Klassenzeugs – die Lücke, die Heidegger und Latour offenlassen

Prof. Dr. Thomas Düllo
Klassenzeugs – die Lücke, die Heidegger und Latour offenlassen

Seminar, Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
Dienstags, 18-20 Uhr, wöchentlich, ab 18.4., Hardenbergstr. 33, Raum 110

Registration on Moodle starts on the 17th of April / Anmeldung auf Moodle beginnt am 17.4.2023: https://moodle.udk-berlin.de/moodle/course/view.php?id=1832
Moodle Enrollment Key / Einschreibeschlüssel: dinge


Wenn die These stimmt, dass wir vielerorts wieder (oder noch immer) in einer Klassengesellschaft leben, dann muss es auch Dinge und Objekte geben, die einen Klassencharakter haben. Mittels der Dinge verorten und orientieren wir uns in der Welt und gestalten Welt. Das ist kein zeitloser Akt. Das ändert sich dauernd, ist ein sozio-technischer Austausch zwischen Menschen und materieller Umwelt. Die Künste sind per se materialnah, aber sie artikulieren auch signifikante Dinge und Objekte in ihren politisch-gesellschaftlichen Kontexten. 

Hier möchte das Seminar ansetzen. Es lädt zu einem Setting ein, in dem die Studierenden aller denkbaren fachlichen Herkünfte eine Spurensuche unternehmen, bei der sie Objekte, Dinge, Materialien aufspüren und analysieren, die signifikant für den Verkehr von Dingen in unterschiedlichen Klassen sind. Was sind da die Favoriten, welche Probleme der Aneignung unter den Bedingungen ungleicher Verhältnisse zeichnen sich da ab? Welches „Klassenzeug“ wird zu Kunstdingen oder zu Klassen-Dingen in Kunstumgebungen.
Wenn in der Veranstaltung über „Klasse“ und „Dinge“ gesprochen wird, sollten wir uns vergewissern, wovon wir reden. Klasse wäre von Schicht und Milieu zu unterschieden, ebenso Dinge von Objekten abzugrenzen. Dafür helfen Dialogpartner_innen aus Theorien über Klasse und über Dinge, die wir dosiert nutzen wollen (Marx, Mannheim, Weber, Hall, Schulze oder Latour, Heidegger, Hahn, Han, Atfield und andere). Beiläufig führt das Seminar auch in den Diskurs über Dinge und die Dingforschung ein.

Die Spurensuche konzentriert sich auf aktuelle Dinge, denen man einen klassenspezifischen Charakter zuerkennt. Das können auch wandernde Dinge sein – zwischen Klassen und Milieus, zwischen Alltagsdingen und Kunstdingen, zwischen unterschiedlichen Kulturen und Altersgruppen. Hier mag man an Dinge in prekären, bedrohten Situationen denken (wichtigen Dinge auf der Flucht, in einem Lager z.B.) oder an „posche“ und hippe Dinge, aber auch an Müll-Dinge (siehe Dokumenta 2022: „Return to Sender“). Die Spurensuche ist offen angelegt, die Klassendinge werden nicht vorgegeben. Erwartet wird aber ein Portrait eines signifikanten Klassendings, das einen theoriegestützten Kommentar einschließt. Am Ende sollte eine gemeinsame Kartografie entstanden sein, die signifikantes, typisches, merkwürdiges, abwegiges Klassenzeug in ein erhellendes Bild überführt. Eine solche Karte gibt darüber hinaus auch Auskunft darüber, wo und wie die Studierenden die gegenwärtige Verfasstheit von Gesellschaft, Kunst und wirtschaftlicher Wirklichkeit wahrnehmen und wie sie sich dazu positionieren.

Erste Literatur:
Bell Hooks: Die Bedeutung von Klasse. Münster 2020.
Rebekka Endler: Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt. Köln 2022.
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin 2016.
Susanne Witzgall/Kerstin Stakemeier (Hg.): Macht des Materials/Politik der Materialität. Zürich, Berlin 2014.
Thomas Strässle et a. (Hg.): Das Zusammenspiel der Materialien in den Künsten. Theorien, Praktiken, Perspektiven. Bielefeld 2013.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Regelmäßige aktive Teilnahme: Lektüre ausgewählter Texte rund um das Thema „Klasse und materielle Kultur“. Erwartet wird die Übernahme eines Portraits über signifikantes Klassendings, das einen theoriegestützten Kommentar einschließt. Am Ende sollte eine gemeinsame Kartografie entstanden sein, die signifikantes, typisches, merkwürdiges, abwegiges Klassenzeug in ein erhellendes Bild überführt.

Thomas Düllo, Literatur- und Kulturwissenschaftler mit akademischen Stationen Münster, Magdeburg, Berlin. Bis 2020 Universitätsprofessor für Texttheorie und Textgestaltung an der UdK Berlin im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK). Dem Studium Generale seit Jahren verbunden als Geschäftsführender Direktor (bis 2019) und als Lehrender. Seit der Pensionierung weiter trans- und interdisziplinär aktiv als Autor und Dozent in den Themengebieten: Text, Kontext & Narration; Praxiszugänge und Praxisforschung; Third Mission/Transfer; Material Culture, Popular Culture, Urban Culture; Transformationsforschung; das Wissen der Künste, der Literatur und des Materials / kulturwissenschaftliche Konsumforschung.