Forschungsprojekt Peter Sühring

Wissenschaftliche Biographie über Gustav Jacobsthals Leben und Forschen im Kaiserreich

Der seit 1916 in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, deponierte Nachlaß des Musikforschers Gustav Jacobsthal (1845–1912) hat sich als ein Fundus für die Ideengeschichte des Fachs Musikwissenschaft erwiesen. Jacobsthal war bereits in seiner Stettiner Gymnasialzeit von Carl Loewe zum Studium der Musik bestimmt worden und wurde dann in Berlin von Heinrich Bellermann in Komposition, von Eduard Grell in Chorleitung und von Karl Tausig in Klavierspiel unterrichtet. Nachdem er 1870 über die Mensuralnotenschrift des 12. und 13. Jahrhunderts promoviert worden war und sich zwei Jahre später mit einer Schrift über die Musiktheorie Hermanns von Reichenau habilitiert hatte, lehrte er 33 Jahre lang (von 1872 bis 1905) Musikgeschichte und Musiktheorie an der neu begründeten Universität Straßburg. Er hinterließ von seiner dortigen Forschungs- und Lehrtätigkeit umfangreiche Manuskripte über Themen von der Antike bis zu Beethoven. Er selbst dachte daran, aus seinen Vorlesungsskizzen Bücher zu machen, in denen er seine musikästhetischen Auffassungen, die sich außer auf philologische Quellenforschung auch auf Formanalyse und psychologische Interpretation stützten, niederlegen wollte. Durch eine Krankheit, die ihn im Alter von 60 Jahren arbeitsunfähig machte und Folge seiner stetigen Überarbeitung war, wurde er daran gehindert. Die Bedeutung seiner Forschungen geht weit über eine Vorläuferschaft für berühmt gewordene Theorien seiner Schüler Friedrich Ludwig und Peter Wagner hinaus.

Nachdem bereits vereinzelte Stücke aus seinem Nachlaß zu Hermann von Reichenau, den Trobadors-Liedern, zu Mozart und Beethoven und zur Ausgestaltung des universitären Musikstudiums publiziert waren, konnten in einem abgeschlossenen Forschungsprojekt die zentralen Forschungsgegenstände Jacobsthals und die Resultate seiner Untersuchungen, wie er sie in seinen Vorlesungen und weiteren unveröffentlichten Studien ausbreitete, erschlossen werden. Es wurden Vorlesungsskizzen und andere Materialien zur frühen Motette im Codex Montpellier, zu den weltlichen Madrigalen Palestrinas, zur Oper L’Orfeo von Monteverdi, zu den Württembergischen Sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach in ihrer Wirkung auf die frühen Streichquartette Haydns und Mozarts und zu Mozarts Oper Idomeneo editorisch bearbeitet, d. h. aus den Handschriften entziffert und transkribiert, auf Lesbarkeit hin redigiert und kritisch kommentiert (Hildesheim 2010).

Eine wissenschaftliche Biographie Jacobsthals wurde in einem das Gesamtprojekt abschließenden Schritt erstellt. In ihr wurde auf der Textbasis der Nachlaßeditionen und weiterer, zum Teil noch unveröffentlichter Dokumente und Briefe die Stellung der Forschungen Jacobsthals innerhalb der Wissenschaftskultur des Kaiserreiches beleuchtet und kritisch bearbeitet.

Das Forschungsprojekt hatte offiziell folgendes Thema und wurde bei der DFG mit folgender Zusammenfassung beantragt und bewilligt:

Das Leben und die Forschungsarbeit von Gustav Jacobsthal (1845–1912) als Exempel einer alternativen Wissenschaftspraxis im Kaiserreich

Die biographischen und wissenschaftlichen Besonderheiten des Wirkens von Gustav Jacobsthal während der ersten Zweidrittel des Deutschen Kaiserreichs sollen in ihren musikwissenschaftlichen und kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Dimensionen herausgearbeitet und dargestellt werden. Ihre genealogischen Voraussetzungen in der bürgerlichen Musikgeschichtsschreibung, ihre Wandlungsfähigkeit durch Detailuntersuchungen und die Gründe ihrer relativen Folgenlosigkeit sollen dargestellt werden. Zwischen den Positionen der „Berliner Schule“, aus der er hervorging, und denen einer „Straßburger Schule“, die seine Schüler unter Berufung auf ihn inaugurierten, entwickelte Jacobsthal eine eigene, bisher nicht selbständig entfaltete Forschungsmethodik und Musikpraxis mit erstaunlich neuartigen Resultaten. Auch seine Stellung innerhalb des Judentums sowie zu Katholizismus und deutschem Kulturprotestantismus bedürfen einer näheren und kritischen Beleuchtung. Seine Bezüge zur naturwissenschaftlich-mathematischen, physiologisch-tonpsychologischen und historisch-ästhetisierenden Musikforschung des 19. Jahrhunderts sollen im Detail entfaltet werden.

Das Forschungsprojekt war am Lehrstuhl von Frau Prof. Fontaine angesiedelt, wurde auf einer DFG-finanzierten Forschungsstelle von Dr. Peter Sühring durchgeführt und im Februar 2012 erfolgreich beendet.

Nähere Informationen zu Peter Sühring finden sie hier:
Kontakt:
E-Mail: Peter.Suehring(at)gmx.de