Wolfgang Wopperer-Beholz

Quelle: Wopperer-Beholz

Hallo Wolfgang, es freut uns, dass du dir die Zeit nimmst. Deinen Background hast du eigentlich in der Philosophie, doch du warst schon früh in der digitalen Wirtschaft tätig. Wie bringst du diese zwei Domänen in deiner Lehre zusammen?

In einer Synthese von Theorie und Praxis: Ich versuche, den Studierenden Modelle und Theorien als wertvolle Werkzeuge und als potenzielle Vehikel von Ideologie nahezubringen, und ich versuche, sie ganz praktisch in der Analyse von und dem Experimentieren mit Geschäftsmodellen nützlich zu machen.

 

Du beschäftigst dich in unserem Studiengang mit dem Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Es gibt die Ansicht, dass diese Entwicklungen sich fundamental entgegenlaufen. Ist das für dich auch ein Widerspruch?

Einerseits ja – neben dem weithin unsichtbaren Energieverbrauch der Cloud sind für mich insbesondere zwei Faktoren kritisch: der Verlust an physischer Nähe, geteilten Kontexten und intermediären Institutionen, der  ein Umsteuern zu Nachhaltigkeit und Regenerativität erschwert; und der Boost, den unsere Konsumkultur durch die allgegenwärtige, individualisierte Bewerbung und jederzeitige Verfügbarkeit von Waren erhalten hat. Andererseits birgt die Digitalisierung natürlich auch Chancen: Jeder kann dringende Themen sichtbar machen, Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion gewinnen schneller und mehr Reichweite, und der Zugang zu Informationen aus Forschung und Wissenschaft ist einfacher als je zuvor. Allerdings wird uns das nur nützen, wenn wir lernen, die Polarisierung und das Misstrauen zu überwinden, das die Geschäftsmodelle sozialer Medien schüren.

 

Im Modul Sustainable Innovation geht es unter anderem darum Führungskräfte den Umgang mit Frameworks zu vermitteln, die ihnen ermöglichen sollen, nachhaltige Innovationen in ihren Organisationen zu implementieren. Kannst du uns ein Beispiel nennen?

Frameworks als Blaupausen, die (angeblich) nur auf die eigene Organisation angewandt werden müssen, sind in meiner Erfahrung nur sehr begrenzt hilfreich – Organisationen sind komplexe Systeme, und sie verändern sich nicht durch Top-down-Prozesse, sondern durch die Emergenz neuer Verhaltensmuster. Wertvolle Werkzeuge sind für mich daher solche Frameworks, die Komplexität ernst nehmen und positiv nutzen, etwa Cynefin oder Dialogische Organisationsentwicklung. Diese Werkzeuge sind oft generisch, d.h. nicht explizit auf nachhaltige Innovation ausgerichtet – aber wenn wir nachhaltige nicht als technologische Innovation verstehen, sondern als soziale und kulturelle (und dafür plädiere ich in meinem Kurs), dann helfen uns diese Frameworks genau dabei: neue, unerwartete Modelle und Muster dafür zu finden, wie Organisationen arbeiten und ihren individuellen Beitrag zur Regeneration unserer Ökosysteme definieren.

 

Greenwashing ist medial zur Zeit sehr präsent. Wie schaffen es Organisationen sich da abzugrenzen und substantielle Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen?

Indem sie sich zwingen, ihr Verhalten in kritischen Aspekten messbar zu verändern. Dazu gehört Transparenz darüber, wo man z.B. Emissionen und Ressourcenverbrauch reduziert oder Langlebigkeit und Reparierbarkeit erhöht – und, noch wichtiger, wo nicht. Und dazu gehört, die internen Anreizsysteme so umzubauen, dass sich das Verhalten der Menschen und Gruppen tatsächlich verändert, aus denen die Organisation besteht – es muss sich lohnen, Dinge möglichst radikal anders zu machen.

 

Welche Nachhaltigkeitsoffensive hat dich zuletzt persönlich überzeugt?

Ganz ehrlich: Keine, die aus Wirtschaftsverbänden oder -förderung kam. Was mich überzeugt, sind mutige Vorschläge und Vorbilder, wie man Dinge radikal anders machen könnte – vom Organisationsmodell der Genossenschaft oder der Idee der Gemeinwohlwirtschaft zu konkreten Unternehmen wie Viva con Agua oder Tomorrow. Was wir brauchen, ist intensiver Austausch und gegenseitiges Lernen zwischen Vordenker*innen und Nachahmer*innen, zwischen Forschung und Aktivismus, zwischen lokalen Organisationen und internationalen Netzwerken – eine Art Silicon Valley regenerativen Wirtschaftens.

 

Vielen Dank für das Gespräch.