Überwachungsdiskurse und Praktiken der Selbstkontrolle in Kunst und Wissenschaft (Seminar)

Dr. Margarete Vöhringer
Überwachungsdiskurse und Praktiken der Selbstkontrolle in Kunst und Wissenschaft
Seminar, 2 SWS, 2 LP
Montags, 14-16 Uhr, wöchentlich ab 25.4.2016, Hardenbergstr. 33, Raum 110

Die „panoptische Bauweise“ zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass die Bewohner*innen dieser Räume sich immerzu unter Kontrolle fühlen und daher versuchen, ihr Verhalten selbst zu kontrollieren. Bekannt ist dieses architektonische Prinzip vor allem aus Gefängnissen, Besserungsanstalten, Arbeitshäusern, Manufakturen, Irrenhäusern, Hospitälern, Internaten und Schulen. Jeremy Bentham, der Ökonom, der das Panoptikum Ende des 18. Jahrhunderts als erster beschrieben hat, sah es durchweg positiv als eine aufgeklärte, gewaltfreie Form von Disziplinierung. Statt Menschen durch Androhung von Strafe zu disziplinieren, sollte fortan ein Blickregime wirken, in welchem eine Situation der Kontrolle Verfahren der Selbstkontrolle auslöste, die vor allem darauf ausgerichtet waren, auch außerhalb der architektonischen Anlagen weiter zu wirken.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts verließ das Organisationsprinzip der Selbstkontrolle die Besserungsanstalten und breitete sich auf einem Gebiet aus, in dem es ebenfalls um das Disziplinieren von Lebewesen ging: im physiologischen Labor, wo mit Tieren oder Menschen experimentiert wurde, die sich den Eingriffen der Wissenschaftler*innen nicht ohne Weiteres unterwarfen. Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu zwei Entgrenzungen der Selbstkontrolle aus dem wissenschaftlichen Labor heraus – zum einen in die Fabrik, zum anderen in die Politik. Im fortlaufenden 20. Jahrhundert waren es dann neben Philosoph*innen vor allem Künstler*innen, die mit den Grenzen der Selbstkontrolle spielten, sie hinterfragten und aussetzten.

Das Seminar wird zentrale Überwachungsdiskurse und Praktiken der Selbstkontrolle in den Wissenschaften, in der Philosophie, in Soziologie und Technikgeschichte sowie in den Bildenden Künsten bis in die Gegenwart untersuchen – nicht zuletzt um der aktuell virulenten Frage nachzugehen, welche Möglichkeiten der Selbstkontrolle heute noch existieren. 

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Erwartet wird aktive Teilnahme in Form eines Referats und aktive Teilnahme an den Diskussionen.

Dr. Margarete Vöhringer ist Leiterin des Projekts „Wissenspraktiken“ und Mitglied im Planungsteam des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL). Sie studierte Kunstwissenschaft und Medientheorie, Philosophie und Ästhetik sowie Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Nach der Promotion 2006 an der Humboldt Universität zu Berlin lehrte sie an den Universitäten Berlin (FU, HU, UdK), Weimar, Zürich und Moskau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart (Publikationen u.a. zu Russischer Avantgarde, Fluxus, Konzeptkunst, Pop Art, Architekturfotografie, Kunst und Macht); Kulturwissenschaft mit einem Schwerpunkt auf visueller Kultur (Forschungen zu Kulturtechniken des Sehens, zu interdisziplinären Bildkonzepten, zu den Wechselverhältnissen von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft, zu den Beziehungen zwischen Theorie und Praxis, zu lokalen und globalen Wissensformationen). Publikationen (u.a.): „Wissenschaft im Museum – Ausstellung im Labor“ (hg. mit Anke Te Heesen), Berlin 2014; „Avantgarde und Psychotechnik. Wissenschaft, Kunst und Technik der Wahrnehmungsexperimente in der frühen Sowjetunion“, Göttingen 2007.