GOSSIP

Bildschirm an der Wand
Quelle: Jens Franke

Der Projektzyklus GOSSIP thematisiert alltägliche, scheinbar banale Handlungen, die Un:Sichtbarkeiten schaffen, sich ihnen entziehen oder entgegenstellen. Im Deutschen als Tratsch oder Klatsch bezeichnet, impliziert Gossip das Verbreiten und Verfälschen alltäglicher Informationen; und wird dabei genauso als fadenscheinig oder illegitim abgetan wie heiß begehrt. In einer digitalisierten Lebenswelt gewinnt Gossip an Relevanz, etwa wenn die Zirkulation von Bildern, Inhalten und Informationen politische Entscheidungen beeinflusst, ökonomische Verhältnisse herstellt oder soziale Beziehungen regelt. Gossip schafft Öffentlichkeit(en) und manipuliert (Macht-)Verhältnisse – und ist so nicht nur eine wichtige Strategie, um herrschende Ordnungen zu wahren, sondern kann auch genutzt werden, um sie im Sinne sogenannter Counter-Narratives marginalisierter Gruppen zu unterlaufen. Wenn Gossip gerade online ein Mittel ist, um Gemeinschaft und Öffentlichkeit zu gestalten, wie kann dieses Mittel dann in einen institutionellen Kontext gesetzt werden – und so Präsentations- und Narrationsweisen verändern, verhandeln, unterbrechen und kritisch befragen?

Wer hat nicht schon davon gehört? Vom Hörensagen, unter uns? Gossip, zu deutsch etwa Tratsch, ist zunächst nichts anderes als das, worüber alle reden, was aber niemand verifizieren kann. Es ist das, was alle wissen wollen, was aber niemand als Wissen bezeichnet, das, was alle weitergeben, was aber niemand so gesagt hat. Gossip ist banal – und ging schon viral, bevor in den Sozialen Medien die ersten Hashtags zirkulierten. Dabei handelt es sich nicht um etwas Zeitloses, sondern um ein Konzept mit einer historischen und politischen Konnotation. Denn das englische Wort gossip bezeichnete ursprünglich eine enge Freundin. Erst mit dem Beginn der Moderne wurde seine Bedeutung verändert, um gezielt die Solidarität unter Frauen* als unseriöses Gerede zu verunglimpfen. Wie die Philosophin Silvia Federici aufzeigt, ging damit die Abwertung der Arbeitskraft von Frauen einher. Ihre Arbeit konnte im aufkommenden Kapitalismus umsonst eingesetzt werden; zu Hause, jenseits einer als Öffentlichkeit abgesteckten und von Männern* regierten Sphäre.

So alltäglich und nebensächlich Gossip also scheint, so machtvoll ist er. Im Gegensatz zur Information – der offiziellen Nachricht – tritt Gossip nicht als einzelne Botschaft, sondern als Kommunikationskette in Kraft, ist flüchtig, vernetzt und nie ganz greifbar. Damit werden auch sogenannte Gegenöffentlichkeiten möglich, die gerade von feministischen, queeren und marginalisierten Gruppen als Form der Ermächtigung genutzt werden. Wie aber kann diese unsichtbare Handlungsform in einer Ausstellung sichtbar gemacht werden?

GOSSIP nimmt die politischen und poetischen Potenziale trivialer Kontaktmomente in den Blick. Als Finale des gleichnamigen Projektzyklus versammelt die Ausstellung künstlerische Perspektiven, die jene unterschwellige Kraft von Tratsch zentral setzen und dabei ihren eigenen Status als Ausstellungsobjekte implizit befragen. Sie fokussieren Momente der Intimität, der Institutionalisierung und der Verkörperung von Annahmen, die sozial festgeschrieben scheinen – teils mit direktem Bezug, teils als indirekte Resonanz auf eine vernetzte Lebenswelt.

GOSSIP wurde gefördert durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein sowie durch das Programm Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Wann? Wo?
26. September - 31. Oktober 2021
M.1 / Arthur Boskamp-Stiftung
Breite Straße 18
25551 Hohenlockstedt

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