Befreiungsgeschichte und Vergessen. Wie lässt sich Befreiung denken, ohne immer wieder in neuen Herrschaftsformen zu enden?

Cord Riechelmann
Befreiungsgeschichte und Vergessen. Wie lässt sich Befreiung denken, ohne immer wieder in neuen Herrschaftsformen zu enden?

Seminar, Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
Dienstags, 16-20 Uhr, 14tägig: 17.10., 31.10., 14.11., 28.11., 12.12.2023, 16.1., 30.1., 13.2.2024, Hardenbergstr. 33, Raum 102

Registration on Moodle starts 16.10.2023 / Anmeldung auf Moodle beginnt am 16.10.2023: https://moodle.udk-berlin.de/moodle/course/view.php?id=2022
Moodle Enrollment Key / Einschreibeschlüssel: befreiung

Befreiungsbewegungen sind in der Geschichte regelmäßig in neue Herrschaftsformen umgeschlagen. Dabei haben die Sieger der Geschichte so gewohnheitsmäßig die konkreten Umstände ihres Sieges vergessen, wie es der Soziologe Niklas Luhmann für das Geld festgestellt hat. Geld, so Luhmann, vergesse „routinemäßig alle konkreten Umstände, die den einzelnen Zahlungsvorgang motiviert hatten“. Luhmann bringt das daraus folgende „eingeschränkte Erinnern“ mit dem Alltagsverständnis des Gedächtnisses in Verbindung, das immer nur die Leistung des Erinnerns, nicht die Leistung des Vergessens betone. Im Seminar soll ausgehend von der individuellen wie gesellschaftlichen „Leistung“ des Vergessens versucht werden, darüber nachzudenken, „wie die Befreiung versucht wurde, warum sie gescheitert ist – und wie es vielleicht anders geht“ (Christoph Menke). Das setzt neben der Betrachtung historischer Aufstände auch eine Untersuchung jener Figur voraus, die nach dem westlichen Verständnis von Geschichte im Zentrum des Begriffs der Freiheit steht: nämlich die Figur des Subjekts. Einer Figur, die, wenn sie gesiegt hat, so vergesslich gegenüber ihrer eigenen Gebrechlichkeit wird, wie es ihr das Geld vorgemacht hat.

Literatur:
Arendt, Hannah: Vita activa oder vom tätigen Leben, Piper Taschenbuch, 2020.
Badiou, Alain: Das Sein und das Ereignis, Diaphanes, 2005.
Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde, Suhrkamp, 1981.
Fleury, Cynthia: Hier liegt Bitterkeit begraben. Über Ressentiments und ihre Heilung, Suhrkamp, 2023.
French, Howard W.: Afrika und die Entstehung der modernen Welt, Klett-Cotta, 2023.
Getachev, Adom: Die Welt nach den Imperien. Aufstieg und Fall der postkolonialen Selbstbestimmung, Suhrkamp, 2022.
Menke, Christoph: Theorie der Befreiung, Suhrkamp, 2023.
von Redecker, Eva: Praxis und Revolution. Eine Sozialtheorie radikalen Wandels, Campus, 2018.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Neben aktiver und regelmäßiger Teilnahme: zuhören, mitdenken und Argumente entwickeln.

Cord Riechelmann, geboren 1960 in Celle, studierte Biologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die „Geschichte biologischer Forschung“. Außerdem arbeitete er als Kolumnist und Stadtnaturreporter für die „Berliner Seiten“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Autor der Bücher „Bestiarium“ (2003), „Wilde Tiere in der Großstadt“ (2004) und Herausgeber „Zu einer Ästhetik des Lebendigen“ (2015). Er kuratierte zusammen mit Marcel Schwierin das Sonderprogramm zum „Kino der Tiere“ bei den Kurzfilmtagen 2011 in Oberhausen. 2013 erschien das Buch „Krähen. Ein Porträt“ bei Matthes & Seitz, „Vögel“ (2021) im Dudenverlag, und zuletzt „Leichtes Unbehagen. Von Menschen und anderen Tieren“ (2022) zusammen mit Rosemarie Trockel im Verlag der Buchhandlung Walther König. Riechelmann schreibt für diverse Zeitungen, u.a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die taz und cargo. Er unterrichtet wiederkehrend im Studium Generale der Universität der Künste Berlin.