahrnehmungsformen von Architektur verwendet werden. Der Raum, der sich zwischen Synchronie und Diachronie aufspannt, soll uns einen Ausbruch aus den klassischen und eingeübten architekturhistorischen Methoden ermöglichen.  
Der Rückgriff auf sprachwissenschaftliche Vorgehensweisen hat aber auch noch einen anderen Grund: Denn dass Architektur auch eine Sprache ist, sie mit Zeichen, Worten und Grammatik arbeitet, hatte schon Victor Hugo in seinem Roman Notre-Dame in Paris beschrieben. Wir fragen uns daher in Anlehnung an Roland Barthes und sein bis heute faszinierendes Buch "Fragmente einer Sprache der Liebe", wie es um die Sprache der Architektur und das Sprechen über Architektur eigentlich steht. Barthes wählt einen radikalen Weg, das weit gesteckte Thema zu behandeln und zu gliedern, den der alfabetischen Listung und Erklärung von achtzig "Figuren", derer sich das liebende Subjekt bedient. Seine Vorgehensweise ist bewusst fragmentarisch, beschreibt keine Entwicklungsgeschichte oder Logik zwischen den Begriffen, sie lässt in sich abgeschlossene, gleichermaßen aber offene und anschlussfähige Miniaturen entstehen, die das Kleine, Alltägliche ebenso in den Blick nehmen wie das  nur scheinbar Bedeutungsvollere. Können wir, wie die Liebenden, um die es Barthes ging, nur die Existenz der Architektur, nicht aber ihre Essenz wahrnehmen? 
Im Wintersemester 2025/2026 verlassen wir die reine Wissenschaft und machen uns Gedanken über die Architektur als Teil unseres gemeinsamen Lebens, vielleicht sogar um ihre Essenz. Wir sprechen über die Sprache der Architektur, nicht nur über die Architektur selbst. Welche Betrachtungs- und Untersuchungsform wählen wir im Anblick von architektonischen Artefakten, welche methodischen Kreuzbestäubungen wären denkbar, sinnvoll, möglich? Sind methodisch sich eigentlich ausschließende Parallelbetrachtungen denkbar? Und benötigen wir vielleicht auch einen neuen Begriff für uns Architekturbetroffene?