Julius Posener

Julius Posener  

 

4. November 1904 (Berlin) - 29. Januar 1996 (Berlin)

Architekt und Architekturhistoriker

 

 

 

 

1. Biografie

1923-1929 Architekturstudium an der TH Berlin-Charlottenburg

1933-1935 Exil in Frankreich

1935 Auswanderung nach Palästina

1936-1937 Architektentätigkeit in Beirut

1948-1956 Dozent für Entwurf und Geschichte an der Brixton School of Building, London

1956-1961 Dozent am Technical College Kuala Lumpur

1961-1971 Professor für Baugeschichte, Hochschule für Bildende Künste, Berlin

1971-1978 Lehraufträge, Technische Universität, Berlin

1967 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Baukunst

1976 Ehrendoktor der Philipps-Universität Marburg

2. Auswahl der Schriften

  • Geschichte im Stadtbild. Berlin [circa 1960] (= Aufzeichnungen aus den Referaten zum Thema Das Gesicht unserer Stadt 5).
  • Schinkels Eklektizismus und das Architektonische. Festvortrag. Berlin 1967 (= Schriftenreihe des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin 19).
  • Anfänge des Funktionalismus. Von Arts and Crafts zum Deutschen Werkbund. Berlin 1964  (= Bauwelt-Fundamente 11).
  • Ebenezer Howard. Gartenstädte von morgen. Das Buch und seine Geschichte. Berlin 1968 (= Bauwelt Fundamente 21).
  • Erich Mendelsohn. Ausstellungskatalog Akademie der Künste. Berlin 1968.
  • Hans Poelzig. Gesammelte Schriften und Werke. Berlin 1970.
  • Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur (1890-191). Das Zeitalter Wilhelms II. München 1979 (= Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 40).
  • Aufsätze und Vorträge. 1931-1980. Braunschweig u.a. 1981 (= Bauwelt-Fundamente 54/55).
  • Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur. 2 Bde. Neuausgabe Berlin 2013.
  • Fast so alt wie das Jahrhundert. Berlin 1990, Erweiterte Neuausgabe Basel, Berlin, Boston 1993.

3. Eine Textpassage

"Die Hochschule der bildenden Künste ist eine Kunstschule, deren Architekturabteilung erst nach dem Kriege – wesentlich durch Max Taut – ins Leben gerufen wurde. Als die Architekturschule fünfzehn Jahre bestand, hat sie Max Taut, dem Gründer, ein Festessen gegeben. Es wurden viele schöne Reden gehalten, bis Max das Wort ergriff und sagte, wenn eine Schule fünfzehn Jahre alt sei und sich in dieser Zeit nicht grundlegend geändert habe, dann stimme mit dieser Schule etwas nicht. Das fand ich, besonders bei dieser Gelegenheit, wahrhaft großartig.

An der Hochschule der Künste war ich nicht Entwurfslehrer wie in Kuala Lumpur, sondern Historiker. So spät also bin ich zur Baugeschichte gekommen – ich war an die Sechzig. Ich gestehe, daß ich als Lehrer der Geschichte in noch stärkerem Maße Dilettant war als beim Entwurf. Hinsichtlich der deutschen Architektur habe ich mich zunächst auf die drei Bände "Geschichte der Deutschen Kunst" von Georg Dehio verlassen. Choisy also, einige Engländer und Dehio: das war für einen, der aufs Katheder steigen und Studenten die ganze Baugeschichte vortragen sollte, eine magere Grundlage. Während meines ganzen Lebens aber ist es meine Art gewesen, irgendein Sonderinteresse mit großer Energie zu verfolgen und darüber den Zusammenhang zu vergessen. Ich habe mir für diese Methode, die keine ist, sogar eine Theorie gebastelt, der zufolge es nicht darauf ankommt, von wo aus man in die Mitte – zum Kern der Dinge – vordringt, weil man dort im Kern der Wissenskugel den Zusammenhang schon finden wird. Da ich jedoch immer die Gabe besessen habe, mir sprachlich über Nichtwissen oder bestenfalls Halbwissen hinwegzuhelfen, kamen auch diese Vorlesungen gut an.

Es hat mich immer gestört, und es stört mich heute noch, wenn ich Kunstgelehrte über Architektur reden höre, als sei das reine Form. In der Architektur kann man die Form von der Bedeutung – in erster Linie allerdings der konstruktiven Bedeutung – niemals trennen. In diesem Sinne habe auch ich versucht, Geschichte der Architektur zu unterrichten.

Heute bin ich der Meinung, daß man zwei Geschichtskurse braucht:

der eine wäre ein allgemeiner, der vielleicht so gemacht werden könnte, daß auf bestimmte Dinge – je nach Lust und Laune des betreffenden vortragenden – der größte Wert gelegt wird, während man andere nur streift. Der andere Geschichtskurs sollte um die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen und bis zur Gegenwart reichen. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei auch die Mitte des 18. Jahrhunderts von den Problemen, die uns beschäftigen und denen dieser Kurs dienen soll, ziemlich weit entfernt.

Wenn man aber bedenkt, daß Laugier über Straßburg schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts geschrieben hat, das Münster sei ein Beispiel der reinen Konstruktion, also – wie Laugier auf gut französische Art meinte – der Grundlage der Architektur, und wenn man sich ferner daran erinnert, daß der junge Goethe, als er nach Straßburg kam, leidenschaftlich gegen diese Auffassung polemisiert hat und einen Gegenaufsatz mit dem Titel "Von deutscher Baukunst" schrieb, in dem er dem Franzosen seinen Konstruktivismus vorwarf, so wird man einsehen, daß in jener Zeit die Anfänge unserer eigenen – oder sagen wir einmal, der in unserem Jahrhundert sichtbar werdenden – Probleme liegen. Ein Geschichtskurs, der um 1750 beginnt und dann auf Erscheinungen wie die beiden Gilly, David und Friedrich (Vater und Sohn), eingeht, wäre ein Weg zurück, den man auch als aktiver Architekt nicht nur um der Bildung willen gehen sollte, sondern um zu erfahren, was Architektur sein kann und wie sie in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten auf verschiedene Weise aufgefaßt wurde.

[...]

Meine Lehrtätigkeit an der Hochschule der Bildenden Künste endete sehr bald nach dem Scheitern der Studentenbewegung. Die Bewegung war fast über Nacht entstanden, ausgelöst durch den Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der während einer Demonstration gegen den Schah von Persien getötet wurde.

Von einem Tag auf den anderen hörten die Studenten auf, ihre Lehrer zu respektieren. Sie fuhren uns über den Mund und schienen entschlossen, die Hochschule selbst in die Hand zu nehmen. Abgelehnt haben nur wenige Professoren die Studentenbewegung, die meisten haben sie toleriert. Sie versuchten, die Schule, die ihnen aus den Händen glitt, wieder in den Griff zu bekommen, indem sie an einigen Stellen nachgaben. Einige Professoren schlossen sich der Bewegung an und unterstützten sie. In der Architekturabteilung waren wir zu zweit, Gustav Hämer und ich.

Damals empfand ich den ganz anderen Ton, in dem die Studenten sich nun plötzlich äußerten, wie eine Befreiung. Erst jetzt fühlte ich mich Berlin wieder wirklich zugehörig."

 

Julius Posener: Fast so alt wie das Jahrhundert. Erweiterte Neuausgabe Basel, Berlin, Boston 1993, S. 296-298.

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