Jagd auf die Muskatnuss: Schuld, Schulden und der blinde Fleck der Moderne

Christian Schüle
Jagd auf die Muskatnuss: Schuld, Schulden und der blinde Fleck der Moderne

Seminar, Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
Freitags, 14-18 Uhr, 3.11., 17.11., 1.12., 15.12., 12.1.24., 19.1., 2.2., 9.2.2024,
Hardenbergstr. 33, Raum 102 (am 15.12. ausnahmsweise in Raum 110)

Registration on Moodle starts 16.10.2023 / Anmeldung auf Moodle beginnt am 16.10.2023: https://moodle.udk-berlin.de/moodle/course/view.php?id=2023
Moodle Enrollment Key / Einschreibeschlüssel: nuss

Die faszinierende Geschichte der niederländischen „Vereinigten Ostindischen Companie“ (VOC) aus dem sogenannten „Goldenen Zeitalter“ des 17. Jahrhunderts ist ein wenig bekanntes Musterbeispiel für kapitalistischen Kolonialismus. Mit den Unternehmungen damals wurden die Fundamente der heutigen westlichen Weltordnung gelegt: durch Hugo Grotius etwa das Völkerrecht, durch Kaufleute der Aktienkapitalismus, durch Gewalt und Menschenverachtung das Recht auf Eigentum als Naturrecht auf Ausbeutung. Die sozialen und kulturellen Kosten dieser ersten Globalisierung, der Jagd auf Gewürze (etwa die Muskatnuss) im heutigen Indonesien, wurden vergessen und verdrängt. Amnesie ergibt sich durch das erfolgreiche Narrativ: die Segnungen des europäischen Wohlstands rechtfertigten ein Regime der Erpressung.

Das Seminar setzt sich zum Ziel, eine andere Globalisierung zu analysieren: nicht die der Gewinne, sondern die der Verluste. Der kulturellen Kosten. Es untersucht die Mechanismen der damaligen wie heutigen Werteordnung. Die kulturhistorische Analyse des Verhältnisses von (moralischer) Schuld und (ökonomischen) Schulden soll den Blick auf soziale und kulturelle Folgekosten legen und die problematischen Grundlagen des europäischen Wohlstands herausarbeiten. Basiert unsere Werteordnung, unsere Identität im Grunde auf religiösem Glauben und dem Verhältnis von Schuld und Schulden?

Anhand legendärer klassischer Primärtexte und historischen Materials klären wir, inwieweit das kapitalistische System im Grundsatz eine Religion mit säkularer Glaubensbotschaft ist. Wir arbeiten die Analogien zwischen der VOC als wertvollstem Konzern des 16. Jahrhunderts und den aktuellen Techkonzernen heraus und stellen die für heutige wie künftige Diskurse entscheidende Frage: Ist das System darauf angelegt, Moral zu vertreiben und Amnesie zu produzieren?

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Neben aktiver und regelmäßiger Teilnahme: Referat/Vortrag über einen selbstgewählten oder angebotenen Aspekt im Kontext des Seminarthemas (15-30 Minuten; Termine verbindlich).

Christian Schüle, geb. 1970; Studium der Philosophie, Soziologie und Politischen Wissenschaft in München und Wien; ehemaliger ZEIT-Redakteur; lebt als freier Schriftsteller, Essayist und Publizist in Hamburg. Er leitete zwei Thinktanks über eine Minima Moralia der nächsten Gesellschaft, ist Vortragsredner auf verschiedenen Foren und nimmt in politischen Feuilletons für den Deutschlandfunk und den Bayerischen Rundfunk regelmäßig zu zeit- und gesellschaftskritischen Fragen Stellung. Unter seinen bisher 13 Büchern sind der Roman „Das Ende unserer Tage“ sowie die Debatten-Essays „Was ist Gerechtigkeit?“, „Heimat, ein Phantomschmerz“ und „In der Kampfzone“. Zuletzt erschien seine Philosophie des Reisens unter dem Titel „Vom Glück, unterwegs zu sein“ (Siedler-Verlag, München).