Pál Hermann
Pál Hermann
Der ungarisch-jüdische Cellist und Komponist Pál Hermann (1902 – nach 1944) stand am 29. Januar 2025 im Mittelpunkt einer Sitzung des Europäischen Parlaments in Brüssel anlässlich des Holocaust-Gedenktags. Bislang ist kaum beachtet worden, dass Hermann an den renommierten Vorgängerschulen der Universität der Künste Berlin studierte und durch sie geprägt wurde. Es ist angebracht, an ihn in der hochschulgeschichtlichen Reihe des Musik-Newsletters zu erinnern.
Am 29. Januar 2025 hielt das Europäische Parlament aus Anlass des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocausts eine feierliche Sondersitzung ab. Gedacht wurde in diesem Jahr besonders des ungarisch-jüdischen Cellisten und Komponisten Pál Hermann (1902 – nach 1944), der im Mai 1944 aus Frankreich nach Litauen deportiert wurde. Danach verlieren sich die Spuren. Die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945, auf die sich der von den Vereinten Nationen ausgerufene Gedenktag bezieht, jährte sich zum 80. Mal – in diesen Tagen ist oft angesprochen worden, dass nur noch wenige Überlebende unter uns sind, die das grauenhafte Geschehens bezeugen. In Brüssel war Corrie Hermann, die 92-jährige Tochter des Komponisten, anwesend. Nachdem das Andante aus dessen Duett für Violine und Cello vorgetragen worden war, hielt sie eine bewegende Ansprache .
Pál Hermann studierte in Berlin an musikalischen Ausbildungsstätten, die der heutigen Universität der Künste vorausgingen. Insgesamt vier Jahre lang war er an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik eingeschrieben, die damals zu einem großen Teil im Schloss Charlottenburg untergebracht war, und möglicherweise besuchte er auch die Hochschule für Musik in der Fasanenstraße. Unter den im Universitätsarchiv bewahrten Dokumenten befindet sich ein Konzept des Zeugnisses „über die künstlerische Prüfung für das Lehramt an höheren Lehranstalten“, das Pál Hermann am 30. Juni 1931 ausgestellt wurde. Sein Name wird hier mit „Paul Hermann“ angegeben. Die fünftägige Prüfung absolvierte er mit Bravour. Zu den Examensfächern gehörte nicht einmal sein eigentliches Instrument, das Cello, mit dem er damals bereits vielerorts konzertierte. Hauptfächer waren vielmehr „Schulgesang“ und „Musikpflege“, „Kompositionslehre“ kam als Nebenfach hinzu. In allen Prüfungsgebieten erhielt Hermann die Bestnote „Mit Auszeichnung“, die auch als Gesamtnote eingetragen ist. Gewiss wollte sich der begabte Student mit dem Staatsexamen beruflich absichern, denn er gründete damals gerade eine Familie.
Pál Hermann wurde am 27. März 1902 in Budapest in einer jüdischen, musikliebenden Familie geboren. Bereits als 15- Jähriger wurde er an der Musikakademie seiner Heimatstadt angenommen, der heutigen Franz-Liszt-Musikakademie. Einer Anekdote zufolge kam er mit Zoltán Kodály in Kontakt, als dieser ihn in der Tram mit der Partitur seines Freundes, des Geiger Zoltán Székely, antraf. Beide bildeten ein Duo. Sie erhielten eine Einladung, an einer Veranstaltung von Arnold Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen mitzuwirken, und 1923 hatten sie einen erfolgreichen Auftritt beim Salzburger Musikfest der Internationalen Gesellschaft für neue Musik (IGNM). Im selben Jahr finden wir Hermann als Studierenden an der Berliner Akademie für Kirchen- und Schulmusik, die durch Aufwertung des schulmusikalischen Zweigs im Vorjahr aus dem ehemaligen Institut für Kirchenmusik (gegründet 1822) hervorgegangen war. Hier studierte Hermann bis 1926.
Zugleich nahm er Unterricht bei Hugo Becker, dem namhaften Cello-Lehrer an der Hochschule für Musik. Hermann verfolgte seine Karriere als Cellist weiter und gewann – nach einem Auftritt in der Londoner Wigmore Hall (1928) – in dem Ehepaar Louise Bachiene und Jaap de Graaff Mäzene in den Niederlanden. Sie kauften ein Cello von Nicolò Gagliano und stellten es ihm zur Verfügung.
Über Hermanns Berliner Jahre wissen wir – trotz der Forschungen von Kate Kennedy (Cello: A Journey Through Silence to Sound, 2024) – nicht allzu gut Bescheid. Deutlich ist aber, dass Hermann an zeitgenössischer Musik, von Debussy bis Hindemith, interessiert war, und seine Begeisterung für Neue Musik verband sich – ganz im Einklang mit den Tendenzen, die damals an der Hochschule lebendig waren – mit pädagogischem, auch sozialpädagogischem Engagement. Hermann konzertierte 1926/27 im Bechstein-Saal, war mit Paul Hindemith persönlich bekannt und gehörte zu den Dozenten der Volksmusikschule in Neukölln. Dies war ein innovativer Lernort zur Förderung der musikalischen Breitenbildung, der im Zuge der von Leo Kestenberg, dem Musikreferenten im preußischen Kultusministerium, angestoßenen Musikreform entstand.
Eine Nichte seiner niederländischen Gönner, Ada Weevers, verliebte sich in den jungen Musiker; sie heirateten 1931 – wenige Wochen nach dem erwähnten Examen – in Amersfort. Das junge Paar bezog eine Wohnung in Berlin-Charlottenburg, und im Sommer 1932 wurde ihre Tochter Cornelia geboren: Corrie Hermann. Zuvor hatte Pál Hermann sich noch zwei weitere „Halbjahre“ an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik eingeschrieben und dann das erwähnte Examen abgelegt. Die Zulassung zur Prüfung erfolgte „mit ministerieller Genehmigung“ vom 7. Januar 1930.
So hoffnungsvoll das Leben dieses außerordentlich begabten Musikers bis dahin verlief, im Jahr 1933 wendete sich für ihn – wie für so viele andere – das Blatt. Infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme sah er sich gezwungen, Berlin zu verlassen. Im Strandhaus seiner niederländischen Freunde konnte er zunächst unterkommen. Doch erkrankte seine Frau nach einem Badeunfall schwer und starb tragischerweise noch im selben Jahr. Hermann musste sich nun mühsam durchschlagen, seine Tochter wuchs bei den Großeltern auf. Als Nazi-Deutschland 1940 Frankreich überfiel, meldete er sich als ausländischer Freiwilliger bei der französischen Armee. Nach dem deutschen Sieg wich er ins Gebiet des Vichy-Regimes aus. Obwohl er sich als Jude versteckt hatte, griff man ihn 1944 in Toulouse auf und brachte ihn ins Konzentrationslager Drancy nahe Paris. Bei seiner Deportation nach Litauen gelang es ihm, einen Zettel aus dem Eisenbahnwaggon zu werfen, in dem er eingesperrt war. Die Botschaft erreichte tatsächlich den Adressaten, seinen Schwager – Hermann bat ihn darum, seine Musikinstrumente zu retten.
Zwar gelang das, doch in der Nachkriegszeit verkaufte die Familie das wertvolle Cello, um Corrie Hermann ein Studium zu ermöglichen. Im vergangenen Jahr, 2024, konnte das Instrument nun ausfindig gemacht werden. Es trägt einen Schriftzug, an dem es wiedererkennbar war: „Ego sum anima musicae“ („Ich bin die Seele der Musik“). Sein derzeitiger Spieler, der Australier Sam Lucas, widmet sich mit ihm auch der Aufführung von Pál Hermanns Kompositionen. Zusammen mit seiner Partnerin Sadie Fields sorgte er für die musikalische Umrahmung der Feier im Europa-Parlament. Corrie Hermann, die Tochter, beschloss ihre Rede, nachdem sie über das Schicksal ihres Vaters berichtet hatte, mit den Worten: „Hitler has burned books, destroyed paintings and buildings, murdered millions of people. But music is invincible.“
Autor: Dr. Dietmar Schenk, ehem. Leiter des Universitätsarchivs