Geschichte des Steinhauses

Die Thierklasse im Glasatelier, undatiert

 Quelle: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Transformation im Ruinengarten

Dietmar Schenk und Christoph Gengnagel über das "Steinhaus"

Erschienen im Journal 13

Das Steinhaus ist ein unscheinbares Gebäude im Innenhof des Gebäudes Hardenbergstraße 33. Es ist tatsächlich aus Stein, was allerdings kein unterscheidendes Merkmal im Verhältnis zur baulichen Umgebung ist. Grau wie das berühmte „steinerne Berlin“ des Architekturkritikers Werner Hegemann (1930) und baufällig, besitzt es als einzigen Schmuck Graffiti mit Schriftzügen wie „Just love“ oder „hä!?“

Christoph Gengnagel erläutert, warum derzeit der Blick auf dieses kleine Bauwerk fällt: „Leer stehende Räume sind an der UdK natürlich extrem stark fokussiert. Die Halle im Eingangsbereich ist groß und wirkt leer; das Gebäude ist aber trotzdem voll besetzt. So ist die Sache mit dem Steinhaus ins Rollen gekommen.“ Und warum wird das Steinhaus nicht genutzt? „Natürlich wegen der Bauschäden. Schon vor einiger Zeit haben wir uns gefragt, ob man nicht das Dach machen kann. Ein Gutachten zeigte, dass das Gebäude einsturzgefährdet ist. Es gab dann eine Schnellinstandsetzung.“

So prekär der Zustand des Steinhauses auch ist – es gibt viele Ideen, wie es genutzt werden könnte. „Die Architekten könnten eine Art Labor- Werkstatt zum Thema Klima einrichten; es wäre möglich, einen Ort für transdisziplinäre Experimente entstehen zu lassen. Die Künstler hatten natürlich auch Ideen. Und der AStA, die Studierendenvertretung würde gern einen Veranstaltungsraum haben, mit einem Café. Der Präsident der UdK Norbert Palz hat die ambitionierte Idee, ein Bindeglied zu schaffen.“ Also einen Raum, an dem unterschiedliche Bereiche der UdK Berlin einen Anteil hätten und an dem sie zusammenkommen. Im April soll ein studentischer Wettbewerb für die Herrichtung und Nutzung des Steinhauses stattfinden.

Gengnagel führt aus: „Die Vision, die uns vor Augen steht, ist mir sehr sympathisch: eine Instandsetzung im Eigenbau. Ich komme ja aus einer Hausbesetzerszene, die sich vor allem als Instandbesetzer verstand. Das ist zwar lange her, aber es gibt immer wieder Fortsetzungen dieser Idee. So wird in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gerade die alte Gastwirtschaft wieder durch eine Initiative hergerichtet. Ich war mit Studierenden dort. Das ist Bauen im Bestand. Auch für das Steinhaus haben wir den Ehrgeiz eines Eigenbauprojekts; Handwerker werden gebeten, dazu zu kommen, Studierende helfen mit. Step by step.“

Das hört sich nach viel Idealismus an. Hat aber Tradition: Bereits das Eckgebäude am nördöstlichen Ende des Gebäudes Hardenbergstraße ist mit studentischer Beteiligung entworfen worden. Dort hatte sich das Atelier von Hugo Lederer (1871–1940) befunden, der 1919 zum Vorsteher eines Meisterateliers für Bildhauerei an der Akademie der Künste berufen worden war. Aufgrund von Kriegsschäden war diese Seite des Flügels lange nicht benutzbar. Das neue Atelier wurde mit der Berufung von Tony Cragg hergestellt, der von 2001 bis 2007 an der UdK Bildhauerei lehrte. Richtfest war im November 2001; im April des darauffolgenden Jahres wurde das „Cragg-Atelier“, wie es damals genannt wurde, fertiggestellt. Und alles „step by step“.

Wer in den Annalen der Berliner Architekturszene drei Jahrzehnte zurückblättert, stößt darauf, dass Gengnagel hier eine Formulierung zitiert, die mit der behutsamen Stadterneuerung in Berlin eng verbunden ist. Diese wurde unter der Ägide des HdK-Professors Hardt-Waltherr Hämer (1922–2012) im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/1987 praktiziert und propagiert. Seit 1986 machte eine Wanderausstellung „Schritt für Schritt. Behutsame Stadterneuerung in Kreuzberg“ die Runde, von der es auch eine englischsprachige Fassung gab: „Step by Step. Careful Urban Renewal in Kreuzberg, Berlin“ (Katalog 1989). Herausgeber war die von Hämer ins Leben gerufene Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin, S.T.E.R.N. Hämer lehrte seit 1967 an der damaligen Hochschule für bildende Künste (HBK) und entwickelte sein Konzept nicht zuletzt mit dem „Forschungsschwerpunkt Stadterneuerung“ am Fachbereich Architektur der Hochschule.

Der Gebäudekomplex Hardenbergstraße 33 wurde im Herbst 1902 für die Königliche akademische Hochschule für die bildenden Künste fertiggestellt, entworfen vom Architektenbüro Kayser & von Großheim. Sie hatten den Bauwettbewerb dafür gewonnen, nachdem Kaiser Wilhelm II. 1896, anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Berliner Akademie der Künste, den Neubau zugesagt hatte. Der Eingangsbereich diente auch der Repräsentation. Besucher*innen gingen durch die „Wandelhalle“ auf den „Antikensaal“ zu, in dem die Abgüsse antiker Plastiken das Kunstideal demonstrierten, dem eine Akademie verpflichtet war – der Student Felix Nussbaum (1904–1944) schuf 1930 ein Gemälde, auf dem neben Gipsen und einem an das UdK-Gebäude erinnernden Ambiente ein gebückter Greis mit Stock zu sehen ist. Aus dem Antikensaal ist nach Kriegsschäden heute der „Ruinengarten“ geworden.

Der großzügige 76 x 77 m große Innenhof war nicht als Park gedacht, sondern sollte der Ausbildung „akademischer“ Künstler dienen: In der Kaiserzeit waren das Maler, Bildhauer und Kupferstecher; Frauen wurden erst 1919 zum Studium zugelassen. Im UdK-Archiv hat sich eine Skizze des Professors für Landschaftsmalerei Eugen Bracht (1842–1921) erhalten, mit der er die Nachbildung einer ländlichen Szenerie anregte: Ein „bachartiges Wasserbecken“ mit „schrägen Dämmen“ sollte geschaffen werden mit „einer kleinen Bruchsteinbrücke“. Bracht zählte auf, was dort Platz finden sollte: eine „Linde, Bank, Spiräen, Calmus, Hollunderbusch, alte Kopfweide, Geländer etc.“

Christoph Gengnagel hat mit seinen Studierenden eine Dokumentation zusammengestellt, in der deutlich wird, was im Innenhof in den unterschiedlichen Phasen der Geschichte baulich vorhanden war. In einer Beschreibung des „Centralblatt der Bauverwaltung“ (November 1902, S. 534) werden „Einbauten verschiedener Art für Zwecke der Freilicht- und Thiermalerei und dergl.“ erwähnt. Ein Lageplan aus demselben Jahr zeigt das Gebäude erstmals. Genaugenommen, war es aber kein „Steinhaus“, sondern gewissermaßen dessen Gegenteil, nämlich ein „Glashaus“: ein „Freilicht-Atelier für Thier-Malerei“. In der Zeitschrift „Moderne Kunst“ (Band XVII, S. 93–96, ca. 1903) sind zusätzliche Details über das „Glasatelier der Thierklasse“ und „das pädagogische Reich Paul Meyerheims“ zu finden.

Auf einem Foto von 1953 ist das Steinhaus ungefähr in seinem heutigen Zustand zu erkennen. Aber was wird künftig dort zu finden sein, wenn der Wettbewerb erst einmal entschieden und sein Ergebnis umgesetzt ist? Welche Transformation wird stattgefunden haben? Man darf gespannt sein. Nur eins dürfte sicher sein: Die Tiermalerei wird nicht im Vordergrund der Nutzung stehen.

Dr.-Ing. Christoph Gengnagel ist Professor für Konstruktives Entwerfen und Tragwerksplanung. Dr. Dietmar Schenk ist Leiter des Archivs der UdK Berlin. Wettbewerb „Re-imagening Steinhaus“ und Dokumentation: www.udk-berlin.de/steinhaus

Konstruktion und Geschichte des einstigen gläsernen „Freilicht-Ateliers für Thiermalerei“ erforschten Bachelor- und Masterstudierende der Architektur in einem Intensivworkshop als Abschluss des Faches „Bauen im Bestand“ in der ersten Märzwoche. Die Sichtung des historischen Materials in Kombination mit den Sondierungen vor Ort ergaben eine erste spannende Rekonstruktion der bau- und konstruktionsgeschichtlichen Entwicklung. Die „archäologischen“ Untersuchungen an den nach dem 2. Weltkrieg betonierten Außenwänden förderten die verborgene Stahlkonstruktion hervor. Fassadendetails, Dachanschlüsse und die durch Kriegseinwirkungen stark verformte stählerne Dachkonstruktion wurden sorgfältig verzeichnet und der aktuelle Zustand analysiert. Das verformungsgerechte Aufmaß erfolgte mit traditionellen analogen Mitteln und digitaler Technik. Die mit Hilfe von 3D-Laserscans erstellte digitale Punktwolke des Gebäudes wird als Basis für die computergestützte statische Analyse der historischen Stahlkonstruktion wie auch für Klimasimulationen für neue Nutzungskonzepte dienen.

Fach und Workshop wurden durch Prof. Christoph Gengnagel, Titian Alkewitz und Alexander Hey betreut.  

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