Parasite Archisculptures

Wo beginnt die Funktionalität und wo endet die Autonomie von räumlichen Strukturen und Objekten? Wie gestaltet man Übergänge vom Visuellen zum Haptischen, zwischen Betrachten und Benutzen, zwischen dem Unbelebten und dem Belebten? Wo hört der Körper auf und wo beginnt der Raum, das Objekt, die Architektur, das Gegenüber – und wie entstehen Handlungen, Interaktionen und Kommunikation durch räumliche Gestaltung?

Parasite Archisculptures, das Entwurfsprojekt der Raumklasse im Wintersemester 2022 / 23, hinterfragt spielerisch-subversiv die Beziehung zwischen Architekturen und Körpern und versucht eine experimentelle Neudefinition der vermeintlichen Grenzen von Skulptur, (Möbel)Objekt, räumlichem (Kommunikations)Display und menschlicher Interaktion.

Ausgangspunkt unserer experimentellen Untersuchungen waren alltägliche Raumsituationen in acht Gebäuden der UdK Berlin – eine Erkundung bekannter und gleichzeitig unbekannter Räume mit der Absicht, eine aufmerksamkeitsstarke Präsenz des Hochschulmagazins journal in den Standorten der Universität zu ermöglichen – mit ergebnisoffenem, ungewissen Ausgang. Peter Behrbohm und Anton Steenbock beschrieben es in ihrem Workshop Corridorland zu Beginn des Projekts so: „Wir begeben uns auf eine Expedition in das verzweigte Höhlensystem der Universität der Künste. Rechnet man die Korridore und Flure, Kellergänge und Lüftungsschächte zusammen bilden sie ein Raumkontinuum von über 20 km Länge. Dieses fragmentierte Gedärm ist der Ausgangspunkt unserer Entdeckungsreise in das Unterbewusstsein der Schule. Durch psychogeografische Wanderungen spürten wir im Laufe des Workshops ein „Inventar des Ephemeren“ auf.

Im weiteren Entwurfsprozess entstanden durch intensive künstlerische Recherchen, gestalterische Experimente und Modell- und Materialstudien acht mobile Objekte für acht Gebäude der Universität in Form von räumlichen und medialen Interventionen; parasitäre Mini-Architekturen, Raumprothesen oder hybride Möbelobjekte und Apparate, die sich auf die jeweilige Architektur der Häuser, spezifische Raumsituationen und die Inhalte der Standorte beziehen und gleichzeitig räumliche Gastgeber, Display, Imaginationsraum und Informationsträger wurden. Die parasitären Raumimplantate sind hybride und mehrdeutige Raumskulpturen: sie docken performativ in ihren vorgefundenen Situationen temporär oder permanent an, nisten sich ein, setzen sich fest, irritieren, stören, informieren, machen neugierig, laufen davon oder verändern sich stetig auf wundersame Weise. John Wood und Julia Kelly beschreiben in ihrem Buch zur „Zeitgenössischen Skulptur“, „wie die Skulptur den Raum mit dem Publikum teilt, Betrachter und Beteiligte einbezieht und sie zwingt, sich mit ihrer Präsenz zu arrangieren“* und gehen dabei auf das relationale dynamische Gefüge zwischen skulpturalen Objekten, Orten und Menschen ein. Durch ihre – teils merkwürdige – Erscheinung lenken sie als ‚friendly aliens‘ in den Häusern die Wahrnehmung neu, eröffnen dialogische Erfahrungsräume und verführen zu ungewohnten Handlungen innerhalb ihrer Habitate. Sie schaffen Kommunikations- und Informationsorte und Atmosphären abseits des alltäglichen Begegnens mit und in den Häusern der UdK Berlin.

* In: John Wood & Julia Kelly: Zeitgenössische Skulptur, Hamburg 2019, S. 11.

Mit Arbeiten von_
Malte Andersen, Janine Aschenbrenner, Maria Capello, Julia Hartmeyer, Valentin Jauch, Gerrit Ludwig, Leonie Marie Neuhäusel, Marlon Nicolaisen, Paul Pacher, Boohri Park, Seo Young Park, Aisha Ramm, Yannik Rapp, Johannes Thiel, Leona Tiemessen, Gints Virgilijs Tilks, Josef Schneble, Hikari Tanaka, Tanja Vogt

Die Arbeiten und Raumkonzeptionen für die Gebäude Einsteinufer 43, Medienhaus, Hardenbergstraße 33, Lietzenburger Straße 45, Mierendorffstraße 30, Straße des 17. Juni, Institut für Kirchenmusik, Konzertsaal Hardenbergstraße wurden mit den Studierenden der Raumklasse in Zusammenarbeit mit Marina Dafova und Claudia Assmann für das UdK-journal entwickelt und in den Werkstätten der Fakultät Gestaltung realisiert.

Visuelle Kommunikation
Klasse Raumbezogenes Entwerfen und Ausstellungsgestaltung

Lehrende_
Prof. Gabi Schillig, KM Ruven Wiegert

Workshops_
Peter Behrbohm & Anton Steenbock, Elke Sterling-Presser, Julia Volkmar

Werkstätten & Realisierung_
Elke Schneider (Werkstatt für Prototypen, Objekt und Modell bau) mit den Tutoren Lukas Esser und Maxim Tur (Mechatronik CNC), unterstützt von der Metallwerkstatt in der Straße des 17. Juni

Grafische Gestaltung_
Malte Andersen, Seoyoung Park

parasite-archisculptures

MH-Multi

 Quelle: Gerrit Ludwig, Yannik Rapp

MH-Multi

 Quelle: Gerrit Ludwig, Yannik Rapp
Quelle: Gerrit Ludwig, Yannik Rapp

MH-Multi

Gerrit Ludwig, Yannik Rapp

Das wagenähnliche Objekt bewegt sich durch das Medienhaus und funktioniert als Gastgeber für das Archiv des UdK-journals. Überall, wo es sich befindet, können Interessierte verweilen und in der Sammlung neue und alte Ausgaben mit Arbeiten von UdK-Studierenden und Texten zum kreativen Prozess durchstöbern. Durch das Aufklappen der Liege werden auch längere Aufenthalte angenehm. Mit seiner Farbigkeit und Materialität fügt sich das Objekt in die Architektur des Medienhauses ein. Einen Farbakzent setzt der Stoff der Liege, der mit Bildausschnitten aus dem journal bedruckt ist. Mit der Antenne macht der Wagen auf sich aufmerksam und wird ein zentrales Element im Raum.

D.I.V.E.

 Quelle: Paul Pacher, Josef Schneble

D.I.V.E.

 Quelle: Paul Pacher, Josef Schneble

D.I.V.E.

 Quelle: Paul Pacher, Josef Schneble

D.I.V.E

Paul Pacher, Josef Schneble

Ich bilde mir ein, beim Betreten des Raumes Adiletten an den Füßen der Pförtnerin gesehen zu haben. Eigentlich riecht es nach nichts, aber alles sieht danach aus, als müsste es nach Chlor riechen. Rote Plastikstühle, unechte Tropenpflanzen und ein Durcheinander unterschiedlichster Objekte, die irgendwann einmal einen Zweck erfüllt zu haben scheinen, überfordern meine Augen. Ich will abtauchen, in meine Tauchglocke steigen und in Ruhe versinken. Fokus. Im Inneren ist es leise, und der weiche Stoff fühlt sich angenehm an auf meiner Haut. Der Raum, in dem ich bis gerade eben war, ist verschwunden. Die kalte Unordnung kommt mir plötzlich absurd vor, ich nehme mir das journal und drifte ab. Die Schläuche schwingen leicht hin und her. Von außen sieht man nur noch meine Füße. D.I.V.E. bietet Raum für Interaktion und Rückzug.

(EN)COUNTER CURIOSITIES

 Quelle: Janine Aschenbrenner, Aisha Ramm, Gints Virgilijs Tilks

(EN)COUNTER CURIOSITIES

 Quelle: Janine Aschenbrenner, Aisha Ramm, Gints Virgilijs Tilks

(EN)COUNTER CURIOSITIES

 Quelle: Janine Aschenbrenner, Aisha Ramm, Gints Virgilijs Tilks

(EN)COUNTER CURIOSITIES

 Quelle: Janine Aschenbrenner, Aisha Ramm, Gints Virgilijs Tilks

(EN)COUNTER CURIOSITIES

Janine Aschenbrenner, Aisha Ramm, Gints Virgilijs Tilks

Der Raum-Parasit im Konzertsaal der UdK ist eine direkte Übersetzung und Rekombination der prägnanten Formsprachen des Gebäudes, das einiges an Kuriositäten aus den fünfziger Jahren bietet. Er ist ein freundliches Objekt, das sich auf seltsame Art in das Ensemble einfügt und es um einen neuen Ort für das UdK-journal ergänzt. Durch seine Mobilität kann er verschiedene Irritationen in den sehr unterschiedlichen Nutzungssituationen des Gebäudes hervorrufen. Spielerisch mischt er sich unter die Leute und lädt ein, vor einem Konzert oder in der Pause an seinem Tresen zu verweilen und durch das UdK-journal zu blättern.

 

WELLENBRECHER

 Quelle: Leonie Marie Neuhäusel, Boohri Park

WELLENBRECHER

 Quelle: Leonie Marie Neuhäusel, Boohri Park

WELLENBRECHER

 Quelle: Leonie Marie Neuhäusel, Boohri Park

WELLENBRECHER

 Quelle: Leonie Marie Neuhäusel, Boohri Park

WELLENBRECHER

Leonie Marie Neuhäusel, Boohri Park

Ich bin die parasitäre Architektur-Skulptur. Ins UdK-Gebäude wurde ich gerufen, um tief in meinem Herzen und meinem Körper das UdK-journal zu bewahren. Durch den kreativen Prozess bin ich entstanden, geformt und zum Leben erweckt worden. Ich behüte das journal als Archiv und zeige seine aktuelle Ausgabe. Komm, spiel mit mir, bewundere mich, funktioniere mich um, platziere mich in meinem Korridor, denn hier habe ich ein Zuhause gefunden. Ich tarne mich durch meine Haut, meine Struktur und meine Textur. Ich integriere mich, gleichzeitig will ich stören und dich aus deinem Alltag holen. Such mich da, wo ich hingehöre.

DIE PFEIFE

 Quelle: Malte Andersen, Sandy Park, Tanja Vogt

DIE PFEIFE

 Quelle: Malte Andersen, Sandy Park, Tanja Vogt

DIE PFEIFE

 Quelle: Malte Andersen, Sandy Park, Tanja Vogt

DIE PFEIFE

 Quelle: Malte Andersen, Sandy Park, Tanja Vogt

DIE PFEIFE

Malte Andersen, Sandy Park, Tanja Vogt

Das Institut für Kirchenmusik existiert seit über 200 Jahren und die Orgel, die sich dort befindet, ist noch älter. Sie bildet den Startpunkt des Prozesses, aus dem sich ein Körper geformt hat. Eine der Orgelpfeifen wird herausgelöst, vergrößert und in Bewegung versetzt. Zusammen mit dem UdK-journal wird das Institut nach außen getragen. Performativ bewegt sich die Pfeife durch die Umgebung in der Hardenbergstraße und zeigt das UdK-journal. Im Institut selbst ist sie Archiv, Display und Plakatfläche. Die Raumskulptur wechselt zwischen statischem Objekt und Performance, zwischen Kiosk und Archiv, zwischen Instrument und Kostüm.

HOOKED

 Quelle: Marlon Nicolaisen, Johannes Thiel, Leona Tiemessen

HOOKED

 Quelle: Marlon Nicolaisen, Johannes Thiel, Leona Tiemessen

HOOKED

 Quelle: Marlon Nicolaisen, Johannes Thiel, Leona Tiemessen

HOOKED

Marlon Nicolaisen, Johannes Thiel, Leona Tiemessen

Das Projekt setzt sich mit parasitären Mechanismen auseinander: Ein Organismus dient als Lebensraum für einen anderen – somit findet eine perfekte Anpassung an dessen Strukturen statt. Der Parasit siedelt sich im Treppenhaus des 3D-Hauses in der Straße des 17. Juni an und dient als Display für das UdK-journal. Er nutzt die Struktur des Geländers, um sich mit seinen Widerhaken im Raum zu platzieren. Die fühlerartigen Stahlseile, die sich durch den Lichthof spannen, dienen als Leitsystem und machen beim Betreten des Foyers und des Treppenhauses auf den Parasiten aufmerksam. Der Raum im Treppenauge wird zum Austauschort, an dem man sich die Hefte ansehen und mitnehmen kann.

 

CREATURE I

 Quelle: María Capello, Julia Hartmeyer

CREATURE I

María Capello, Julia Hartmeyer

Creature I ist ein Warenautomat, der die neuesten Ausgaben und das Archiv des UdK-journals bereitstellt. Eingereiht in eine Ansammlung von Automaten im Korridor nimmt Creature I auf verschiedene Weise Bezug auf seine Umgebung. Die Materialität, die Funktionalität und der Zweck dieses Automaten spiegeln eine Hauptfunktion des Gebäudes am Einsteinufer wider – die Unterbringung der digitalen und analogen Archive der Universität. Die Zeitschriften sind in einem horizontalen Raster übereinandergestapelt und befinden sich in einem transparenten Gehäuse, das den Eindruck von Langlebigkeit und Unvergänglichkeit vermittelt. Mit seinen langen haarigen Kabeln, die mit dem Stromnetz des Gebäudes verbunden sind, wirkt Creature I wie ein räumlicher Parasit, der sich von der Elektrizität seines Wirtes ernährt.

DREHKREUZ/VEREINZELUNGSANLAGE

 Quelle: Valentin Jauch

DREHKREUZ/VEREINZELUNGSANLAGE

 Quelle: Valentin Jauch

DREHKREUZ/VEREINZELUNGSANLAGE

 Quelle: Valentin Jauch

DREHKREUZ/VEREINZELUNGSANLAGE

Valentin Jauch

Die Grundstruktur des Gebäudes ist symmetrisch. Ursprünglich als Mädchen- und Jungenschule gebaut, teilte eine Wand auf der Mittelachse des Gebäudes das Haus in zwei Abschnitte. Noch heute sind Architektur und Objekte im Haus beidseitig identisch. Immer wiederkehrende Situationen erzeugen den Eindruck eines Loops. Stufen und Geländer führen wie eine endlose Treppe durch das Gebäude, überdimensional große Überwachungskameras an den Wänden erfassen alles, was sich in dem Haus bewegt. Das Objekt Drehkreuz/Vereinzelungsanlage trennt den Raum, versperrt, adaptiert, kontrolliert und leitet. Ausgestattet mit einer Tasche, in der sich das UdK-journal befindet, bewegt es sich, getarnt als offizielles Objekt der Raumstruktur, durch die Flure des Hauses ohne ein konkretes Ziel.