“Tupí or not Tupí: that is the question”. Anthropophagie / Kannibalismus als ästhetische Praxis (Seminar, Deutsch/English)

Celina Gonzalez Sueyro
“Tupí or not Tupí: that is the question”. Anthropophagie / Kannibalismus als ästhetische Praxis

Seminar (Deutsch/English), 2 SWS, 2 LP
Freitag, 14-16 Uhr, wöchentlich ab 16.10.2015, Hardenbergstr. 33, Raum 151 (Achtung: an einigen Terminen anderer Raum: am 23.10. & 20.11. Raum 004, am 11.12. Raum 158)

Tupí waren eine der größten Ethnien Brasiliens vor der Kolonialzeit und dominierten zur Zeit der Conquista die Atlantikküste. Den Europäern waren sie vor allem bekannt von Berichten über Kannibalismus.
Auf der Suche nach einer brasilianischen Identität schreibt Oswald de Andrade, Mitbegründer des brasilianischen Moderninsmo, 1928 das Manifesto Antropófago (griechisch von Anthropos = Mensch, Phagia = Akt des Essens). In diesem Manifest wird die Bestrebung von brasilianischen Künstler/innen und Intellektuellen der 1920er Jahre sichtbar, die kulturelle Einzigartigkeit des Landes, ausgehend aus der vorkolonialen Tradition, durch radikale Transformation zu begründen. In der anthropophagischen Haltung gilt es, sich europäische Kulturinhalte anzueignen, und diese in eine Dialektik mit einer möglichen neuen Kultur zu stellen. „Statt das Fremde wegzuschieben, das Fremde fressen” heißt es im Manifesto Antropófago. Nur durch die Reflexion auf das vor der Entdeckung Amerikas reichlich Vorhandene, sei die Möglichkeit einer autonomen Kunst und Identität gegeben.
Das Seminar stellt das Manifest Andrades und eine Reihe von Künstler/innen vor, die gleichermaßen bewusst aktuelle künstlerische Ansätze verfolgen sowie Motive und Techniken einsetzen, die in der Tradition lateinamerikanischer Kultur verwurzelt sind.
Während der Auseinandersetzung mit ausgewählten Kunstwerken und ihrem historischen Kontext werden die Teilnehmer/innen sich intensiv mit einem Studienobjekt ihrer Wahl beschäftigen. Ziel ist es dabei, in der Erkenntnis des/der Anderen, Strategien für den eigenen kreativen Prozess zu entwickeln.
„Der Kannibale…hat seine Feinde zum fressen lieb, und der frisst die nicht, die er nicht irgendwie lieb haben kann” stellt Sigmund Freud in „Totem und Tabu“ fest. Sind wir bereit, Kannibalen zu spielen?

Ausgewählte Künstler/innen:
Helio Oiticica. Parangolés. Karnaval.
Lygia Clark. Baba antropofágica.
Cildo Meireles. Red Shift I. Impregnation.
Tunga. Ritual. Tanz- Performance.
Ana Mendieta. Spuren. Antropometrien. Selbstportrait.
Francis Alÿs. Der Tourist.
Gabriel Orozco. Die Strasse als Studio, ready-made.
Doris Salcedo. Augenzeuge seines Landes. Tribut.
Victor Grippo. Das Essen des Künstlers.

Literatur:
Andrade, Oswald de: Manifesto Antropófago, Revista de Atropofagia, São Paulo 1928.
Lévi-Strauss, Claude: Wir sind alle Kannibalen, Berlin 2014.
Lévi-Strauss, Claude: Tristes Tropiques, New York, Penguin, 1973.

Zielgruppe: Studierende, die sich für Kunst und zeitgenössische Diskurse in Lateinamerika interessieren.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Aktive und regelmäßige Teilnahme, Erstellung eines Werkes.

Celina Gonzalez Sueyro lebt als Künstlerin, Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin nun wieder in Berlin. Sie studierte Literaturwissenschaft in Buenos Aires sowie Bildende Kunst in Buenos Aires und Berlin; sie war Meisterschülerin bei Prof. Möbus an der Universität der Künste Berlin (2001-2003). Verschiedene Lehrtätigkeiten übte sie seit 1998 in Buenos Aires und Mar del Plata aus. Letzte Ausstellungen waren zu sehen in der Galerie Kwadrat, „Sei mein Gast“, Berlin (2013); „Fevre Vert“ AgvA - Contemporary Institute for Art & Thought e.V. Berlin (2013); „Vanitas“ Mundo Dios, Mar del Plata (2012). Weitere Informationen unter www.mariacelina.com.