Aktionstags zu Nähe und Distanz - Dokumentation

Bericht zum Aktionstag

Am 24. Mai 2019 fand im Neuen Marstall der gemeinsame Aktionstag zu „Nähe und Distanz in der künstlerischen Ausbildung“ der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und der Universität der Künste Berlin statt. Initiiert durch die Frauenbeauftragten der HfM Berlin und UdK Berlin und der Hochschulleitungen, ermöglichte der Aktionstag durch seine vielseitigen Formate fundierten Austausch zu Nähe und Distanz aus unterschiedlichen fachlichen und institutionellen Perspektiven bundesweit.

Zu den Höhepunkten des Vormittags zählte der Vortrag der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Lembke zur rechtlichen Einordnung von sexualisierter Belästigung an Hochschulen, der das komplexe Thema scharfzüngig  auf den Punkt gebracht darlegte. Lembke betonte, dass es sich bei sexualisierter Belästigung um eine geschlechtsbezogene Diskriminierung handele, eine „Platzanweisung in den [institutionellen und gesellschaftlichen] Hierarchien“, bei der sexuelles Begehren eine eher untergeordnete Rolle spiele. Sie veranschaulichte dies durch einen Fall, bei dem der Mitarbeiter eines Betriebs gegen seine außerordentliche Kündigung klagte, die er nach sexualisiert übergriffigen Verhalten erhalten hatte. Seiner Argumentation, es könne sich bei seinem übergriffigem Verhalten gegen einen anderen Mitarbeiter einer Leiharbeitsfirma nicht um sexualisierte Diskriminierung handeln, da er heterosexuell sei und die Berührungen nicht sexuell motiviert seien, wurde in letzter Instanz nicht stattgegeben.

Im Urteil vom 29.6.2017 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass es „[a]uf eine sexuelle Motivation der Berührung nicht ankomm[e]“, sondern„[d]ie absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen [per se] sexuell bestimmt ist“. (Siehe auch iSd. § 3 Abs. 4 AGG) Im weiteren Verlauf ihres Vortrags ging Lembke auch auf die Novellierung des Strafgesetzbuchs ein, das mit Paragraph 184(i) seit 2016 auch unerwünschte sexuell-konnotierte körperliche Berührungen unter Strafe stellt, und erinnerte Hochschulen daran, dass die vielerorts heraufbeschworene Freiheit der Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (siehe Artikel 5 des Grundgesetzes) nur gemeinsam mit Gleichstellung (siehe Artikel 3 des Grundgesetzes) gedacht werden kann. Laut Lembke, „gibt’s die [nämlich] nur im Gesamtpaket.“

Ein weiterer Höhepunkt des Vormittags war ein künstlerischer Beitrag, der Nähe und Distanz direkt in den Kontext Hochschule transportierte und Szenen zu Bühnenproben in der Darstellenden Kunst mit Szenen am Treffpunkt „Aschenbecher“ und Szenen von Heinrich von Kleists „Zerbrochenem Krug“ miteinander verwob. Unbehagen entstand durch die Inszenierung übergriffiger Nähe in allen drei Erzählebenen. Als Stilmittel besonders eindringlich war dabei das Audiomaterial aus dem Off, das dem Publikum die Gedanken- und Gefühlwelt der Figuren, sozusagen entkoppelt von den Körpern, mitteilte. Einzelne Aussagen aus den Dialogen des künstlerischen Beitrags begleiteten den Aktionstag über den Tag hinweg. So wurde der Spruch „Ich bin Künstler, kein Pädagoge“ auch in verschiedenen Workshops am Nachmittag aufgegriffen.

Das Vormittagsprogramm schloss mit dem Vortrag von Prof. Dr. Freia Hoffmann zum schwierigen Umgang mit der Macht, in dem die Musikpädagogin einen Blick in die Praxis von Kunst- und Musikhochschulen warf, „eine Welt, in der,“ laut Hoffmann, „andere Gesetze gelten“.

Raum zum ausführlicheren Austausch boten die vier Workshops am Mittag. Diskutiert wurde u.a. das Instrument Wertekodex, Unterstützung für Betroffene an Hochschulen, Nähe und Distanz aus Studierendenperspektive und ein künstlerischer Zugang zu Nähe und Distanz mit der Zeichnung von Cartoons.

Mit der Podiumsdiskussion am Nachmittag und einem gemeinsamen Abschluss mit Imbiss wurde ein gelungener Ausklang gefunden. Mit bei der Podiumsdiskussion waren die Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, Prof. Dr. Rode-Breymann, die Vizepräsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, Prof. Christine Schornsheim, der Vizepräsident der UdK Berlin, Prof. Dr. Norbert Palz und die UdK AStA-Referentin für „Interkulturelles und Antidiskriminierung“, Samara Hammud. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Claudia Neusüß, compassorange GmbH. Gesprächsthemen waren insbesondere der Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen sowie präventive Maßnahmen. So trug Frau Rode-Breymann eine institutionell-übergreifende Perspektive bei, machte sich für die Einbindung aller Hochschulmitglieder in Diskussions- und Veränderungsprozessen stark und plädierte für Klarheit seitens der Hochschulleitungen. Frau Schornsheim teilte persönliche Erfahrungen, die sie als eine Betroffene und als eine Person, die sich polizeilich gewehrt hat, in München machte. Herr Palz hinterfragte das Meister-Schüler System und setzte sich für eine verbindlichere Lehrdidaktik ein. Und Frau Hammud erinnerte an das Zusammenspiel verschiedener Diskriminierungsformen und betonte, dass die Feedbackkultur in der Lehre deutlich den Wert der Person von dem Wert einer bestimmten Arbeit trennen müsse.

 

 

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