Bevor die Zukunft beginnt

Leicy Esperanza Retamal Valenzuela
Bevor die Zukunft beginnt

Analoges Blockseminar, Deutsch/English, 2 SWS, 2 ECTS
Donnerstag - Sonntag, 18.-21.11.2021, 10-18 Uhr, Karslruher Straße 7a. Studio P1

Dieser Workshop ist Teil einer langen praktischen und theoretischen Forschung über das Konzept der radikalen Gegenwart (Radical Present). Vor ein paar Jahren haben wir zusammen mit dem Performance-Kollektiv Pink Valley Methoden für die Erfahrungen von radikaler Empathie entwickelt. Sowohl im Stück "Zivilisierte Länder" als auch in der Arbeit mit Jugendlichen in Kooperation mit dem HAU Hebbel am Ufer. Aus dieser Erfahrung heraus haben wir unsere Forschung über Radikalität und Gegenwart fortgesetzt.

Der folgende Workshop entstand aus dem Bedürfnis heraus, die demokratischen Körper der Gegenwart zu hinterfragen. Angesichts der aktuellen Fragmentierungstendenzen und der Überflutung von "Wahrheiten" in sozialen Netzwerken. Wir werden uns fragen, wo wir wirklich stehen? In welcher Beziehung stehen wir zu anderen, sowohl zu Menschen als auch zu anderen Spezies? Welche Gesellschaften generieren unsere Koexistenzen? Welche Diskurse oder Wirkungen hat die Kunst gegenüber der Gesellschaft?

Eine emphatische Positionierung in der Gesellschaft erfordert einen besonderen Zustand der Präsenz - das ist die radikale Gegenwart. Radikal in dem Sinne, dass ich eine Grenze überschreite, aber ohne die Gewalt, die man normalerweise mit diesem Wort verbindet, sondern als Befreiung von verfestigten Denk-Gewohnheiten.
In diesem Workshop werden wir auf multidisziplinäre Weise erfahren, was es bedeutet, im Moment zu sein und wie grundlegend dies ist, wenn man ein Werk kreiert, aber auch, wenn man mit seiner Arbeit eine soziale Wirkung erzielen will.

Die Inhalte werden wie folgt sein:
1. Aktion: Der Philosoph Merleau-Ponty spricht vom Körper als einem Vehikel, um sich selbst und die Welt zu verstehen. Zu Beginn des Workshops erforschen wir Techniken wie; Body-Mind-Centering und View Point, auf diese Weise vertiefen und radikalisieren wir die Verbindung mit unserem Körper (Verlassen eines gemeinsamen und bekannten Ortes) sowie unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmungen.  Diese Arbeit bereitet uns individuell darauf vor, mit einem anderen in Verbindung treten zu können.
2. Reflexion: In einem hybriden Arbeitsprozess werden wir propriozeptive Erfahrungen (Körper) mit einer theoretischen Diskussion darüber verbinden. Welche Ideen sich auf das Konzept der "Radikalen Gegenwart“ beziehen? Wir werden verschiedene Autoren wie Humberto Maturana, Francisco Varela, Hannah Arendt und Julia Bell besprechen. Wir werden auch Schreibübungen und Interviews durchführen, um Originalmaterial von den Teilnehmern zu generieren.
3. Inspiration: Im Laufe des Workshops werden wir uns Referenzen von Künstlern ansehen, die mit den Konzepten von Präsenz und Gegenwart gearbeitet haben. Künstler wie Marina Abramovic, Regina Galindo und Susanne Lacy unter anderen.
4. Kreation: Am Ende des Workshops kann jedes Mitglied etwas präsentieren, das in der Arbeitswoche entstanden ist oder von ihr inspiriert wurde. Diese Kreation hat keine spezifische Anforderung, sie kann individuell oder kollektiv, szenisch oder plastisch sein. Ziel ist es, das Erlebte als künstlerisches Experiment in die Praxis umzusetzen. Damit die Reflexion Gestalt annimmt.

Bevor die Zukunft beginnt, ist eine Einladung, die Gegenwart zu bewohnen. Die Gegenwart die nicht-perfekt und ebenso Zerbrechlichkeit ist zu akzeptieren. Das Hauptziel dieses Workshops ist es, bei den Teilnehmern eine ehrliche Erfahrung zu erzeugen, die sie auf kritische und bewusste Weise mit sich selbst und ihrer kreativen Arbeit in Verbindung bringt.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium Generale Leistungsschein: regelmäßige, aktive Teilnahme und Kurzpräsentation.

Mein Name ist Leicy Valenzuela, ich bin Schauspielerin (Univ. Chile), Theaterschaffende und Theaterpädagogin (Udk Berlin). Meine künstlerische Arbeit beschäftigt sich mit der Suche nach neuen performativen Formaten, die die gewohnte Realität der Teilnehmer*innen und Zuschauer*innen in ihrer Koexistenz reflektiert, modifiziert und hinterfragt. Ich bin in Chile geboren und wohne seit zehn Jahren in Berlin, wo ich u.a. mit verschiedenen Künstlerkollektiven wie Rimini Protokoll, She She Pop arbeite. Als Mitbegründerin des Frauen Künstlerkollektivs „Pink Valley” und einer langjährigen Kooperation mit dem Houseclub (HAU), konnte ich mich auf die Vertiefung existenzieller und gesellschaftlich relevanter Themen wie Migration, Gender und Radikale Empathie fokussieren. Meine Arbeit mit Menschen aus Geflüchteten-Unterkünften und Schulen in Berlin zielt darauf ab, neue Systeme und Diskurse erfahren zu lassen und damit Raum für andere Stimmen und Sichtweisen zu erschaffen, die normalerweise im Schatten der Gesellschaft verborgen bleiben.