Umbau oder Abbau + Aufbau

Quelle: Christoph Henschel

Einwöchiger Workshop zum Thema Bauen im Bestand

Aachen - 29.08.-02.09.22 - im Rahmen des ZukunftBau PopUp-Campus

 

 

Prof. Christoph Gengnagel, Christoph Henschel, Alexander Hey, Diego Apellániz

 

Leerstehende Gebäude lösen zwangsläufig stadtgesellschaftliche Debatten über ihre zukünftige Nutzung aus. Aus aktueller wirtschaftlicher Betrachtung spricht oft viel für einen Abriss und einen konventionellen (Ersatz-) Neubau. Da dies angesichts des voranschreitenden Klimawandels und der dabei nicht unwesentlichen Rolle des Bauwesens eine nicht mehr haltbare Vorgehensweise darstellt, müssen Alternativen gefunden werden. Zum einen kann der Bestand weiter- bzw. umgenutzt werden, gegebenenfalls durch minimale bauliche Veränderung und Ertüchtigung. Zum anderen bietet die Strategie des Zerlegens und Rückbaus des Rohbaus in wiederverwendbare Bauteile und deren Nutzung für einen Neubau an anderer Stelle die Möglichkeit auf veränderte Nutzungsanforderungen oder städtebauliche (Um-)Planungen besser zu reagieren. Um diese beiden Konzepte an einem konkreten Beispiel zu erproben und zu vergleichen, wurde im Rahmen des ZukunftBau PopUp-Campus ein Workshop mit Studierenden durchgeführt.

 

Das Ziel der diesem Workshop zugrunde liegenden fiktiven Aufgabenstellung einer Umnutzung bzw. eines Rückbaus und Wiederaufbaus des leerstehenden Bürogebäudes in der Theaterstraße 92 in Aachen zu einem Wohngebäude, war das Erarbeiten einer bestmöglichen architektonischen Lösung zirkulären Bauens unter der Berücksichtigung sowohl von Aspekten der Nachhaltigkeit als auch von architektonischer Sinnhaftigkeit und Qualität. Als Maßstäbe für diese Einschätzung wurden z.B. Menge von neu zu verbauenden Baustoffen (und damit verbrauchter Energie und emittierten CO2s mittels LC-Analyse), Anzahl und Größe der entstandenen Wohnungen aber auch die architektonische Qualität dieser herangezogen.


In dem einwöchigen Workshop sollten die zuvor beschriebenen Konzepte in vier Gruppen entwickelt, erprobt und verglichen werden. Die ersten beiden Gruppen sollten einen Umbau und die Weiternutzung des leerstehenden Gebäudes als Wohnungsbau untersuchen. Die anderen beiden Gruppen beschäftigten sich mit der Zerlegung der Tragstruktur des Gebäudes in wiederverwendbare Stahlbetonelemente und deren Wiederverwendung als Grundlage für ein neues Wohngebäude auf einem naheliegenden Baugrundstück. Um die Entwurfsarbeit zu vereinfachen, wurde angenommen, dass das Bestandsgebäude bereits entkernt und damit nur der Rohbau zu bearbeiten war. Den Entwurfsaufgaben wurde eine gemeinsame Erfassung des Gebäudes anhand von Bestandsunterlagen, mittels 3D-Laserscan-Technik sowie eine intensive Beschäftigung mit dem Bestand vor Ort vorangestellt.

 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl der Umbau als auch das Zerlegen und Wiederverwenden erhebliches Potenzial zur Einsparung von Energie und Ressourcen im Vergleich zu konventionellen Stahlbetonneubauten aufzeigen. Die Entwürfe beweisen, dass durch die intensive Beschäftigung mit dem Bestand, ansprechende neue Räume entstehen können. Der Vergleich der Konzepte zeigt allerdings auch, dass es nicht eine einzelne richtige Lösung gibt. Die Bewertungskriterien sind vielfältig und jedes der Konzepte hat in verschiedensten Bereichen Vor- und Nachteile. Auf dem Weg zu einer Umsetzung entsprechender Konzepte in der Praxis, müssen zudem Faktoren wie erhöhte Baukosten durch den erheblichen Arbeitsaufwand auf der Baustelle und verlängerte Projektzeiträume aufgrund von erhöhtem Planungsaufwand in die Betrachtung einbezogen werden. Diese Aspekte bilden zusätzlich zur Betrachtung der räumlichen Gestaltung und des Ressourcen- und Energieeinsparpotenzials eine Diskussionsgrundlage für Bauherren und müssen für jeden Einzelfall individuell betrachtet und abgewogen werden. Festzuhalten ist aber in jedem Fall, dass es eine Bandbreite von innovativen Alternativen zum zurzeit immer noch vielfach praktizierten konventionellen Abriss und Ersatzneubau gibt.

Umbau

Umnutzung: Durchbruch
Quelle: Eva Heilmann, Bent Fromke, Eva Erny
Umnutzung: Durchbruch
Quelle: Eva Heilmann, Bent Fromke, Eva Erny
UmbauTheaterstraße
Quelle: Emily Adele, Sveva Eikemann, Richard Prugger
UmbauTheaterstraße
Quelle: Emily Adele, Sveva Eikemann, Richard Prugger
UmbauTheaterstraße
Quelle: Emily Adele, Sveva Eikemann, Richard Prugger
UmbauTheaterstraße
Quelle: Emily Adele, Sveva Eikemann, Richard Prugger

Abbau + Aufbau

Quelle: Justus Schweer, Firas Tokdemir, Emanuel Eder, Roman Stamborski
Quelle: Justus Schweer, Firas Tokdemir, Emanuel Eder, Roman Stamborski
Quelle: Justus Schweer, Firas Tokdemir, Emanuel Eder, Roman Stamborski
Quelle: Martin Baier, Kalle Niemann, Felix Schuschan, Zoya Solovieva, Björn Sterz
Quelle: Martin Baier, Kalle Niemann, Felix Schuschan, Zoya Solovieva, Björn Sterz
Quelle: Martin Baier, Kalle Niemann, Felix Schuschan, Zoya Solovieva, Björn Sterz

 

Für die Umnutzungskonzepte waren vor allem die Themen Erschließung, Aufteilung der Regelgeschosse in einzelne Wohnungen sowie der Ausbau und die thermische Hülle zu bearbeiten. Für die Rück- und Wiederaufbaukonzepte waren die Schnittplanung und das Zusammensetzen der gewonnenen Teile die besonderen Schwerpunkte. Für beide Themenkomplexe wurde nach Fertigstellung der Grundrissentwürfe eine auf 3D-Modellen basierende LC-Analyse durchgeführt, die zum einen die Entwürfe untereinander vergleichbar machen sollte, zum anderen aber auch ein Vergleich zu einem entsprechenden Neubau unter Verwendung von neuem Stahlbeton ermöglichte. Die Ergebnisse des Workshops sind jeweils zwei Umnutzungs- und zwei Wiederaufbaukonzepte.

 

Im ersten Umnutzungskonzept, das von drei Studierenden erarbeitet wurde, wurden die ca. 880m2 BGF des Regelgeschosses in 4 große Wohnungen auf ca. 680m2 aufgeteilt. Die bestehenden Treppenhäuser wurden entnommen und die Deckenöffnungen geschlossen. Als Erschließung wurde ein neuer vorgesetzter Laubengang mit außenliegender Treppe geplant. Die LCA-Berechnung für ein Regelschoss ergab 353 kg CO2Äq/m2 im ausgebauten Zustand, inklusive neuer thermischer Hülle.

 

Im Vergleich dazu steht die zweite Umbauvariante mit 144 kg CO2Äq/m2. Dieser Entwurf, der ebenfalls von drei Studierenden erarbeitet wurde, basiert auf der Weiterbenutzung der bestehenden Treppenhäuser und erschließt 9 Wohnungen (insgesamt 580m2) über einen an einer Außenwand geführten Flur. Durch die Verwendung von Recycling-Ziegeln sowohl für Innenwände als auch in der Fassade, konnte eine erhebliche Einsparung von grauer Energie erzielt werden.

 

Für die Umbauvariante 1 lassen sich durch die Weiterbenutzung der bestehenden Stahlbetonstruktur ca. 25% des Global-Warming-Potentials einsparen, bei der Umbauvariante 2 sind es sogar ca. 60% weniger CO2-Austoß im Vergleich zu einem entsprechenden Neubau unter Verwendung von neuem Stahlbeton.

 

Das erste Wiederaufbauszenario, das von einer Gruppe von vier Studierenden entwickelt wurde, sieht eine Zerlegung des Bestands in vertikale (Stützen mit Unterzügen) und horizontale Bauelemente (Decken) vor. Diese Teile können dem Bestand in einheitlichen Abmessungen entnommen werden und so in einem streng rasterbasierten Neubau wieder eingesetzt werden. Teilweise fehlende Stützpunkte werden im Neubau durch ein Prothese-Element in Holzbauweise aufgefangen, dass darüber hinaus sowohl die Aussteifung, die vertikale Erschließung als auch die Versorgungsanschlüsse beinhaltet. Aus ca. 3500m2 BGF des Bestandsgebäudes (hier 4 Regelgeschosse) wurden ca. 3100m2 Neubau mit 36 Wohnungen geschaffen. Die LC-Analyse ergab, dass im Vergleich zu einem entsprechenden Neubau 35% der grauen Energie eingespart werden kann, wobei hier nur das unausgebaute Gebäude aus Rohbau und thermischer Hülle betrachtet wurden.

 

Beim zweiten Wiederaufbaukonzept, das von fünf Studierenden erarbeitet wurde, wurden die Regelgeschosse des Bestands in gleich breite Streifen zerteilt und aus Transportabilitätsgründen einmal in der Länge geteilt. Diese Teile wurden mit einer neuen Sekundärstruktur aus Stahlträgern verbunden und zu einem teils ein- und teils zweigeschossigen Gebäude zusammengesetzt. Unter Verwendung von ca. 60% des Rohbauvolumens von zwei Regelgeschossen wurden aus ca. 1760m2 BGF des Bestandsgebäudes ca. 1000m2 BGF mit 10 unterschiedlich großen Wohnungen im neuen Gebäude. Im Vergleich zu einem entsprechenden Neubau konnte durch die Wiederverwendung der Stahlbetonelemente ca. 46% der grauen Energie eingespart werden. Auch hier wurden nur Rohbau und thermische Hülle in der Berechnung berücksichtigt.

 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl der Umbau als auch das Zerlegen und Wiederverwenden erhebliches Potenzial zur Einsparung von Energie und Ressourcen im Vergleich zu konventionellen Stahlbetonneubauten aufzeigen. Die Entwürfe beweisen, dass durch die intensive Beschäftigung mit dem Bestand, ansprechende neue Räume entstehen können. Der Vergleich der Konzepte zeigt allerdings auch, dass es nicht eine einzelne richtige Lösung gibt. Die Bewertungskriterien sind vielfältig und jedes der Konzepte hat in verschiedensten Bereichen Vor- und Nachteile. Auf dem Weg zu einer Umsetzung entsprechender Konzepte in der Praxis, müssen zudem Faktoren wie erhöhte Baukosten durch den erheblichen Arbeitsaufwand auf der Baustelle und verlängerte Projektzeiträume aufgrund von erhöhtem Planungsaufwand in die Betrachtung einbezogen werden. Diese Aspekte bilden zusätzlich zur Betrachtung der räumlichen Gestaltung und des Ressourcen- und Energieeinsparpotenzials eine Diskussionsgrundlage für Bauherren und müssen für jeden Einzelfall individuell betrachtet und abgewogen werden. Festzuhalten ist aber in jedem Fall, dass es eine Bandbreite von innovativen Alternativen zum zurzeit immer noch vielfach praktizierten konventionellen Abriss und Ersatzneubau gibt.