Die digitale Öffentlichkeit

Prof. Dr. Philipp Hübl
Die digitale Öffentlichkeit

Seminar (als Vorlesung ODER Seminar anrechenbar), Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
Montags, 16-17:30 Uhr, wöchentlich ab 25.4.2022, Hardenbergstr. 33, Raum 150

Für die Demokratie sind digitale Medien Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil das Internet den Nachrichtenmarkt demokratisiert und egalisiert hat. Mit dem zweiten «Strukturwandel der Moderne» hat sich eine neue Öffentlichkeit gebildet. Um sich zu informieren ist niemand mehr von teuren Zeitungsabonnements oder Bibliotheksrecherchen abhängig. Umgekehrt muss niemand ein Medienhaus oder eine Radiostation gründen, um die eigene Meinung zu veröffentlichen und so gelesen und gehört zu werden. Die digitalen Medien sind aber auch ein Fluch, weil Journalisten und Wissenschaftlerinnen als klassische «Gatekeeper» an Einfluss verloren haben, also als Expertinnen, die die Nachrichten nach einem strengen Kodex vorsortieren. Die Demokratisierung holt nicht immer das Beste aus den Menschen heraus. Viele verhalten sich in der Halbanonymität des Netzes eher wie Schulkinder in der Pause, wenn die Hofaufsicht keinen Dienst hat: Gruppenbildung, Mobbing, Lügen, Hass und Geltungsdrang sind viel verbreiteter als der höfliche Umgang, geprägt von Respekt, Wohlwollen und dem Austausch von Argumenten. Visuelle, emotionale und polarisierende Inhalte übertrumpfen fast immer differenzierte, rationale und ausgeglichene Informationen.

Auch die Politisierung der sozialen Medien ist zweischneidig: Twitter hat Greta Thunberg erfolgreich gemacht, aber genauso Donald Trump. In den USA haben sich die Aktivisten von «Black Lives Matter» auf Facebook organisiert, aber ebenso die inländischen Terroristen, die 2021 das US-Kapitol gestürmt haben.

Im Seminar diskutieren wir aktuelle Texte aus der Philosophie, Psychologie, Soziologie, Kultur- und Medientheorie, die sich mit der neuen, von sozialen Medien geprägten öffentliche Diskussion auseinandersetzen: Wie verändert sich die Kommunikation durch das Medium des Digitalen? Wie prägen soziale Medien die Politik und den politischen Aktivismus? Wie soll man konstruktiv miteinander streiten? Wie mit Extremisten umgehen? Und wie kann man erreichen, dass in der digitalen Öffentlichkeit alle Menschen repräsentiert werden, und man nicht nur die Stimmen der Lauten und der akademisch gebildeten Eliten hört?

Drei Sitzungen des Seminars sind als öffentliche Diskussionsrunden konzipiert, in der Forscherinnen und Forscher zu Gast sind. Dies sind Jörg Scheller, Ulrike Ackermann und Per Leo, deren Bücher wir vorab im Seminar in Auszügen lesen und mit denen wir unter anderem über moralische Selbstdarstellung, Erinnerungskultur, das Schweigen der Mehrheit und digitale Empörung diskutieren. Für die Teilnahme wird gründliche Textarbeit und eine kurze eigene Präsentation erwartet.

Hier der Streaminglink zu den öffentlichen Diskussionsrunden:
https://stream.udk-berlin.de/videos/watch/e93ea703-d036-4526-b217-645b2d0ed995

Hier der Link zu den Aufzeichnungen der bereits stattgefundenen Diskussionen:
https://stream.udk-berlin.de/video-channels/studium_generale_live/videos

Zu Gast: Jörg Scheller. Mittwoch, 15.6.2022, 14-16 Uhr, Hardenbergstr. 33, Raum 201.  Video: Gespräch mit Jörg Scheller
Zu Gast: Ulrike Ackermann. Dienstag, 5.7.2022, 16-18 Uhr, Hardenbergstr. 33, Raum 158. Video: Gespräch mit Ulrike Ackermann
Zu Gast: Per Leo. Montag, 11.7.2022, 16-18 Uhr, Raum 158. Video: Gespräch mit Per Leo


Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: regelmäßige Teilnahme an den Diskussionen, regelmäßige Lektüre, Referat zu einem Thema.

Philipp Hübl ist Philosoph und Autor der Bücher „Die aufgeregte Gesellschaft“ (2019), „Bullshit-Resistenz (2018), „Der Untergrund des Denkens“ (2015) und „Folge dem weißen Kaninchen“ (2012) sowie von Beiträgen zu gesellschaftlichen und politischen Themen, unter anderem in der Zeit, FAZ, taz, NZZ, auf Deutschlandradio und im Philosophie Magazin. Hübl hat Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität Berlin und zuletzt als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart gelehrt. Studium der Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford. Seit dem WS 2020/21 ist Philipp Hübl Gastprofessor für Kulturwissenschaften im Studium Generale der UDK Berlin. Weitere Informationen unter http://philipphuebl.com.