Forschungsadaptionen für ein Individualmuseum? Zur Genese und Positionen spurensichernder Kunst im 20. Jahrhundert

Lutz Hengst: Forschungsadaptionen für ein Individualmuseum? Zu Genese und Positionen spurensichernder Kunst im 20. Jahrhundert. Kassel 2016

 Quelle: Kassel University Press

Forschungsadaptionen für ein Individualmuseum? Zur Genese und Positionen spurensichernder Kunst im 20. Jahrhundert

Lutz Hengst

Es war im Jahr 1974, als im Hamburger Kunstverein Arbeiten von Künstlern wie Christian Boltanski und Nikolaus Lang unter dem Oberbegriff ‚Spurensicherung‘ gezeigt wurden. Spurensicherung als Kunst ist seither eine gleichsam am Rande weitergetragene, eher diffuse Kategorie im Kunstkanon des deutschsprachigen Raums und bis zuletzt Desiderat kunstwissenschaftlicher Forschung geblieben. In der vorliegenden Untersuchung wird Spurensicherung erstmals systematisch gleichermaßen als kuratorisches Konstrukt wie als künstlerische Formation diskutiert.

Spurkunst muss dabei von Nachbarströmungen wie ‚Gedächtniskunst‘ oder auch der späteren ‚science art‘ differenziert werden. Zugleich markieren gerade kennerschaftliche Formen primär historischer Welterschließung, einschließlich darauf basierender Materialpräsentationen zum Beispiel im Volkskundemuseum, technisch wie ästhetisch wesentliche Referenzpunkte einer in dieser Hinsicht konzeptuellen Spurensicherungskunst. Spurkunstschaffende scheinen allerdings in kritischer Adaption tradierter wissenschaftlicher (Fund-)Arrangements ein individuelles Feldforschen gegenüber utilitären Aufschlüssen von Lebenswelt privilegieren, sogar als eigentlich menschliche Kulturform anhand von vergessenen Dingen und überwucherten Orten in Erinnerung bringen zu wollen. Spurensicherung wird aus diesem Blickwinkel schlussendlich als ein Form- und Fassungfinden für menschliche Sammelleidenschaften und für das je spezifische Ringen mit dem Disparatwerden flüchtigen Lebens sichtbar.

Dass zentrale Vertreter wie Nikolaus Lang Leben ganzheitlich im Wortsinn auffassen, also konkret für Kabinette, in denen individualgeschichtliche Zusammenhänge aufbereitet werden, potentiell alles, bis hin zum kleinsten Rehknochen, bergen können, situiert Spurensicherung mit wenigen anderen Tendenzen nach 1960 (etwa innerhalb der Land Art) am Beginn einer ökologisch sensibilisierten Kunst. Diese Forschungsarbeit bildet so einen ersten Band für eine Reihe, die, herausgegeben von Sabine Bartelsheim und Lutz Hengst, Interdependenzen von Kunst und Ökologie zu ihrem – holistisch verstandenen – Untersuchungsgegenstand macht.

 

Kassel University Press