John Philip Sousa und der musikalische Amerikanismus in Kontinentaleuropa, 1893–1917

Quelle: Titel eines Notendrucks, Staatsbibliothek Berlin

Die DFG bewilligte Dr. Tobias Faßhauer Personal- und Sachmittel für Forschungen über den musikalischen Amerikanismus in Kontinentaleuropa am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Als Amerikanismus wird in diesem Projekt eine Strömung verstanden, die bestimmte musikalische Ausdrucksformen als amerikanisch auffasst und zu gängigen Amerika-Stereotypen in Beziehung setzt. Insbesondere soll analysiert werden, wie die Vorstellung von den USA als Vorhut einer zivilisatorischen Modernisierung einerseits und die Wahrnehmung afroamerikanischer Identität andererseits sich im europäischen musikalischen Bewusstsein niederschlagen und inwieweit zwischen diesen gegenpoligen Amerika-Projektionen musikalisch rezeptiv und produktiv eine Vermittlung stattfindet.

Dieses Thema soll schwerpunktmäßig über die Untersuchung der Rezeption des „Marschkönigs“ John Philip Sousa (1854–1932) erschlossen werden, des seinerzeit nach Bekanntheit und Wirkung markantesten amerikanischen Komponisten und Dirigenten. Besondere Aufmerksamkeit gilt Sousas europäischen Tourneen 1900 und 1903. Dabei ist u. a. die kontrovers diskutierte Frage zu klären, welche Bedeutung Sousa für die Verbreitung des Ragtime zukommt. Das Ziel ist eine Buchveröffentlichung, die den musikalischen Amerikanismus der „Belle Époque“ in Deutschland sowie den Metropolen Paris und Wien umfassend darstellt und historisch einordnet, wobei auch die Unterschiede in den nationalen Ausprägungen des Phänomens herausgearbeitet und interpretiert werden sollen.

Die besondere Qualität des Forschungsansatzes besteht in einer entscheidenden Erweiterung der historischen Perspektive im Diskurs über den transatlantischen Musiktransfer. So wird zu zeigen sein, inwieweit europäische Haltungen der Rezeption und Produktion von Musik, die gemeinhin erst mit den 1920er Jahren (dem „Jazz Age“) assoziiert werden, bereits vor dem Ersten Weltkrieg greifbar sind und sich mit dem Bestreben amerikanischer Komponisten, sich möglichst vor Ort die Tradition europäischer Kunstmusik anzueignen, überkreuzen. Im Kern geht es um die Beschreibung einer musikalischen populären Moderne, die sich weniger an der „Avanciertheit“ des Tonsatzes festmacht als an den veränderten Funktionen der musikalischen Ausdrucksmittel im Rahmen einer neu entstehenden Massenkultur.

Die Darstellung des europäischen Repertoires importierter amerikanischer und selbst produzierter „amerikanistischer“ Musik verschiedener Gattungen und des Umgangs damit soll durch Detailanalysen flankiert werden, in denen die konkreten musikalischen Korrelate des Amerikanismus aufgezeigt werden. Die Eingrenzung des zu erforschenden Zeitraums ergibt sich aus dem internationalen Debut der Sousa Band 1893 auf der Weltausstellung von Chicago und der Ankunft der US-Armee 1917 in Frankreich, die den Beginn der europäischen Jazz-Rezeption markiert.