Simon-Philipp Gärtner

Geboren im Tegeler Forst in irgendeinem Spätfrühjahr des späten kalten Krieges. 3. Kriegsgeneration. Aufgewachsen ebendort im Ende der Geschichte. Aufgezogen von einem Rudel Schäferhundaufklebern auf den Heckklappen von Mercedes-Benz-Limousinen. Zum Beweis in den Trümmern der Wachtürme herumgeklettert. Fahrradfahren gelernt auf dem Todesstreifen. Ebendort auch die erste Zigarette, Alkoholvergiftung und Zungenküsse. Am meisten Freude hatte ich an der Alkoholvergiftung. Zur Schule zu gehen fand ich interessanterweise überhaupt nicht schlimm. Später auch überhaupt nicht interessant. Ich hab mir viel Scheiße reingezogen. Hatte es nie eilig. „Wenn du dein Phlegma ablegen würdest, wärst du ein Genie.“ „Sie schmeicheln mir, aber Finger weg von meinem Phlegma.“ Erfolgreich und sexy zu sein das waren die Probleme der Anderen. Probleme waren Probleme der Anderen. Ich war immer irgendwie unbeteiligt. Ich hatte die seelische Knautschzone eines depressiven Tiefseeschwamms. Ich bekam eine Stereoanlage. Meine Eltern trennten sich. Ich las einige Bücher bis zur Hälfte. Ich verschüttete einige halbvolle Rotweinflaschen. Ich beschloss Außenseiter zu werden. „Hey. Wir können uns leider nicht mehr sehen, denn ich habe mir vorgenommen an der Welt zu kranken.“ Mich überfielen die großen Künste wie ein Straßenräuber und raubten mir die Libido oder andersherum. Ich experimentierte mit der evangelischen Landeskirche Berlin Brandenburg und schlesische Oberlausitz. Ich hörte wieder auf mit dem Quatsch. Ich zog in die Stadt. Ich studierte Kulturwissenschaften, leider auch Theologie und vorderasiatische Archäologie. Was Sinn gemacht hätte, hätte ich mich eindringlich für Vorderasien interessiert. Ich machte keinen Abschluss. Ich arbeitete in Nachtclubs bis ich seelisch und körperlich havarierte. Ich wachte auf und alles war wieder kein Traum gewesen. Blut war auf dem Kopfkissen. Krümel von geronnenem Blut in meinen Haaren. Neben mir lag ein junger Mann. Zerzaust und vernarbt. Ein Gesicht, das nicht stillhalten wollte. Ich hatte in meinem Taumel versehentlich die Pathosweltmeisterschaft gewonnen und das hier war der erste Preis. Ich musste mein Leben ändern.