Über Musica inaudita

  • Wir sind eine seit 2021 bestehende Initiative an der Universität der Künste Berlin und wollen mit unserer Arbeit die „klassische” Musikszene diverser machen. Diese Szene ist nach wie vor von diskriminierenden Strukturen geprägt, die es zu überwinden gilt. Komponist*innen und Musiker*innen, die nicht weiß1, heteronormativ, abled und cis-männlich sind, werden im Musikbetrieb oft unsichtbar gemacht. Das wollen wir nicht hinnehmen! 

    Deshalb setzen wir uns mit diesen exkludierenden Strukturen auseinander. Unser Anliegen ist es, Komponist*innen hör- und sichtbar zu machen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, sozialen oder nationalen Herkunft, Hautfarbe, Religion, Sprache, Behinderung oder politischer Anschauung nie Teil des Kanons der „westlichen“ Kunstmusik waren oder nachträglich aus ihm entfernt wurden. Wir kritisieren die Exklusivität des Kanons und glauben, dass die zugrundeliegenden Strukturen nicht durch seine Erweiterung gelöst werden können. Daher unterstützen wir dessen Abschaffung. 

    Wir verstehen uns als intersektional-feministischer Zusammenschluss. Dabei richtet sich unser Anspruch nach Vielfältigkeit auch nach innen. Aktuell ist unser Team vorwiegend weiß, cis-weiblich, able-bodied, bürgerlich sozialisiert und akademisch gebildet. Wir sind uns unserer privilegierten Positionen und den daraus resultierenden Verantwortungen bewusst und bemühen uns um eine regelmäßige Reflexion unserer Teamstruktur. Wir erkennen an, dass auch wir nicht frei von Machtstrukturen sowie von diskriminierenden Denk- und Handlungsmustern sind. In unserer Arbeit erheben wir keinen Anspruch auf Perfektion und erkennen an, dass Fehler zu kontinuierlichen Lernprozessen gehören. Teil dieses Prozesses ist dementsprechend auch, dass sich unsere Form und Vorhaben in einem ständigen Wandel befinden. 

    Wir möchten es allen Interessierten ermöglichen, bei Musica Inaudita ihre Perspektive einzubringen. Daher arbeiten wir stetig daran, die Barrieren einer Mitarbeit bei uns abzubauen und sehen uns verantwortlich, aktiv auf Menschen zuzugehen, denen es bisher nicht möglich ist, bei uns mitzuwirken. Wir sind überzeugt, dass die Veränderung der Musikwelt an uns allen hängt. Wir können zwar nicht entscheiden, welchen Fokus die großen Orchester in ihren Spielzeiten setzen oder gar die zugrunde liegenden Strukturen von einem Tag auf den anderen ändern. Aber wir können nachfragen, beharrlich und manchmal ungemütlich sein, bis sich die große Diversität, die in den Archiven lagert, endlich in unseren Konzertprogrammen widerspiegelt. In diesem Sinne laden wir Euch herzlich ein, mit uns gemeinsam den Wandel der Musiklandschaft aktiv mitzugestalten!

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    1. Der Begriff „weiß“ wird klein und kursiv geschrieben, da er nicht die neutrale Beschreibung der Hautfarbe, sondern die Privilegierung und gesellschaftliche Machtposition von Menschen ohne Rassismuserfahrungen meint.
  • Unsere Initiative begann mit der Planung einer feministischen Konzertreihe, die bis heute fester Bestandteil unserer Arbeit ist. Jedes Semester organisieren wir in der Regel zwei Konzerte. Ziel der Konzerte ist es, den Kanon kritisch einzuordnen und Alternativen zu präsentieren. Durch die Konzerte wird der Musik von marginalisierten Komponist*innen, die in der Geschichtsschreibung übergangen wurden, eine Bühne geschaffen. 

    Bisher orientierten sich unsere Aufführungen bewusst am klassischen Konzertformat, welches wir auf unterschiedliche Weise erweiterten. Wir sind ständig auf der Suche nach offeneren Formaten, beispielsweise durch eine möglichst barrierefreie Raumgestaltung oder außermusikalische inhaltliche Einschübe, in denen Komponist*innen selbst über ihr Werk sprechen. Die Kontextualisierung unserer Konzertprogramme ermöglicht es, Wissen aus der Forschung mit musikalischer Praxis zu verbinden. Unsere Erfahrung zeigt: Indem wir künstlerische und wissenschaftliche Inhalte verknüpfen, sensibilisieren wir die Musiker*innen und das Publikum auf besondere Weise für unsere Themen. Daher ist es uns wichtig, durch Programmhefte und Moderation die Werke und ihre Urheber*innen in einen größeren Zusammenhang einzuordnen.

    Gleichzeitig ist uns bewusst, dass eine diverse Programmgestaltung, die nur in gesonderten „Diversity-Formaten“ stattfindet, nicht zu dem von uns angestrebten systematischen Wandel führt. Es gibt unsere Konzerte, weil es sowohl an der Universität der Künste Berlin als auch in der klassischen Musikwelt darüber hinaus nicht selbstverständlich ist, Werke von marginalisierten Komponist*innen zu spielen. Wir wünschen uns, dass unsere Konzerte für die Thematik sensibilisieren und unser Publikum dazu anregen, sich mit den Konzertinhalten auseinanderzusetzen. Wir sehen jedoch, dass wir allein durch die Konzerte den zugrunde liegenden diskriminierenden Strukturen nicht ausreichend entgegenwirken können. Daher haben wir im Jahr 2023 angefangen, unsere Tätigkeitsfelder auszuweiten.

    Unsere Recherche- und Archivarbeit widerspricht dem Mythos, es gäbe kaum gute Werke außerhalb des etablierten weißen, männlichen Repertoires. Wir wollen den Zugang zu Noten und Informationen über marginalisierte Komponist*innen erleichtern. Auf unserer Website stellen wir eine Vielzahl relevanter Quellen bereit, die zur Auseinandersetzung einladen. Wir stellen fest, dass sich in der Theorie schon sehr viel mehr getan hat als in der Praxis. Das große vorhandene Wissen aus den Archiven findet jedoch nur äußerst selten den Weg in die musikalische Praxis im Konzertsaal. Solange diese Bereiche getrennt bleiben, verfehlt die Forschung ihren Zweck: Diese Musik gehört nicht ins Regal, sondern auf die Bühne! Wir schließen daraus, dass jemand diese Brücke schlagen muss und wollen den Konzertbetrieb und insbesondere den Lehrbetrieb dazu anregen, sich mit den vorhandenen Schätzen der Forschung auseinanderzusetzen.

    Unsere Ansiedlung an der Universität macht den Hochschulbetrieb zu einem Kernbereich unserer Arbeit. Wir sind überzeugt: Ohne Veränderungen in der Lehre entsteht kein systemischer Wandel. Die Musik von morgen hängt an der Ausbildung von heute. Lehrende tragen hierbei eine essenzielle Verantwortung für ein nachhaltig diverses Repertoire. Wenn Schüler*innen und Studierende früh mit diesem Repertoire in Verbindung kommen, wird die Aufführung dieser Werke zur Selbstverständlichkeit. Dieser Prozess muss vor dem Universitätsstudium ansetzen und dort konsequent weitergeführt werden. Daher streben wir als Initiative eine enge Vernetzung innerhalb der Universität an. Auch die Vernetzung mit Musikhochschulen in ganz Deutschland und darüber hinaus ist uns ein wichtiges Anliegen.

     

  • Im wöchentlichen Treffen tauschen wir uns über die wichtigsten Entscheidungsfragen aus. Zusätzlich sind wir in Arbeitsgruppen organisiert. Die verschiedenen Arbeitsgruppen – wie z.B. Konzertorganisation, Hochschulpolitik, Recherche, Finanzen – bilden die Grundlage unserer Initiative. Sie arbeiten eng zusammen, um die Umsetzung unserer Ziele und Projekte ganzheitlich zu garantieren. Dabei hat jede Arbeitsgruppe einen eigenen Kernbereich: Beispielsweise liefert die Recherchearbeit wissenschaftliche Fundierung und begleitet die künstlerische Praxis kritisch. Durch unser interdisziplinär aufgestelltes Team können wir von unterschiedlichen Erfahrungen und Expertisen profitieren. Wir erkennen die verschiedenen Blickrichtungen und Aufgabenbereiche als gleichwertig an und verteilen Verantwortung möglichst dezentral. Durch die gegenseitige Weitergabe von Wissen, sowie einen respektvollen und wertschätzenden Umgang, wollen wir aktiv Hierarchien entgegenwirken. Innerhalb des Teams kommunizieren wir derzeit auf Deutsch. Nach außen versuchen wir zusätzlich auf Englisch zu kommunizieren. 

     

  • Wir streben eine weitreichende Vernetzung an, um die Sensibilisierung für die von uns behandelten Themen voranzutreiben. Zudem vertrauen wir auf die Expertise von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen inner- und außerhalb der Universität der Künste, um unsere Arbeit zu fundieren und weiterzuführen.

     

    Bisherige Kooperationen 

     

    • Zusammenarbeit mit der Band 21 Downbeat vom RambaZamba Theater
    • Teilnahme am wissenschaftlich-künstlerischen Symposium “her*hits” des Forschungszentrums Musik und Gender Hannover
    • Zusammenarbeit mit dem Symphonic Orchestra Utopy Berlin
    • Veröffentlichung des wissenschaftlichen Artikels „Unlearn the Canon! Die Initiative Musica inaudita über Diversität in der klassischen Musik“ von den Musica inaudita Mitgliedern Marlene Feger und Marie Schwebe2.
    • Seminar „Muwi meets Musica inaudita“ mit Prof. Christine Hoppe mit Semesterabschlusskonzert
    • Vortrag am Campus Gegenwart der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart zum Thema „Gestisches in der Kanonkritik“ von Marie Schwebe
    • Austauschtreffen für Komponist*innen - Besuch lateinamerikanischer Komponistinnen, mitorganisiert von Bertha Elena Artero Ponce
    • Auftaktkonzert des UdK-Symposiums „Unlearning University“ 
    • Ausstellung „Standing Ovation - Komponistinnen gesehen“ von Antonia Brinkers (Feminale Hamburg)
    • Zusammenarbeit mit Berliner Cappella
    • Regelmäßige Konzerte im Rahmen des crescendo-Festivals
    • Konzert mit dem Frauen- und Kammerchor der Künste
    • Zusammenarbeit mit der Dirigierklasse von Prof. Harry Curtis

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    1. In: Ellmeier et al. Empowerment: Wissen und Geschlecht in Musik, Theater, Film. Mdw Gender Wissen, Band 10. Böhlau (2025).
  • Bisher erhalten unsere Mitglieder keine angemessene Bezahlung für ihre Arbeit bei Musica inaudita. Wir setzen uns dafür ein, unsere finanziellen Mittel – auch durch Drittmittel – zu erweitern, denn wir sind überzeugt: Unsere Arbeit funktioniert nur mit fairer Entlohnung. Eine langfristige Perspektive ist ohne eine finanzielle Grundsicherung nicht möglich. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass Finanzierungen Abhängigkeiten von Institutionen produzieren. Um ein nachhaltiges Wirken und die Umsetzung unserer Forderungen abzusichern, müssen wir daher Kompromisse eingehen.

    Bisher wurden wir gefördert durch Mittel der Universität der Künste (zum Beispiel durch die AG feministische Projektförderung, die Kommission für künstlerische und wissenschaftliche Vorhaben, Mittel der Hauptberuflichen Gleichstellungsbeauftragten, Anreizmittel der Fakultäten, Fachschaftsräte und Fachschaftsrätekonferenz), sowie durch Drittmittel der Berliner Qualitäts- und Innovationsoffensive und ein Preisgeld der Mariann Steegmann Foundation.

     

Quelle: Jonathan Schmalöer

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