crescendo 2022: aufgefühlt

Présence – Kammermusikwerke von B. A. Zimmermann – crescendo

Schott Music Promotion

Lehrende der UdK Berlin spielen gemeinsam mit Gästen ausgewählte Stücke des herausragenden Avantgardisten aus den 1960er Jahren.

„Présence: das ist die dünne Eisschicht, auf der der Fuß eben nur so lange verweilen kann, bis sie einbricht; aber während der Fuß noch für den Bruchteil einer Sekunde auszuruhen vermeint, bricht sie schon, die dünne Decke, und zurück bleibt die Gewißheit des Packeises: voraus der Blick in die Zukunft mit einer Gewißheit der immer wieder neu begonnenen Gegenwart des Splitterns der Eisschicht und die Absurdität, die in dem ständig unternommenen Versuch liegt, Fuß zu fassen. So erscheint Présence als jene Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.“ (Bernd Alois Zimmermann, Intervall und Zeit, S. 105)

Bernd Alois Zimmermann zählt zu den markantesten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Werke haben sich längst auch außerhalb der auf Neue Musik spezialisierten Kreise durchgesetzt. Das gilt nicht nur für seine bekannte Antikriegsoper Die Soldaten, die ihm als Komponisten in den 1960 Jahren zum Durchbruch verhalf, sondern auch für seine Instrumental- und Kammermusik. So literarisch sein Œuvre ist, so ist es gleichsam politisch. In seinen Werken verknüpft Zimmermann stets die Frage nach dem Begriff der Zeit mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen wie Literatur, Tanz, Hörspiel und Film. Auf diesem Wege verleiht er seiner Gegenwart musikalischen Ausdruck und zeichnet somit ein faszinierendes Psychogramm seiner Zeit. In diesem Konzert widmen sich Lehrende der UdK Berlin gemeinsam mit Gästen Zimmermanns kammermusikalischen Werken der 1960er Jahren und laden das Publikum ein, sich Zimmermanns Präsenz zu vergegenwärtigen.

 

Programm
Bernd Alois Zimmermann:
Intercomunicazione per violoncello e pianoforte (1967)
Monologe für zwei Klaviere (1960/64)
Présence – Ballet blanc en cinq scènes pour violon, violoncelle et piano (1961)

Mit
Sophia Jaffé, Violine
Mischa Meyer, Violoncello
Björn Lehmann, Klavier
Norie Takahashi, Klavier
Mathias Donderer, Speaker
Prof. Dr. Dörte Schmidt, Moderation

 

crescendo ist für alle offen! Deshalb finden (fast alle) Konzerte zu freiem Eintritt statt.
Kostenlose Reservierungen sind unter https://pretix.eu/udk/crescendo22/ möglich.

Bitte informieren Sie sich vor Ihrem Konzertbesuch über die aktuellen Regelungen für Besucher*innen von Veranstaltungen der UdK Berlin.
 

Über die Werke

Die Thematik der „Zeit“ ist auf verschiedenen Ebenen zentral für B.A.Zimmermanns musikalisches Denken: Zum einen finden sich oftmals parallel unterschiedliche Zeitschichten, was sich z.B. dadurch äußert, dass vielfach gleichzeitig in unterschiedlichen Tempi gespielt werden muss, die aber streng in ihren Proportionen aufeinander bezogen sind. Zum anderen finden sich in den beiden früheren Werken (geradezu exzessiv in den Monologen) Zitate aus der Musikgeschichte - vom mittelalterlichen Hymnus Veni, creator spiritus bis hin zu Messiaen und Stockhausen -, die Zimmermanns Vorstellung einer gleichzeitigen Präsenz der Musik verschiedenster Epochen und Denkweisen im Bewusstsein entspringen. Er hat dafür den plastischen Begriff der „Kugelgestalt der Zeit“ gefunden.

 

Die den beiden Werken Monologe und Présence zugrunde liegende Satz- und Zeitstruktur ist übrigens weitgehend identisch (bis hin zu stellenweise gleichen rhythmischen Bildungen an parallelen Stellen), wobei die Charakteristik der Musik völlig unterschiedlich ist.

Beide Werke gehen in ihrer Virtuosität (die nie Selbstzweck ist) an die Grenze des spieltechnisch noch möglichen (das Violoncello in Présence ist z.B. in bis dahin kaum genutzte Höhen geführt): völlig neuartige Klangwirkungen entstehen dadurch.
 

Présence sieht neben der „klassischen“ Triobesetzung noch einen stummen „Speaker“ vor, der heraldische Flaggen mit Textffragmenten aus Gedichten Paul Pörtners hisst.

Außerdem sind den drei Musiker*innen drei Gestalten der Weltliteratur zugeordnet (Don Quijote, Molly Bloom aus „Ulysses“ und Roi Ubu). Zudem ist das ganze Werk als imaginäres Ballett konzipiert - also ein extrem vielschichtiges, multiperspektivisches und „verrücktes“ Werk.

Die Monologe sind eine „Neukomposition“ der Dialoge für zwei Klaviere und großes Orchester.

Beide Werke gehören im weitesten Sinne dem Umkreis der Soldaten an.

Das späte Stück Intercomunicazione geht in seiner Kargheit und Reduziertheit dann einen radikal anderen, aber nicht weniger eindringlichen Weg. 

 

Info

Künstlerisches Betriebsbüro der Fakultät Musik
kbb_ @udk-berlin.de