Jahresthema 2021/22: Zurück zur Gegenwart // Back to the Present

Zurück zur Gegenwart

Die Pandemie wird uns selbst nach erfolgreicher Herdenimmunität noch lange begleiten: Jederzeit können sich neue Virus-Mutanten bilden, gerade die ärmeren Länder der Welt werden erst in einigen Jahren durchgeimpft sein, für Kinder und Jugendliche ist noch gar nicht gesorgt, und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des andauernden weltweiten Kultur-Lockdowns werden noch über viele Jahre zu spüren sein.

Trotz einer globalen Pandemie, die alle betrifft, scheint die Welt mehr denn je gespalten zu sein. Viele Menschen sehnen sich nach der „alten Normalität“ zurück, obwohl gar nicht klar ist, worin diese eigentlich bestand und ob Normalität überhaupt wünschenswert ist. Schon der Begriff des Normalen ist mehrdeutig: Das „Normale“ kann rein beschreibend den Durchschnitt oder den Status quo bezeichnen, aber auch wertend auf eine starre Form von Norm und Zugehörigkeit verweisen, die das Andere und Seltene marginalisiert. In der Kunst geht es ohnehin vornehmlich um das Besondere, nicht um das Normale oder Durchschnittliche.

Das Jahresthema des Studium Generale widmet sich der unmittelbaren Gegenwart: der Präsenz im Präsens. Wir wollen also nicht damit beschäftigen, wie man eine ganz ferne Zukunft utopisch ausmalen könnte, sondern stattdessen ganz konkret mit kreativen und sozialen Ideen und Entwürfen, mit denen wir schon heute die großen Fragen nach Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität neu und anders beantworten können.

Neben einer Sehnsucht, zur alten Ordnung zurückzukehren, findet sich auch eine Sehnsucht, den viralen Umbruch als Anstoß für eine Neu-Ordnung zu nehmen, für eine „neue Normalität“ oder eine neue Gegenwart. Dabei stößt der Gedanke, das aktuelle globale System vollständig zu reformieren, oft gleichzeitig auf Sorge und Begeisterung. Nicht zuletzt im Satz „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“ spiegelt sich die Sorge wider, dass die Krise auf Dauer gestellt wird und wir ein Dasein im Ausnahmezustand fristen. 

Mit den Mitteln des künstlerischen Ausdrucks und der theoretischen Reflexion wollen wir Fragen zur Un- und Umordnung der Gegenwart, zu Um- und Aufbrüchen in der Kultur ansprechen: Wie hat der Rückzug vom Analogen ins Digitale die gesellschaftliche Polarisierung beeinflusst? Führt die ökonomische Umwälzung auch zu einem kulturellen Umbruch? Sind die neuen Medien zur Normalität geworden, oder stehen uns weitere mediale Umbrüche bevor? Ist die Konfrontation mit der Gegenwart oder gar der Blick in die Vergangenheit die neue Avantgarde? Haben wir schon alternative Begriffe und Perspektiven, um die Gegenwart besser zu verstehen? 

Mit einem Wort: Können wir weitergehen, bevor wir überhaupt verstanden haben, wo wir gerade stehen? Zurückkehren, weitermachen oder revoltieren? So, so oder so: Welche Rolle sollen die Künste dabei spielen?