Aneta Panek: Alchemy of Punk oder die Ablehnung der Effizienz

Fukiko Hope in Aneta Paneks Punk Opera

 Quelle: Aneta Panek

Ein unterirdischer Pfad verläuft durch die Kunstgeschichte, auf dem sich Arthur Rimbaud und Patti Smith, Antonin Artaud und Iggy Pop, Die Tödliche Doris und Valeska Gert, Mona Mur und Bertolt Brecht begegnen. Dort versammelt sich die Punk-Avantgarde mindestens der letzten 500 Jahre. Und dort ist auch der Ausgangspunkt meines kürzlich erschienen Buches. Zwar etablierte sich der Begriff „Punk“ erst Mitte der 1970er Jahre als Bezeichnung für eine besonders aggressive, raue und einfache Musik. Das ist jedoch nur ein – wenngleich wichtiges – Merkmal einer Gemeinschaft, deren Erscheinung von Rebellion und Subversion geprägt ist, und als deren ersten prominenten Vertreter ich den 1431 geborenen französischen Dichter und dissidenten Troubadour François Villon definiere.

„Alchemy of Punk“ steht für eine methodologische Dekonstruktion eines Untersuchungsgegenstands – Punk – und für seine Auflösung in elementare Partikel durch ein analytisches Verfahren, das zentrale, vorausgesetzte Begriffe der traditionellen Zeitgeschichte oder der konventionellen Chronologie kritisch infrage stellt. Angewandt als Methode, scheint die Alchemie außerdem eine kraftvolle Metapher zu sein und eine sinnvolle Perspektive auf Punk, Underground und Subkultur zu bieten.

Ist es möglich, sich einen Begriff oder ein Konzept vorzunehmen und ihn im Prozess der Destillation zur Quintessenz zu bringen, ohne dabei eine existentielle Krise dieses Begriffs zu riskieren? In meiner Forschung möchte ich zeigen, dass es uns nur auf diesem Weg möglich ist, die Essenz der historischen Herkunft und die vielfältigen künstlerischen Implikationen von Punk zu begreifen.

Wie kann ein Bild, ein Motiv, ein Inhalt durch die Zeit und die Geschichte reisen, und wie wird es durch sein Medium und den historischen Kontext verwandelt? Was wäre, wenn wir, wie von Greil Marcus in seinem bahnbrechenden Buch von 1989 „Lipstick Traces: A Secret History of the 20th Century“ vorgeschlagen, Punk als eine Haltung geprägt von Poesie und Rebellion verstehen würden, in einer nicht linearen Zeitperspektive und einem diskontinuierlichen Denken, als Dissoziation, Unterbrechung, Riss und Störung?

Das ist mein Ansatz, von dem ich mich zugleich bewusst entfernt habe und in verschiedene Richtungen gegangen bin, um anhand meines Forschungsgegenstands vielschichtige Experimente anzuzetteln. Die Erfassung meines eigenen eklektischen Archivs – einer Datenbank – wurde für diese Methode entscheidend: die Ansammlung von Gegenständen und Fakten, die anscheinend nicht zusammengehören, zusammengetragen auf eine quasi surrealistische Art (écriture automatique), das heißt, unterbewusst, nach assoziativer Spekulation, den Hinweisen meiner Protagonisten folgend, geführt durch das Prinzip der Serendipität, als glücklicher Zufall und anregende Entdeckung. Welchen Sinn ergibt eine solche Collage, Sammlung oder ein solches Amalgam, bestehend aus gefundenen Super 8-Filmen, Bildern, Motiven, Zines, Vinyl-Platten sowie aus meinen eigenen Experimentalfilmen, Performances und Interpretationen von Songs und Gedichten?

Meine zentrale Reflexion ist: Wissen kann und wird oft durch Visualisierung und Zusammenstellung generiert. Es geht hier darum, bildhafte Zusammenhänge hervorzubringen, wie sie auch in der Symbolik der Alchemie anzutreffen sind. Daraus ergibt sich eine Möglichkeit, rätselhafte „hermetische“ Ideen und versteckte Zusammenhänge zu begreifen, wiederkehrende visuelle Themen und Muster nachzuzeichnen. Jedes Bild, Gedicht oder jeder Song prägt uns, trägt unsere Obsessionen und Affekte, in diesem Sinne ist Kognition auch visuell und poetisch. Das Wissen, das Gedächtnis und die Zeit sind hier enthalten, und es ist möglich, dieses Wissen, Gedächtnis und Zeit in den subjektiven Gesten der künstlerischen Forschung wiederzufinden. Für mich sind das notwendige Gesten, um offen über Punk zu reflektieren. Natürlich sind diese Ideen nicht neu – sie waren die Kernaussage im „Bilderatlas Mnemosyne“ (1920) von Aby Warburg, „Ausgraben und Erinnern“ (1932) und „Das Passagen-Werk“ (1927-1940) von Walter Benjamin oder „Das rote Buch“ (1915-ca.1930) und „Psychologie und Alchemie“ (1944) von Carl Gustav Jung. Ich beanspruche sie als Richtlinie für meine Sammlung von heterogenen Archiven.

Meine beiden methodischen Ansätze „Artistic Research“ und „Performing Knowledge“ sind immanent in Punk selbst: die Rückkehr des Verdrängten, die Ablehnung der Effizienz, die Würdigung des Eklektizismus, Kunst und Performance als Akt des Widerstands. Durch das Machen, In-Szene-Setzen, Filmen, Schreiben, Diskutieren und Dekonstruieren prüfe ich die Möglichkeiten, das Wissen außerhalb der konventionellen Modelle akademischer Forschung und Chronologie zu generieren und dieses Wissen zu inszenieren.

Das Resultat dieser Methodik ist eine Oper, die mit Musik und Bildern das künstlerische Erbe von Subversion und Rebellion enthüllt und erweckt. Die „Punk Opera“ (2019) wurde als eine 3-Kanal-Filminstallation für drei große Leinwände konzipiert. Jeder Akt wurde inszeniert und live aufgezeichnet auf verschiedenen Theaterbühnen: im Acker Stadt Palast und am Berliner Ensemble; im Watermill Centre, wo ich im Rahmen einer Künstlerresidenz die Oper weiterentwickeln konnte, und im Nuyorican Poets Café, einer der Geburtsstätten von Punk in New York; am FRESNOY, der Hochschule für Medienkunst von Alain Fleischer, wo wir die Oper auch geschnitten haben, im Theater im Delphi in Berlin, wo sie Premiere hatte, und in der Black Box Music – der Probebühne von Rammstein, wo das ganze Abenteuer begonnen hat.

Es ist dabei eine eklektische Oper entstanden, die aus Elementen der klassischen Musik, von barocken Liedern, mittelalterlichen Madrigalen, Industrial Rock, Kabarett und Chansons komponiert ist. Die „Punk Opera“ bewegt sich an der Grenze zwischen Kunst und Subkultur, sprengt die Kategorien von Genre, Gender, Zeit und Alter. Im Vordergrund steht die Erforschung der Zwischenräume zwischen Tanz, Musik, Theater, Film und das Zusammenfügen von klassischer Musik und Underground-Sound auf der Suche nach einer möglichen tiefenzeitlichen Punk-Genealogie.

In den Hauptrollen sind zu sehen: die gefeierte Koloratursopranistin Simone Kermes, der Konzeptkünstler und Musiker Dieter Meier, FM Einheit – Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten, die Underground Diva Mona Mur, die Industrial-Rock Legende En Esch (Ex-KMFDM), die Krautrock-Band-Großmutter mit Frontlady Gina Schulte am Hülse, der multidisziplinäre Künstler Jean-Luc Verna, die Chansonistin Zazie de Paris, der Baritonsänger Max Raabe und viele weitere.

Durch die Kreation dieser visuellen und musikalischen Performance wollte ich die Relevanz meiner Theorien und Ideen als Bilder auf der Bühne überprüfen. Wie kann ich eine essentielle Krise des Geistes, der Kultur und Sprache durch Performance darstellen? Wie kann ich die Zeit einfangen und Punk-Motive aus meinem Archiv wiederkehren lassen? Die Idee war, einzutauchen und sich auf das Spiel, ja das Risiko, einzulassen ohne Erwartungen oder feste Vorstellungen, in aller Offenheit.

Das Ergebnis wurde in vielfacher Hinsicht eine Überraschung.

Aneta Panek, Filmemacherin und Performance-Künstlerin, studierte Kunstgeschichte und Archäologie an der Pariser Sorbonne, sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris und Artist in Residence u.a. am Watermill Center und am FRESNOY. An der UdK Berlin entstand ihre praxisbasierte Dissertation: „Alchemy of Punk. Transmutation, Subversion, and Poetry in Punk Avant-Gardes“, Berlin: Logos Verlag 2023.