Gelegentlich gemeinsam denken. Fragen mit Mark Lammert

Mark: Sag mal, Felix, zum Thema Equilibrium, Balance heißt ja auch, sowohl von der einen Seite der Waage als auch von der anderen Seite der Waage zu schauen. Du bist gezwungen gewesen, die Perspektive der Studierenden einzunehmen und jetzt die des Lehrenden. Was wäre deine Vorstellung von einer guten Lehre?
Felix: Zuhören. Mit Fragen füttern. Mit Aufgaben unterstützen.
Mark: Sag mal, Magdalena, du hast die schwierigste Position, du studierst. Andererseits hast du den Wechsel vom Lehramt in die Freie Bildende Kunst vollzogen, so wie Felix den Wechsel von Weißensee zur UdK vollzogen hat. Auch das sind Positionswechsel. Wie geht man damit um?
Magdalena: Für mich war das eine organische Entwicklung und kein Positionswechsel.

Magdalena: Was bringt dich aus dem Gleichgewicht?
Mark: Faulheit (die der anderen).
Magdalena: In welcher Hinsicht bist du faul?
Mark: In der zunehmenden Unlust, auf strukturelle Mängel der Institution zu reagieren.
Magdalena: Daran sind andere schuld?
Mark: Nein, nicht immer, aber bei der doppelten Menge Studierender stehen die Studierenden vor der Institution.
Felix: Was tust du gegen Unlustzustände, was unternimmst du, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen?
Mark: Wie viele Lehrende balanciere ich zwischen Atelier und der Hardenbergstraße, und ich versuche, das eine in das andere mitzunehmen. Man muss unterscheiden, das kann/muss man während des Studiums mitnehmen, zwischen Lust und Unlust und einer notwendigen Krise.

Felix: Wie gehst du mit Misserfolg im Leben um?
Mark: Die Antwort würde ausschließlich davon abhängen, was ein Erfolg ist. Und das ist bei jedem unterschiedlich. Eigentlich nicht zu verbalisieren. Aber ich glaube, dass für jeden, der sich in der Kunst bewegt, wenn man ehrlich ist, der einzig wirkliche Erfolg ist, sich der eigenen Intention gelegentlich zu nähern. Es gehört zu den Risiken des Berufs, oft zu scheitern.
Magdalena: Was war für dich der tiefste Punkt deiner künstlerischen Laufbahn?
Mark: Ich komme aus Verhältnissen, wo alles, was mit Karriere zu tun hatte, negativ war. Auch wenn das schwer vorstellbar ist: Man musste sich mehr darum kümmern, aus bestimmten Kreisen keine Anerkennung zu bekommen. Wenn ich es so beschreiben darf, würde ich sagen, man muss erfolgreichen Studierenden und Alumni vermitteln, dass Erfolg vielleicht das Problem ist.

Mark: Apropos Erfolg: Ihr, durchaus auch andere, seid gelegentlich kritisch und polemisch gegenüber dem Kunstgefüge. Wie ist das, wenn man mit einiger Distanz auf die Spielarten und die Spielregeln schaut, gleichzeitig aber einen Platz in diesem Spiel sucht?
Magdalena: Ist das eine Frage nach Souveränität?
Mark: Ja.
Magdalena: Kann man nicht von einem System anerkannt werden, das man trotzdem aufrichtig infrage stellt?
Felix: Wenn man vom Kunstgefüge spricht, höre ich nur Kaufladen. Da wird mir übel.

Magdalena: Gibt es einen Ratschlag in Bezug auf deine Kunst, bei dem du froh bist, ihn nicht angenommen zu haben?
Mark: Zu welcher Zeit? Ich kann es am besten aus meiner Studienzeit heraus beantworten, quasi aus der Position eines ewigen Studenten. Wenn sich die Polemik mit der Nachhaltigkeit des Grundes des Ratschlags einigermaßen in Balance hält, kann man auch aus falschen Ratschlägen einiges mitnehmen. Wem die Antwort zu ausweichend ist: Ratschläge sind immer nützlich, noch nützlicher kann ein Nein sein. Und: Nicht immer ist der Zeitpunkt des Ratschlags das Entscheidende.
Magdalena: Was wäre dann in deinen Augen die ideale Lehre?
Mark: Die, die ich als Studierender gern gehabt hätte: Jemanden zu treffen, vom dem man in Ruhe gelassen werden kann und der sich mit einem auseinandersetzt, wenn man die Auseinandersetzung will. Im Grunde genommen ist auch das ziemlich profan: gelegentlich gemeinsam denken.

Mark: Wie sollte eurer Meinung nach die Balance in einer Klasse aufgestellt sein?
Felix: Die Balance für mich ist, dass die Studierenden nicht versuchen, die Arbeit des Professors zu imitieren. Das war dir ja immer ein wichtiges Anliegen. Man muss manchmal eine Enge fördern, um eine Öffnung zu provozieren. Sich nur als eine Person zu sehen finde ich kritisch. Wenn sich jemand hinstellt und sagt, er ist Künstler, ist er dann auch Künstler, wenn er Vater ist? Ist er Künstler, wenn er etwas kocht? Ist er Künstler, wenn er auf dem Klo sitzt? Die Überbeanspruchung der Person „Künstler“ kann überfordern und Unkonzentration fördern.
Mark: Apropos Konzentration: Mich hat in den letzten zwei Jahren bei den Diskussionen um Kollektivität und Künstlergruppen immer sehr gewundert, dass die Arbeitsteiligkeit einer Person selbst kaum Thema war. Das Ich bleibt auch bei einer Lehre in der Klasse, beim kleinsten Kollektiv.

Magdalena: Welche Bedeutung hat Zeichnung für deine Malerei?
Mark: Für mich ist die Zeichnung die Matrix für meine Arbeit. Das ist ein Bestandteil des Kollektivs, eigentlich zwei, denn die Zeichnung unterteilt sich noch mal in Einzelblätter und in Arbeitsbücher. Beide arbeiten mit der Malerei zusammen.
Magdalena: Inwiefern?
Mark: Ich will hier gar nicht von mir reden. Was denkt ihr von der Zeichnung?
Felix: Zeichnung ist für mich die Aufnahme von Gleichzeitigkeiten, Zeitabschnitten. Es gibt keine absolute Gegenwart in der Zeichnung.
Magdalena: Zeichnung kann Text sein. Es ist der Versuch der Sammlung und Ordnung von Gedanken und Material.
Mark: Und so gibt es 28 andere Zeichnungsbegriffe in der Klasse, auch das macht die ganze Angelegenheit spannend.

Magdalena: Ist Symmetrie und Gleichgewicht in der Malerei das Gleiche?
Mark: Nein.

Magdalena: Welche*r Maler*in meistert das Gleichgewicht oder dessen Störung?
Mark: Niemand, sonst würde die Malerei nicht mehr existieren, was ihr gelegentlich nachgesagt wird.

Magdalena: Was ist deiner Meinung nach der größte Vorteil der Zusammenarbeit mit Museen und Institutionen im Gegensatz zum privaten oder kommerziellen Sektor?
Mark: Der große Vorteil ist, dass es eine Öffentlichkeit gibt. Aus meiner Sicht, und die muss man nicht teilen, wäre es gut, wenn solche Institutionen ausschließlich von öffentlichen Geldern abhängig wären. In öffentlichen Institutionen ist die Macht geliehen.

Magdalena: Nimmst du als Professor auch was von deinen Studierenden für deine eigene Kunst mit?
Mark: Ja!
Magdalena: Was?
Mark:

Magdalena: Wie kann ein*e Student*in der Bildenden Kunst im Studium scheitern?
Mark: Ich glaube, Scheitern ist viel zu individuell, als dass es dafür eine einheitliche Definition gibt. Im Übrigen ist Scheitern kein Negativbegriff, sondern oft Voraussetzung.

Felix: Wie unterscheidet sich deine eigene Lehre von der Lehre, die du als Student in Weißensee erlebt hast?
Mark: Das kann ich nicht klar sagen, ich kann das nur als Ahnung formulieren. Die besteht darin, dass ich mich bemühe, jede Frage mitzunehmen, sie aber nicht unbedingt in dem Moment zu beantworten, in dem sie gestellt wird.

Mark Lammert ist Professor für Malerei. Fragen von Annika Horn, Florian Heinemann, Kira Balke, Marisa Gaudier, Sophia Berg, Tina Guo. Die Fragen der Klasse wurden gesammelt und gestellt von Magdalena Loheide, Tutorin. Felix Baxmann, Lehrbeauftragter, hat das Gespräch schriftlich festgehalten.