Annette Maechtel

Projektisierung der Kulturförderung: Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik im Berlin der 90er Jahre

Das Teilprojekt richtet den Fokus auf die Kulturpolitik in Berlin und inwiefern sich – unter der Fragestellung von Autonomie und Funktionalisierung – Veränderungen in den 1990er Jahren abzeichnen. Das Teilprojekt geht dabei von der These aus, dass es einen paradigmatischen Wandel in der Kulturpolitik der 1990er Jahre in Berlin gab, der als „Projektisierung“ bezeichnet werden kann. Entlang von Förderprogrammen, -kriterien und kulturpolitischen Debatten soll diskursanalytisch untersucht werden inwiefern die Funktion und Legitimation der öffentlichen Förderung, sowie den Anforderungen an die künstlerische Arbeit und das Subjekt der*s Künstler*in sich im Berlin der 1990er-Jahre verändert haben. In Berlin verschränken sich in besonderer Weise die kulturpolitischen Auffassungen der Ebenen von EU, Bund, Land und Bezirksebene. Insbesondere die bezirklichen Ebene von Berlin-Mitte war in den 1990er Jahren sehr zentral – während der Berliner Senat die im Ostteil der Stadt entstandenen Projekte, Räume und Gruppen noch als „Wildwuchs“ bezeichnete, förderte der Bezirk Mitte sie als „dezentrale Kultur“. Erstmals soll nachgezeichnet und systematisiert werden in welchen Ressorts, auf welchen politischen Ebenen die Förderung der Bildenden Kunst in Berlin stattfindet und was sich dabei für diskursive Veränderungen hinsichtlich des Kunstbegriffs in den 1990er Jahren abzeichnen. Denn während ein Arbeisstipendium in seiner Legitimation der öffentlichen Förderung noch einem autonomen Kunstbegriff folgt, verlangen Ausschreibungen für Projektförderungen genaue Beschreibungen von Anschlussfähigkeit, Besucherzahlen, Pressespiegeln, Finanzplänen – und vor allem auch Drittmittel in Form von Sponsoring – und weisen somit in eine andere Richtung, denn sie fordern gesellschaftliche Funktionen der Kunst ein. Dazu kommen in den 1990er Jahren vor allem durch EU-geförderte Weiter­qualifizierungsmaßnahmen – Stichwort Professionalisierung – im Arbeitsmarktbereich hinzu. Diese Veränderungen in der Kulturpolitik sind vor dem Hintergrund des von Boltanski und Chiapello als „neuen Geist des Kapitalismus“ und der Herausbildung einer „Kultur des Projektes“[1] in den 1990er Jahren sowie den „Technologien des Selbst“ zu sehen, die Michel Foucault im Rahmen seiner Gouvermentalitätsstudien als Subjektivierungsweisen benennt.

In diesem Sinne ergänzt das Forschungsvorhaben die bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten, die den Funktionswandel von Kultur in Berlin (Grésillon 2004, Wostrak 2008, Mundelius 2008, Merkel 2012) aufgearbeitet haben, um eine diskursive Perspektive der veränderten Anforderungen und Bedingungen was als Kunst und wer als Künstlerin und Künstler in Berlin gefördert wird.

Im engen Dialog mit Teilprojekt III und Teilprojekt IV sollen diese Verschiebungen der Förderungsanforderungen und Kunstbegriffe in das Feld zurückgespiegelt werden – geplant sind verschiedene Vermittlungs- und Diskussionsformate. 

[1] Luc Boltanski: Leben als Projekt. Prekariat in der schönen neuen Netzwerkwelt, in: polar, Bd. 2, Nr. Frühjahr 2007, www.polar-zeitschrift.de/polar_02.php [Stand 6.11.2014].