Literatur und Fotografie

Dr. Daniela Doutch
Literatur und Fotografie

Seminar, Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS, 5 Plätze
Montags, 14-16 Uhr, wöchentlich ab 16.10.2023
Hauptgebäude der TU Berlin, Raum H 2051

Anmeldung per Mail bis 16.10., 12 Uhr unter doutch_ @tu-berlin.de

Seit ihrer ‚Erfindung‘ 1839 durch Louis Daguerre wird der Fotografie das authentizitätsversprechende Potential der vermeintlich exakten Realitätswiedergabe attestiert, wofür der Titel des ersten kommerziell veröffentlichten Fotobuches bereits Zeugnis ablegt: Henry Fox Talbots „The Pencil of Nature“ (1844-46). Der literarische Text scheint sich geradezu antagonistisch zu dem technischen Bildmedium der Fotografie zu verhalten: Er gehört dem Zeichensystem der Sprache an und ist von jeder Referenzialisierbarkeit auf die außerfiktionale Realität freigesprochen. Doch es ist gerade das Verhältnis von Fiktion und Realität, das seit der Erfindung der Fotografie in den Wahrnehmungsdiskursen der Moderne neu verhandelt wird. Dabei stellen schon früh Techniken der Retusche oder der Doppelbelichtung die Wahrheitsrhetorik des fotografischen Bildes infrage. Intermedial bieten sich dem literarischen Text zwei Möglichkeiten, das fotografische Bild zu integrieren: Entweder der Text baut tatsächlich Fotografien in den Textfluss ein – damit wäre das intermediale Phänomen der Medienkombination beschrieben. Oder er bezieht sich formal oder inhaltlich durch implizite oder explizite Verweise auf das fotografische Bild – das wäre dann der intermediale Bezug. Im doppelten Zugang über die theoretische und die literarische Auseinandersetzung mit der Fotografie möchte dieses Seminar an ausgewählten Texten der Frage nachgehen, welche Möglichkeiten die Fotografie der literarischen Darstellung eröffnet und in welcher Weise der jeweilige literarische Text mit dem Medium der Fotografie umgeht. An ausgewählten Stationen der Theoriegeschichte der Fotografie (Walter Benjamin, Roland Barthes, Susan Sontag, Rosalind Krauss, Friedrich Kittler u.a.) fragt das Seminar dabei zum einen nach der Veränderung der Wahrnehmungsästhetik der Moderne durch das neue technische Bildmedium. Zum anderen wird in einem intermedialen Zugriff der Frage nachzugehen sein, in welcher Weise die ausgewählten literarischen Texte das fotografische Bild aufnehmen. Analysiert werden soll die Rolle der Fotografie in Texten von Thomas Mann, Marcel Proust, Rolf Dieter Brinkmann, Sophie Calle, W.G. Sebald und Marcel Beyer.

Leistungsanforderungen: regelmäßige, aktive Teilnahme

Daniela Doutch, seit September 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Literaturwissenschaft der TU Berlin. Davor wissenschaftlicher Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln und Koordinatorin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte: Literatur der Moderne; Literatur und Medien (insbesondere Fotografie); Tastdiskurse um 1900; Zeitkonfigurationen und Kybernetik in Kunst und Literatur der Gegenwart.
Publikationen: Zum unmittelbaren Kontakt. Poetik des abtastenden Umschreibens in Hermann Brochs Die Schlafwandler, Köln 2019; (Hrsg., gem. mit Anna Dabrowska, Julia Martel, Alexander Weinstock) Verkörperungen des Kollektiven. Wechselwirkungen von Literatur und Bildungsdiskursen seit dem 18. Jahrhundert, Bielefeld 2019; Zwischen – denken. Herta Müllers und Katie Mitchells Reisende auf einem Bein, in: Norbert Otto Eke, Christof Hamann (Hrsg.), München 2020, 114–123.