Prof. Dr. Daniel Michelis

Quelle: Michelis

Lieber Daniel. Schön, dich in unserem kleinen Interviewformat zu Gast zu haben. Als Professor der Hochschule Anhalt und Direktor des Institut of Electronic Business (IEB) an der Universität der Künste Berlin machst du dir Gedanken, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Bereiche Kommunikation und Nachhaltigkeit hat. Wie bist du zu diesem Themenspektrum gekommen?

Ich habe schon früh im Spannungsfeld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit Organisationen wie dem WWF, Greenpeace oder auch dem Umweltbundesamt in Dessau zusammengearbeitet, wo wir vor allem zwei Fragen nachgegangen sind. Einerseits: Wie kann Digitalisierung nachhaltig gestaltet werden? Und andererseits: Wie kann Digitalisierung in anderen Bereichen dazu beitragen, mehr Nachhaltigkeit zu schaffen? Wo kann Digitalisierung ein Wegbereiter für mehr Nachhaltigkeit sein? Ein Beispiel ist die Circular Economy. 

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die großen Trendbegriffe, aber wie kommen wir von Buzzwords tatsächlich dazu, eine gesellschaftliche und ökologische Wirkung zu erzielen? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich in den letzten Jahren auch selber rund um das Thema Nachhaltigkeit fortgebildet. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Stanford University aber auch in Dänemark bei den Kaospiloten. Inhaltlich ging es mir darum, wie sich klassische Nachhaltigkeitsstrategien und -modelle, die teilweise eine lange Historie haben, auf die Digitalisierung übertragen lassen. Diese Frage hat uns schließlich auch im Masterstudiengang Leadership in digitaler Innovation zusammengeführt.

Bei LDI bist du im Modul Digitale Geschäftsmodelle für den Themenblock zur Circular Economy als Dozent im Einsatz. Erzähl uns etwas mehr über die Kreislaufwirtschaft.

Der deutsche Begriff der Kreislaufwirtschaft suggeriert ein wenig, dass es am Ende des Produktlebenszyklus darum geht, ein gutes Recycling zu ermöglichen. Das ist natürlich ein sehr wichtiger Teil, aber Circular Economy bezeichnet deutlich mehr. Es geht darum, unser Wirtschaftsmodell zu transformieren, das auf einem linearen Prozess basiert. Dieser lineare Prozess wird auch als Take-Make-Use-Waste Prozess beschrieben. Unternehmen entnehmen Rohstoffe aus der Umwelt (Take) und entwickeln daraus die unterschiedlichsten Produkte (Make). Diese Produkte werden dann eine bestimmte Zeit lang genutzt (Use), bevor sie in viel zu vielen Fällen einfach weggeworfen werden (Waste). Circular Economy ist ein Ansatz, den linearen Prozess zu verändern. Produkte sollten von Beginn so gestaltet werden, dass am Ende überhaupt kein Abfall entsteht. Die Circular Economy beginnt daher beim Produktdesign, bei dem im besten Fall Materialien verwendet werden, die nicht schädlich sind oder nicht weggeworfen werden müssen. Produkte, die von Anfang an für eine möglichst lange Lebensdauer und Wiederverwertung entwickelt wurden. Materialien sollen so lange wie möglich im Gebrauch gehalten werden.
Während dieses ganzen Prozesses stellen wir uns dann die Frage: Wie kann Digitalisierung die Entwicklung einer Circular Economy unterstützen? Potenziale ergeben sich unter anderem in der Vernetzung und dem Austausch von Informationen über Produkte und Materialien, in der Entwicklung zirkulärer Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen sowie in der Kommunikation und der Befähigung von Verbraucher*innen. 

Mit unseren Studierenden arbeitest du auch praktisch an konkreten Geschäftsmodellen zur Kreislaufwirtschaft. Kannst du da ein spannendes Beispiel aus dem Studiengang geben?

In den letzten zwei Jahren sind einige spannende Ansätze entstanden, bei denen innovative, zirkuläre Geschäftsmodelle entwickelt wurden. Die Studierenden bauen dabei auf Geschäftsmodelle auf, die sie in den Veranstaltungen zu klassischen Geschäftsmodellen entwickelt haben oder für die sie in ihrer praktischen beruflichen Tätigkeit verantwortlich sind. Ein schönes Beispiel war ein Konzept für Circular Fashion. Weggeworfene Kleidung macht eine großen Teil des Müllaufkommens aus, dabei ist es oft unnötig, Kleidung wegzuwerfen. Verschiedene Beispiele der Circular Economy zeigen, dass auch Kleidung so designt werden kann, dass die fertigen Produkte oder ihre Bestandteile im Gebrauch gehalten werden können. Es gibt beispielsweise erste Pilotprojekte, bei denen hitzeresistentes Garn verwendet wird. Wenn das Produkt nicht mehr benutzt wird, kann das Garn thermisch zersetzt und das Kleidungsstück in die Einzelteile zerlegt werden. Auf diese Weise können die Einzelteile wunderbar weiterverwendet werden. Es gibt auch erste Unternehmen, bei denen die Kleidungsstücke nach der Nutzung gegen einen Gutschein zurückgegeben werden können, mit dem dann ein neues Kleidungsstück gekauft werden kann. Das studentische Konzept für Circular Fashion war auch deshalb sehr überzeugend, weil Kleidung ein ganz normales Alltagsprodukt ist, das wir alle nutzen. Mit solchen Anwendungsbeispielen hoffe ich, dass die neu gelernten Konzepte nicht nur theoretisch auf den eigenen Bereich übertragen werden, sondern zukünftig auch im eigenen Arbeitsumfeld zur Anwendung kommen. 

Die Circular Economy wird manchmal so wahrgenommen, als wäre sie mit unserer wachstumsorientierten Wirtschaft schlecht vereinbar. Wie siehst du das? Was sind hier mögliche Chancen oder Risiken?

Wir sammeln mittlerweile seit vielen Jahren Erfahrungen mit der digitalen Transformation. In unterschiedlichsten Projekten haben wir die Chancen und Potentiale, aber auch die vielen Herausforderungen der Umsetzung kennengelernt. Die eigentliche Transformation steht uns aber jetzt erst bevor. Wie schaffen wir es, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig zu transformieren? So ziemlich alle Indikatoren weisen auf die Grenzen unserer wachstumsorientierten Wirtschaft hin. Unsere Erde ist endlich. Im Modul beschäftigen wir uns daher zu Beginn mit den neun planetaren Grenzen, innerhalb derer wir nachhaltig wirtschaften können. Was bedeutet das für die Circular Economy? Einerseits ist es so, dass Unternehmen auch in der Kreislaufwirtschaft nicht weiterhin so wachsen können wie bisher, denn dafür ist unsere Erde einfach zu beschränkt. Die Herausforderung ist, wie wir etwa durch die längere Nutzung von Produkten oder durch alternative Ansätzen wie der Sharing Economy weniger zum Wachstum beitragen und dennoch funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln. Gerade das macht die Circular Economy auch spannend für Studierende, die Innovationen entwickeln. Wenn ich im Rahmen der Circular Economy beispielsweise schadstofffreie und erneuerbare Materialien verwende und damit neue Geschäftsmodelle aufbaue, dann lässt sich für das entsprechende Unternehmen auch ein nachhaltiges Wachstum realisieren. Tolle Beispiele sind Verpackungsalternativen aus Algen, die sich im Wasser von selbst auflösen. Aus solchen Entwicklungen kann ein großes Wachstum entstehen, das gleichzeitig den Plastikabfall vermindert. 

Zum Abschluss würden wir uns freuen, wenn du unseren Leser*innen einen Medientipp mit auf den Weg geben könntest.

Mein Tipp ist die Ellen MacArthur Foundation (https://ellenmacarthurfoundation.org/). Ellen MacArthur ist eine internationale Vorreiterin der Circular Economy. Auf der Website werden vielfältige Ressourcen zur Verfügung gestellt: Theoretische Grundlagen, Workshop-Tools, Materialien für Schulen -  um ein paar Beispiele zu nennen. Einer der besten Startpunkte, um mehr in die Tiefe zu gehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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