Es geht nicht darum einen Fehler zu finden, sondern darum einen Dialog zu führen.

In ihrem Lehrprojekt „Intersectional Matter“ an der Universität der Künste in Berlin, wollen Mathilde ter Heijne und Christoph Balzar zusammen mit Student*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, erforschen, was Intersektionalität[1] bedeutet, wodurch Mehrfachdiskriminierungen entstehen und wie man sich dagegen verhalten kann. Im Interview sprechen sie über den Stand ihres Projekts und werfen einen kritischen Blick auf die Universität der Künste.

Ein Interview von Annina Bachmeier

 

„Intersectional Matter“ soll ein Forschungsraum sein, in dem Strategien zum Umgang mit Mehrfachdiskriminierungen entwickelt werden, um dadurch neue künstlerische, politische, aktivistische und zwischenmenschliche Handlungsräume zu erschließen.

Wie kam es zu diesem Projekt im Rahmen von Frauengleichstellung?

Mathilde ter Heijne: Die Idee zum Fokus des Projekts auf Intersektionalität ist entstanden, weil es bei Intersektionalität einerseits um Feminismus geht, aber auch um andere Formen der Diskriminierung. Wenn an Frauen gedacht wird, wird dabei zum Beispiel hauptsächlich an die Gleichberechtigung Weißer Frauen gedacht. Schwarze Frauen, gehandicapte Frauen oder Alleinerziehende fallen dabei oft raus, ihre noch schwierigeren Situationen werden nicht bedacht. Man bleibt in der obersten Gruppe hängen, dabei ist es eigentlich wichtig, nach dem untersten Punkt zu greifen, sich zu fragen, welche Person fällt nicht nur in eine, sondern in mehrere Diskriminierungsgruppen.

Christoph Balzar: In Bezug auf Intersektionalität muss ich immer an die Redewendung „teile und herrsche“, denken. Intersektionalität ist das Gegenteil davon. Wenn soziale Bewegungen wie Anti-Rassismus, Feminismus oder die Umweltbewegung zusammengebracht werden, kann viel mehr erreicht werden, als wenn nur in Teilbereichen agiert wird. Dadurch könnten diese Bewegungen viel weniger leicht beherrscht oder wieder erstickt werden.

 

Welche Ziele hat „Intersectional Matter“ und wie geht ihr vor?

Christoph Balzar: An der UdK finden wir momentan eine sehr Weiße patriarchal-kapitalistische Struktur vor. Neben einer teils immer noch abwertenden Haltung gegenüber Frauen, ist hier vor allem der herrschende Rassismus zu adressieren. Dabei wollen wir Rassismus aber nicht als ein Problem der gering repräsentierten People of Color[2] kritisieren, sondern als ein Problem der übermäßig repräsentierten und vertretenen Weißen Menschen.

In der ersten Phase des Projekts haben wir uns auf Critical Whiteness[3] fokussiert. Critical Whiteness haben wir zum Beispiel durch Bias-Tests an uns selbst untersucht und mit People of Color in der Gruppe reflektiert. Fragiles Weißsein[4] war ein großes Thema. Das Projekt wurde stark von Menschen getragen, die aus unterschiedlichen künstlerischen oder aktivistischen Bereichen auch von außerhalb der Universität dazu kamen und Seminare oder Workshops gehalten haben.

 

Gibt es Strategien, die ihr in der Gruppe gegen Mehrfachdiskriminierungen, zum Beispiel an der UdK, entwickelt habt oder die gerade entwickelt werden?

Christoph Balzar: Zu diesem Zeitpunkt können wir noch keine konkreten Strategien nennen, weil das Projekt noch nicht weit genug fortgeschritten ist. Es wird aber eine Publikation geben, die wir am Ende veröffentlichen werden, darin wird es auch um Strategien gegen Mehrfachdiskriminierung gehen, die wir der UdK gerne mit auf den Weg geben möchten. Wir verstehen diese Publikation als eine Art Türöffner oder Türstopper. An der UdK hat sich gerade eine Tür geöffnet, die ab jetzt offen bleiben soll. Oftmals ist es so, dass es solche Initiativen eine Zeit lang gibt, diese aber wieder einschlafen, wenn Finanzierungen wegfallen. Das darf nicht passieren. Unser Ziel ist, Räume zu öffnen und Möglichkeiten zu schaffen, für Menschen, die wegen rassistischen bzw. sexistischen Grundstrukturen bislang nicht Teil der UdK sind.

Mathilde ter Heijne: Eine konkrete Strategie ist außerdem, dass wir beim Präsidium der Universität mehr Druck aufbauen wollen. Wir wollen klarmachen, dass die UdK eine sehr Weiße Institution ist und dass eine kritische Auseinandersetzung mit den vielfach zusammenwirkenden Formen der Diskriminierung ein sehr wichtiges Anliegen ist. Für diese Arbeit muss längerfristig Geld freigemacht werden, damit sich etwas im Denken und Handeln der Universitätsstrukturen ändert und die UdK eine weniger fast ausschließlich von Weißen Menschen geprägte Institution wird.

 

Ihr beschreibt das Projekt mit den Worten „gewaltfreie Reflexion über die eigene künstlerische und gesellschaftliche Position“. Was bedeutet das?

Christoph Balzar: Wir wollen uns bemühen, niemanden fertigzumachen, wenn manchmal so ein fragiles Weißsein auftritt, sondern die Hintergründe für dieses Denken erklären, um die Probleme dann gemeinsam zu lösen.

Mathilde ter Heijne: Die Frage, die wir uns gestellt haben ist, wie artikuliert man Unsicherheiten im Umgang mit Diskriminierung, also rassistischen oder sexistischen Strukturen, für die es keine Wörter oder Begriffe gibt. Da geht es nicht um simple Vorwürfe wie „du hast mir nicht die Tür aufgehalten“. Das sind Gefühle und Wahrnehmungen, für die wir sehr wenige Ausdrucksmöglichkeiten haben, über die wir aber sprechen müssen. Die Diskriminierung von Frauen ist in meinem Fach, den Bildenden Künsten, an der UdK momentan kein so großes Problem mehr, aber es gibt hier hauptsächlich Weiße heterosexuelle Menschen, deshalb gelangt eine Debatte um gesellschaftliche Probleme wie Rassismus oder Homophobie gar nicht leicht hier her.

 

Was sagt ihr zum Vorwurf des aufkommenden „Sprachverbots“, das an Universitäten angeblich von linken Studierendenkreisen erzwungen wird?

Mathilde ter Heijne: Leute, die sich über ein Sprachverbot beklagen, sind meistens die, die zu wenig wissen und nicht sensibilisiert sind. Es geht nicht darum einen Fehler zu finden, sondern darum einen Dialog zu führen. Ich glaube, wenn Leute sensibilisierter wären, würden sie viele Wörter gar nicht mehr verwenden. Wenn sie verstehen, dass Frauen sich nicht wohlfühlen, wenn sie sagen: „Ja sehen Sie heute wieder wunderbar aus Frau Müller, können sie bitte den Tee holen“, wenn eine Professorin ins Zimmer kommt, dann würden sie es nicht mehr tun. Man muss lernen, diese Rollenverteilungen zu hinterfragen, um sie aufzubrechen.

 

Diskriminierung als gesamtgesellschaftliches Problem – wie kann man das auch außerhalb der Universitäten angehen?

Mathilde ter Heijne: Ähnlich wie #metoo ist das eine Debatte, die geführt werden muss, dadurch kann viel angeregt werden. Das kann politische Bildung oder Politik sein, letztendlich denke ich, je mehr Fronten darüber reden, desto besser. Eine einzelne Lösung gibt es dafür nicht.

Christoph Balzar: Das hat auch mit gewaltfreier Kommunikation[5] zu tun. Wenn man davon ausgeht, dass prinzipiell die Bedürfnisse aller befriedigt werden können. Wenn man sich auf die richtige Weise verständigt.

Mathilde ter Heijne: Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen wieder verstärkt rechte Gewalt und Rhetorik aufkommt, ist es wichtig inklusiv zu denken. Rechte Rhetorik basiert immer auf Exklusivität, Cuts und Ausschluss. Genau das versucht gewaltfreie Kommunikation eben nicht zu tun, also zu beschuldigen, einen Sündenbock zu suchen – eben diese typisch patriarchalen Muster, Kommunikationsformen und Verhaltensweisen – Denken in schwarz/weiß. Es gibt kein Schwarz/Weiß und es gibt kein Mann/Frau. Gewaltfreie Kommunikation versucht in Nuancen zu arbeiten, nicht in dem Bewusstsein, dass die Anderen anders sind, oder das du anders bist, sondern in dem Bewusstsein, dass wir alle anders sind.

 

Buchempfehlungen:

Katharina Oguntoye, May Opitz, Dagmar Schultz (Hg.): Farbe bekennen. Die Frau in der Gesellschaft (1992)

Susan Arndt, Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland (2005)

„Reach Everyone on the Planet…“: Kimberlé Crenshaw und die Intersektionalität (2019)

Tupoka Ogette: exit RACISM. rassismuskritisch denken lernen (2017)

Robin Diangelo: White Fragility: Why It's So Hard for White People to Talk About Racism (2018)

 

[1]           Definition nach Kimberlé Crenshaw, der Begründerin der Intersektionalität: “Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.” Quelle: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet

[2]           “People of Color (im Singular Person of Color) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren. (…) Als Wiederaneignung und positive Umdeutung der abwertenden Zuschreibung “colored” beschreibt People of Color ein solidarisches Bündnis von unterschiedlichen Communities, die strukturelle Ausschlusserfahrungen aufgrund von Rassismus machen.“ Quelle:

https://www.diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/poc-person-color

[3]           Critical Whiteness kehrt den Fokus der Rassismusforschung um und stellt Weiße Menschen in den Vordergrund. Sie will auf Hierarchien und Privilegien aufmerksam machen, Sonderrechte, die bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden, sollen hinterfragt werden. Quelle: https://mediendienst-integration.de/artikel/was-ist-critical-whiteness.html

[4]           Fragiles Weißsein: Die Tendenz, der dominanten Weißen Mehrheitsgesellschaft, auf Rassismusvorwürfe, mit Ärger, Abweisung, Verteidigung oder verletzt zu reagieren. Quelle: https://www.dictionary.com/browse/white-fragility

[5]           “Gewaltfreie Kommunikation ist ein von Marshall Rosenberg entwickelter Kommunikations- und Konfliktlösungsprozess. Er unterstützt uns Menschen darin, mit sich selbst und anderen in eine einfühlsame Verbindung zu gehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass alles was wir Menschen tun, wir tun, um uns Bedürfnisse zu erfüllen. Manchmal wählen wir dazu Strategien, die nicht von allen gut geheißen werden.” Unter Nutzung konkreter Werkzeuge können Beteiligte sich über ihre dahinterliegenden Bedürfnisse austauschen. Durch das Erkennen der unterschiedlichen Bedürfnisse kann gemeinsam nach Strategien gesucht werden, die niemandem schaden.Quelle: https://www.gfk-info.de/was-ist-gewaltfreie-kommunikation/